Suche nach Corona-Impfstoff: Das heiße Rennen

Zwei von drei Spitzenreitern sitzen in Deutschland: BioNTech in Mainz und CureVac in Tübingen. Nach den USA zeigt jetzt auch China Interesse.

Tübingen: Ein Mann schaut sich in einem Labor des biopharmazeutischen Unternehmens Curevac einen Träger mit Bakterien an, aus denen DNA und anschließend RNA gewonnen wird

Forscher des Unternehmens CureVac sind bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs vorne dabei Foto: dpa

BERLIN taz | Eine Impfung gegen Sars-CoV-2 ist derzeit eines der gefragtesten Produkte der Welt. Gut drei Dutzend Labore in Firmen und Universitäten arbeiten daher bereits an verschiedenen Methoden zur Entwicklung eines passenden Wirkstoffs. Besondere Aufmerksamkeit schenkt die Wissenschaft dabei derzeit drei Unternehmen, die eine gentechnische Abkürzung zum Impfstoff suchen. Zwei dieser Biotech-Firmen kommen aus Deutschland: die Firma BioNTech in Mainz und Curevac in Tübingen. Sie stehen an der Front der Corona-Bekämpfung.

Beide Unternehmen sind vergleichsweise jung und von Anfang an als Spezialisten für den Umgang mit Boten-Ribonukleinsäure gegründet, die im Fachjargon als mRNA abgekürzt wird. Dabei handelt es sich um genetische Information in Form eines Strangs von Molekülen.

Sowohl BioNTech als auch Curevac sind also keine klassischen Impfstoff-Spezialisten, sondern sie suchen nach zahlreichen Anwendungen für ihre Grundidee, mit den Botenmolekülen allerlei nützliche Reaktionen im Körper auszulösen. Ihr Konkurrent mit einem ähnlichen Profil sitzt in den USA. Die Firma Moderna aus Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts arbeitet derzeit ebenfalls mit Hochdruck an einer Corona-Impfung auf Basis von mRNA.

BioNTech wolle bereits Ende April erste Wirkstoffe an Menschen testen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Das Unternehmen ist dazu eine Kooperation mit dem chinesischen Mischkonzern Fosun eingegangen: Das Großunternehmen schießt 44 Millionen Euro an Kapital für die Forschung zu. Außerdem ist die Rede von Impfstoff-Tests in China – dem Land, das bisher am stärksten von der Seuche betroffen ist. Das Unternehmen verhandele jedoch parallel mit weiteren Geldgebern und Pharma-Partnern, berichtet das Handelsblatt.

Impfstoff bereits im Herbst?

Um den Tübinger Rivalen CureVac hatte es am Wochenende große Aufregung gegeben. Die US-Regierung wollte das Unternehmen offenbar kaufen, um den Impfstoff für sich zu behalten. Die Empörung darüber legte sich am Sonntagabend, als der Haupteigner des Unternehmens klarstellte, dass ein Ausverkauf an die Amerikaner nicht infrage kommt. Es handelt sich bei diesem aufrechten Bürger um niemand anderen als Dietmar Hopp: Der 79-Jährige war 1972 einer der Mitgründer der bekannten Softwarefirma SAP. Am Montag legte Hopp mit der Prognose nach, CureVac werde bis zum Herbst einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus fertig haben.

Die Entwicklung eines Impfstoffs in nur etwas über einem halben Jahr wäre ein Rekord und eine Sensation. Möglich ist dieses ehrgeizige Ziel durch die mRNA-Technik. Die Forscher nutzen dafür eine der Grundideen des Lebens auf unserem Planeten. Alle Zellkerne stellen mRNA her, um der Maschinerie im Rest der Zelle zu sagen, welche Substanzen sie herstellen sollen. mRNA ist also ein Bauplan für Moleküle, die eine Zelle herstellen kann.

Betonmoleküle eignen sich als Impfstoff

Viren nutzen diesen Mechanismus schamlos aus. Sie schleusen ihre eigene RNA in die Zelle ein. Statt sinnvoller Bausteine für den Körper stellen sie neue Viren her. Die Erreger selbst sind nämlich auch nur eine Ansammlung von Molekülen, die sich dann in passender Weise zusammensetzen, um das neue Virus zu bilden.

Die moderne Pharmazie ist nun dabei, vielsprechende Anwendungen für mRNA zu finden. Die Idee ist dabei stets, den Körper des Patienten die Hauptarbeit machen zu lassen und das Heilmittel selbst herzustellen. Erst vor wenigen Jahren ist klargeworden, dass sich die Botenmoleküle auch für die Herstellung von Impfstoffen eignen. Studien haben bereits belegt, dass das absolut möglich ist und die entstehenden Mittel sicher und wirksam sind.

Das besondere Geheimwissen

Das Ziel aller Impfstoffe ist es, den Immunzellen im menschlichen Körper den Erreger zu zeigen. Diese können sich dann auf sein reales Eintreffen vorbereiten. Herkömmliche Impfstoffe gegen Grippe werden beispielsweise hergestellt, indem die Pharmafirma erst große Mengen an Viren züchtet, diese dann abtötet und zusammen mit etwas Flüssigkeit in Ampullen füllt. Ausgangspunkt war also immer ein normales, vollwertiges Grippevirus.

Die Methode auf Basis von mRNA geht anders vor. Ausgangspunkt sind Stücke von mRNA, die den Bauplan für ein Bruchstück des Virus bilden. Den Botenstoff hüllen die Wissenschaftler in Gebilde aus Fettmolekülen. Hier liegt das besondere Geheimwissen von BioNTech, CureVac und Moderna. Sie haben Verfahren, um empfindliche mRNA so einzukapseln, dass sie sich spritzen lässt. Ohne die schützende Hülle würde der Wirkstoff im Blut des Patienten sofort zerfallen.

Bruchstücke des Virus sollen Immunsystem anregen

Mit der Hülle hat es aber noch eine zweite Bewandtnis. Sie ist so gebaut, dass sie mit der Wand menschlicher Zellen reagiert. Der Effekt: Sie schleust die Boten-RNA in die Zelle ein. Diese beginnt nun den empfangenen Bauplan auszulesen und stellt eifrig die beschriebenen Moleküle her. Dabei handelt es sich jetzt um originalgetreue Bruchstücke des Virus. Im aktuellen Fall wären das Beispielsweise Hüllenbestandteile von Sars-CoV-2.

Statt also die Impfsubstanz in Hühnereiern heranzuzüchten wie bei der Grippeimpfung, regt der neuartige Impfstoff den Körper dazu an, sie selbst herzustellen. Sie überredet die eigenen Zellen, Bruchstücke des Feindes herzustellen. Das eigene Immunsystem identifiziert diese Virenteile dann als potenziell gefährlich. Es bildet Antikörper. Fortan ist es gegen Covid-19 gewappnet.

US-Konkurrenz ist ein Schritt weiter

Der große Vorteil dieser Methode ist die Geschwindigkeit in der Gewinnung des Impfstoffs. Weil die Produktion im Zweifelsfall sehr schnell geht, können auch Tests viel früher beginnen. Der US-Konkurrenz liegt hier jedoch bereits eine Nasenlänge vor den Deutschen. Moderna aus Cambridge hat am Montag mit ersten Versuchen an Menschen begonnen. Das ist ein mutiger Schritt. Üblich wären zunächst umfangreiche Tierversuche. „Doch ein Beleg der Wirksamkeit an einem Tiermodell wäre hier nicht zielführend“, sagte Tal Zaks, Vorstandsmitglied für Medizin bei Moderna.

Das alles heißt nicht, dass die Impfstoffe noch viel früher kommen als erhofft. Die in der Öffentlichkeit genannten Zeiträume von rund einem Jahr bis zur echten Marktreife sind bereits enorm knapp bemessen. Früher dauerte die Entwicklung eines Impfstoffs mehrere Jahre – allein die vorsichtigen Tests auf Verträglichkeit lassen sich kaum abkürzen, schließlich können sich auch Wochen nach der Injektion Spätfolgen einstellen. Auf eine Impfung gegen HIV wartet die Welt seit 1984 vergeblich.

Vielleicht läuft der mRNA-Ansatz auch in eine bisher nicht vorhersehbare Sackgasse. Dennoch sehen Wissenschaftler hier eine Chance, schneller als je zuvor einen brauchbaren Wirkstoff zu bauen – noch vor der befürchteten zweiten Corona-Welle im kommenden Winter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.