Corona-Pandemiepläne: Organisierte Planlosigkeit

Sars-CoV-2 hat Deutschland erreicht. Mit Pandemieplänen von gestern sind wir leider nicht sehr gut vorbereitet.

Ein Mann hält sechs Flaschen Desinfektionsmittel in den Händen

Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln ist wegen des Coronavirus stark gestiegen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die Welt steht an der Schwelle einer Corona (COVID-19)- Pandemie. In Deutschland sind bereits über 1.000 Fälle bestätigt. Die Krankenhäuser bereiten sich auf einen Massenanfall Erkrankter vor, auf Bundesebene hat sich ein Krisenstab von Bundesgesundheits- und Innenministerium konstituiert und in den Supermärkten sind erste Hamsterkäufe zu beobachten. Auf allen Ebenen laufen die Pandemievorbereitungen auf Hochtouren. Wir dürfen uns glücklich schätzen; denn wir leben in einem hochentwickelten, wohlhabenden Land mit exzellenter medizinischer Versorgungsstruktur.

Dennoch sind wir rechtlich erschreckend schlecht aufgestellt, was im schlimmsten Fall Menschenleben kosten kann. Schon die „Schweinegrippepandemie“ 2009 und der EHEC-Ausbruch 2011 boten genug Anlass, die deutsche Organisationsstruktur zur Seuchenbekämpfung zu überdenken. Gleichwohl ist hierzulande – frei nach dem Motto „Ist ja nochmal gut gegangen“ – seitdem wenig passiert.

Unsere föderal strukturierte Rechtsordnung ist für saisonale Grippewellen gut gerüstet. Das Infektionsschutzgesetz hält einen breiten Maßnahmenkatalog für die Gesundheitsbehörden der Länder bereit. Schon gegenüber bloß „Ansteckungsverdächtigen“ können berufliche Tätigkeiten verboten oder unter bestimmten Voraussetzungen sogar Quarantäne angeordnet werden. In der Pandemiesituation ist die Kleinstaaterei dagegen ineffektiv. Möchte man etwa – wie aktuell in Italien – durch Schulschließungen die Ausbreitung einer Krankheit aufhalten, dann muss man sie in allen Ausbruchsgebieten gleichzeitig anordnen, um die Ausbreitung der Infektionskrankheit zu verzögern.

Juniorprofessorin (Tenure Track) für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihr 2017 erschienenes Buch „Risiko und Recht. Risiken und Katas­trophen im Spannungsfeld von Effekti­vität, demokratischer Legitimation und rechtsstaatlichen Grundsätzen am Beispiel von Pandemien“ befasst sich mit Pandemiekatastrophen.

Das kann nur gelingen, wenn man Bundesministerien oder -behörden eine entsprechende Weisungsbefugnis gegenüber die Landesgesundheitsbehörden einräumt. Ansonsten kann jeder Oberbürgermeister und Landrat frei entscheiden, ob er der Empfehlung der Bundesbehörden folgt oder nicht. Derzeit fehlt es an verbindlichen Bestimmungen, um die Maßnahmen bei bundeslandübergreifenden Seuchenausbrüchen zu koordinieren.

Wie schlecht Deutschland organisatorisch auf Pandemien vorbereitet ist, zeigt sich auch am desolaten Zustand der sogenannten Pandemiepläne. Problematisch ist schon, dass die darin enthaltenen Empfehlungen auf Influenzapandemien zugeschnitten sind. Was davon nun auf den Corona-Ausbruch übertragbar ist, bleibt unklar. In den Plänen werden Vorbereitungs- und Bekämpfungsmaßnahmen sowie Kriterien für die Vergabe knapper Medikamente beschrieben. Die konkreten Empfehlungen orientieren sich eng an den Pandemiestufen der Weltgesundheitsorganisation. Allerdings hat die Weltgesundheitsorganisation ihr Pandemie-Phasenmodell mehrfach geändert. Statt früher sechs Pandemiephasen gibt es nur noch vier. Der Bundespandemieplan wurde darauf angepasst.

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Die ganz überwiegende Zahl der Landespandemiepläne ist dagegen hoffnungslos veraltet. Viele der Pläne sind über zehn Jahre alt. Lediglich drei Länder, Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, verfügen über operable Dokumente. Viele Bundesländer sind daher de facto planlos. Man kann darauf hoffen, dass besonnene Landesbeamte gleichwohl wissen werden, was zu tun ist. In der Regel führt Planlosigkeit in einer Katastrophensituation jedoch eher zu Koordinationsproblemen, uneinheitlichen Entscheidungen und Fehlern. Während der Schweinegrippepandemie resultierte daraus eine derartig widersprüchliche Öffentlichkeitsarbeit der verschiedenen Behörden, dass die verunsicherte Bevölkerung größere Angst vor der Impfung entwickelte als vor der Seuche selbst. Während der EHEC-Krise wurden völlig unbeteiligte Gemüsebauern in die Insolvenz getrieben.

Um die Koordinierungsprobleme zu bewältigen, fordert der Bundespandemieplan ab einer bestimmten Gefährdungsstufe richtigerweise, auf Bundesebene Krisenstäbe, Expertengremien und Bund-Länder-Arbeitsgruppen zur bundeslandübergreifenden Koordination zu bilden. Diese Gremien wurden im Hinblick auf die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus bereits eingesetzt. Was in der Berichterstattung jedoch völlig untergeht, ist, dass es sich bei den Pandemieplänen um rechtlich völlig unverbindliche Texte mit Empfehlungscharakter handelt. Rechtlich verbleiben alle wesentlichen Kompetenzen auf Landesebene. Die Bundesministerien, Krisenstäbe, Expertengremien und das Robert-Koch-Institut verfügen lediglich über Informations-, aber nicht über Entscheidungsbefugnisse.

Um in Deutschland bessere Rechtsgrundlagen zu schaffen, kann man sich gut am Epidemiengesetz der Schweiz orientieren. In diesem Gesetz werden der Regierung und dem Gesundheitsministerium für besondere und außergewöhnliche Lagen besondere Koordinierungs- und Entscheidungsbefugnisse zuerkannt. Speziell für die Pandemiepläne (in der Schweiz: Notfallpläne) sieht das Gesetz eine kontinuierliche Fortschreibungs- und Koordinationspflicht vor. Schließlich enthält die auf Grundlage des Gesetzes erlassene Epidemienverordnung Bestimmungen dazu, wie knappe Medizinprodukte bevorratet und verteilt werden können. In Deutschland fehlt es an solchen Regelungen, so dass schon jetzt kaum noch Atemschutzmasken zu bekommen sind. Zugleich gehen in deutschen Apotheken fiebersenkende Medikamente zur Neige.

Zum Glück ist die Mortalitätsrate von COVID-19 nicht so hoch wie ursprünglich befürchtet, so dass kein Grund besteht, in Panik auszubrechen. Doch das Pandemierisiko ist allgegenwärtig. Angstvoll blicken Gesundheitsexperten der WHO auf verschiedene Influenzavirusstämme. Das Virus A(H5N1), das zum Glück noch nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist, hat beispielsweise eine Mortalitätsrate von 60 Prozent. Sollte dieses Virus je die Fähigkeit entwickeln, sich über Tröpfcheninfektionen zu verbreiten, so wird jeder Fehler im Umgang mit der Seuche in Menschenleben bezahlt. Wir sollten daher die derzeitige gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite zum Anlass nehmen, das deutsche Infektionsschutzrecht um verbindliche Bestimmungen für Pandemiesituationen zu ergänzen.

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ist Juniorprofessorin (Tenure Track) für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihr 2017 erschienenes Buch „Risiko und Recht. Risiken und Katas­trophen im Spannungsfeld von Effekti­vität, demokratischer Legitimation und rechtsstaatlichen Grundsätzen am Beispiel von Pandemien“ befasst sich mit Pandemiekatastrophen.

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