Eine Hirtin mit Schafen auf einer Ebene vor einem Gebirge. Sie hält einen Stock in die Höhe

Eine Hirtin aus dem Jordantal treibt ihre Herde fort, israelisches Militär hat sie dazu aufgefordert Foto: Keren Manor-Lauken

Vor der Wahl in Israel:Wem gehört das Jordantal?

Benjamin Netanjahu und Benjamin Gantz wollen das Jordantal annektieren, wenn sie die Wahl am 2. März gewinnen. Was würde die Annexion ändern?

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29.2.2020, 13:43  Uhr

Morgens um acht herrscht auf den steinigen Hügeln des Jordantals eine Stille, die es nur in der Wüste gibt. Von politischen Diskussionen ist hier, ein wenig außerhalb des palästinensischen Dorfs Al-Auja, nicht viel zu spüren. Noch sind die Schafe und Ziegen nicht beim Weiden, noch fährt das israelische Militär nicht mit seinen Jeeps über die Hügel.

Das Jordantal, dieser friedlich wirkende Landstrich an der Grenze zu Jordanien, zieht sich am Fluss Jordan vom See Genezareth zum Toten Meer hinab und ist in Israel zum zentralen Wahlkampfthema geworden. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will das Jordantal annektieren, wenn er die Wahl am 2. März gewinnt.

Auch der Oppositionsführer Benjamin Gantz befürwortet eine Annexion. Weder Netanjahu noch Gantz haben bei der Wahl im September eine Mehrheit zur Regierungsbildung zustande gebracht, deswegen wird am Montag wieder gewählt, zum dritten Mal in einem Jahr. Im Januar, nachdem Donald Trump seinen Friedensplan für den Nahostkonflikt vorgestellt hatte, sah es kurz nach einer schnellen Annexion aus. Doch das Weiße Haus verkündete umgehend, es werde dies vor den Wahlen nicht unterstützen.

Das Jordantal ist doppelt so groß wie das Land Berlin, 65.000 Palästinenser*innen und 11.000 israelische Siedler*innen leben hier. Das Land am Jordan ist fruchtbar, doch die Lebensbedingungen sind harsch. Im Sommer steigen die Temperaturen auf über 40 Grad. Was jetzt im Winter auf den endlos sich ins Weite ziehenden Hügeln noch grün ist, ist dann verbrannt.

Ein Landstrich als Pufferzone

Die Idee einer Annexion des Jordantals ist nicht neu. Seit der israelischen Besetzung im Westjordanland in der Folge des Sechstagekriegs 1967 haben israelische Politiker*innen sie immer wieder angekündigt. Im sogenannten Allon-Plan von 1970, in dem es um die Aufteilung des Westjordanlandes zwischen Israel und Jordanien ging, war sie beispielsweise anvisiert, aus militärischen und zionistischen Gründen: Der Landstrich sollte eine Pufferzone bilden, wenn Panzer aus den verfeindeten arabischen Saaten gerollt kämen. Die ersten Siedlungen wurden hier in den 1970er Jahren als Bollwerke gegen die Feinde gegründet.

Jetzt, im Wahlkampf, sprechen Netanjahu, Gantz und Trump wieder über eine Annexion. Welche Folgen hätte sie für die dort lebenden Menschen – für Paläs´tinenser*innen und israelische Siedler*innen?

Der Klang von Schafglocken kündigt Naima Omm Khaled kurz vor neun Uhr morgens an. Sie treibt ihre fünfzig Schafe über die steinigen Hügel, um sie auf den Weiden vor dem Dorf Al-Auja in der Nähe von Jericho grasen zu lassen. Eingehüllt in dunkle Tücher, schwingt sie ihren Stock, um die Herde zusammenzuhalten. Ein Basecap schützt sie vor der Sonne. Zwei palästinensische Jungen reiten auf Eseln durch die Schafherde.

Seit Generationen lässt die Familie von Naima Omm Khaled ihre Tiere auf den Hügeln vor Al-Auja weiden. Sie leben davon, verkaufen Milch und Butter. Wie die meisten Palästinenser*innen in diesem wenig besiedelten Gebiet ist sie Beduinin. Doch im Unterschied zu vielen anderen Beduin*innen lebt sie nicht in einem Zelt, sondern in einem kleinen Haus, das nur wenig Platz für ihre neunköpfige Familie biete.

„Außenposten“, das klingt nach einer Bruchbude

Naima Omm Khaleds Mann ist krank und kann nicht arbeiten. „Selbst wenn er könnte: Es ist schwer, Arbeit zu finden“, sagt sie und macht einen Laut, um ein Schaf zur Herde zurückzutreiben. Fließendes Wasser hat die Familie nicht. „Nur den Regen, der fällt, und Wasserquellen.“ Omm Khaled zeigt auf eine Siedlung in der Ferne und sagt: „Seit Omer Atidia hier ist, habe ich Angst um unsere Existenz.“ Deshalb möchte sie auch nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden.

Der Ort, auf den Omm Khaled zeigt, liegt etwa einen Kilometer entfernt: Häuser, Traktoren stehen unter langen, weißen Dächern. Dahinter liegt ein Dattelpalmenwald. Der Farmer Omer Atidia hat dort vor siebzehn Jahren auf dem Gelände einer ehemaligen Militärbasis einen sogenannten Außenposten aufgebaut.

Nach israelischem Recht ist ein Außenposten eine illegale Siedlung im Westjordanland. „Außenposten“, das klingt nach einer Bruchbude, schnell aufgebaut und vom Abriss bedroht. Fährt man die steinige Straße hoch zur Farm von Omer Atidia, ist von Illegalität wenig zu spüren: Der Hof wird mit Elektrizität und Wasser von israelischen Betrieben beliefert und kann eine Dattelplantage, Tausende von Schafen, Weiden und Gemüsegärten durch ein Bewässerungssystem versorgen.

ein Soldat und eine Soldatin vor einem wüstentauglichen Fahrzeug

Israelische Soldat*innen im Jordantal Foto: Keren Manor-Lauken

Unterstützt wurde Omer Atidia von der Bewegung „Amana“, die es sich auf ihre Fahne geschrieben hat, das Westjordanland mit israelischen Siedlungen zu bevölkern. Den Nachnamen Atidia hat sich der Siedler, ein ranghoher Reserveoffizier, selbst gegeben. „Zukunft Gottes“ heißt er übersetzt.

„Du musst Stellung beziehen“

Die Hirtin Omm Khaled sagt, dass Atidia die Tiere nicht dort grasen lasse, wo es genug zu futtern gibt. Als sie einmal gemeinsam mit ihrem Sohn ihre Schafe auf die Weide geführt habe, seien Siedler*innen mit einem Traktor direkt auf ihren Sohn und die Herde zugefahren. Oft seien es aber gar nicht Atidia oder die anderen Siedler*innen, die die Hirt*innen davon abhalten, ihre Tiere auf die Weide zu führen. Meistens seien es Soldaten, sie legten ihr und den anderen Hirt*innen einen Zettel mit hebräischem Text vor, den sie nicht verstehen, und vertrieben sie von den Weiden. Omm Khaled spielt ein Video auf ihrem Handy ab, es zeigt Soldaten, die die Herde auf die andere Seite des Hügels treiben, wo es nichts zu grasen gibt, einer schubst ein Schaf, es stolpert.

Vor zwei Jahren haben die Hir­t*in­nen die Organisation„Ta’ayush“ um Hilfe gebeten.„Ta’ayush“ bedeutet „Zusammenleben“. Gegründet wurde die Akti­vist*innengruppe 2000 in Kfar Kassem, einer arabischen Stadt in Israel, um dem Rassismus und der Segregation der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Seitdem die Aktivist*innen kommen, um die Hirt*innen und deren Schafe zu beschützen, traut Omm Khaled sich wieder auf die Weiden vor Al-Auja.

Eine der Aktivist*innen von Ta’ayush ist Ada Bilu. Die 57-jährige Israelin lebt in Jerusalem, wenn ihre Arbeit als Feldenkrais-Lehrerin es erlaubt, trifft sie sich gegen sieben Uhr morgens mit anderen Aktivist*innen und fährt mit ihnen durch die Judäische Wüste, ins Jordantal, durch Checkpoints, an israelischen Siedlungen und palästinensischen Dörfern vorbei bis nach Al-Auja. So wie heute. Nachdem sie und zwei weitere Aktivist*innen angekommen sind, blicken sie den Herden aus dem Tal entgegen und winken den Hirtinnen zu. „Wenn du in einem Land leben willst, in dem es eine so große moralische Frage gibt, musst du Stellung beziehen“, sagt Bilu. Auch sie weiß, wie man sich vor der Sonne im Jordantal schützt. Sie trägt einen Schlapphut und lange Kleidung: „Wir helfen Hirt*innen, ihr Land zu betreten. Das ist meine Form des Aktivismus.“ Sie schaut auf die Uhr. „Vermutlich kommt das Militär gegen elf. Letzte Woche sind sie jeden Tag gekommen.“

An diesem Tag kommt das Militär schon um zehn. Ein Jeep fährt von der Straße ab und hält auf einem Hügel in der Nähe von Naima Omm Khaleds Herde. „Omer Atidia hat quasi eine Privatarmee hier, die seine Befehle ausführt“, sagt Bilu, während sie auf den Militärjeep zugeht: „Er hat Verbindungen in die obersten Einheiten des Militärs. So kann er sich immer mehr ausbreiten und die Hirt*innen verdrängen.“ Eindeutige Beweise für die engen Beziehungen zwischen Atidia und dem Militär gibt es nicht. Doch laut der Aktivist*innen von Ta’ayush geben die Soldat*innen oft selber zu, dass ­Atidia sie bittet, auf die Weide zu fahren.

Wem gehört das Land?

Den Tag über durchqueren zahlreiche Militärjeeps den Außenposten. Hier, auf den Weideflächen vor Al-Auja, passiert nahezu jeden Tag das Gleiche: Israelische Soldaten erklären das Gebiet zur militärischen Zone, so verbieten sie den Hirt*innen den Zugang zu dem Gelände. „Nach israelischem Recht kann das Militär nicht jeden Tag neu ein Gelände zur geschlossenen militärischen Zone erklären, ohne den Konflikt, den es gibt, zu lösen. Doch das versuchen sie nicht, das Vorgehen ist illegal“, sagt Bilu, während Naima Omm Khaled ihre Tiere antreibt, weg vom Jeep und den Soldat*innen. „Unsere Anwesenheit sorgt dafür, dass die Soldat*innen die Hirt*innen nicht ganz so weit vertreiben“, sagt Bilu. „ohne uns würden sie sie noch über den nächsten Hügel schicken.“

Im Militärjeep, auf den Bilu und die beiden anderen Aktivist*innen zugelaufen sind, sitzen drei Soldat*innen Anfang zwanzig. Sie halten Maschinenpistolen auf dem Schoß. Der Soldat auf dem Beifahrersitz kurbelt das Fenster herunter: „Das Land ist militärische Zone. Das Papier ist unterwegs. Können wir das hier und jetzt klären, oder müssen wir es euch erst vorlegen?“, fragt er die Aktivist*innen.

„Was ihr macht, ist illegal!“ ruft ein Aktivist.

„Warum illegal?“, ruft der Soldat zurück: „Das ist israelisches Land.“

ein Haus mi Bäumen und Büschen daneben und davor. Auf der Terrasse sitzt ein Mann im Schneiderseitz

Die Farm von Omer Atidia, einem israelischen Siedler im Jordantal Foto: Keren Manor-Lauken

Bilu korrigiert ihn: „Das ist Land der Waqf.“

„Land von wem?“, fragt der Soldat. Es wirkt so, als wüsste er wirklich nicht, von wem die Rede ist.

Wem gehört das Land? Die Antwort hängt im Jordantal immer auch davon ab, ob man sich auf israelisches oder auf internationales Recht beruft. Nach israelischem Recht sind viele Siedlungen im Westjordanland legal. Sogenannte Außenposten wie der von Atidia sind illegal – doch viele mittlerweile legalisierte Siedlungen haben einmal als illegale Außenposten angefangen. Die internationale Staatengemeinschaft hingegen sieht in den israelischen Siedlungen im Westjordanland einen Verstoß gegen internationales Recht.

Als sei das Jordantal schon annektiert

Das Weideland vor Al-Auja ist Territorium der Waqf, einer islamischen Stiftung, die die heiligen Stätten in Jerusalem verwaltet, aber auch Land im Jordantal besitzt. Auch der Außenposten von Omer Atidia steht zu großen Teilen auf Waqf-Gelände, andere Teile seiner Farm sind Privatbesitz von Palästinenser*innen. „Das wissen die meisten Soldat*innen nicht, die die Hirt*innen vertreiben“, sagt Itay Mack, israelischer Menschenrechtsaktivist und Anwalt der Ta’ayush-Aktivist*innen, am Telefon.

Mack sagt, dass höherrangige Offiziere ihm vor Gericht darin zugestimmt hätten, dass das Land Eigentum der Waqf ist. Er fragt sich nun: „Warum geben die Offiziere dieses Wissen nicht an die Soldat*innen weiter? Vielleicht weil es so bequemer ist?“

Ada Bilu, israelische Aktivistin

„Die Israelis haben mehr Angst vor einer Annexion als die Palästinenser“

Bilu, die zusammen mit den beiden anderen Aktivist*innen immer noch auf dem Weideland unterwegs ist, sieht es so: „Ich sage den Rechten und den Soldaten immer: ‚Jalla, annektiert bitte. Dann müssten wir den Palästinenser*innen wenigstens auch dieselben Rechte geben, das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft, Zugang zu Wasser, zu Elektrizität.‘ “ Genau deswegen aber glaubt sie nicht daran, dass es in nächster Zeit zu einer Annexion kommt. „Die Politiker machen großen Wind mit der Idee, um zu zeigen, dass sie die Rechtesten, Patriotischsten sind. Aber am Ende haben die Israelis vor einer Annexion viel mehr Angst als die Palästinenser*innen.“ Sie blickt auf die Soldat*innen und zum Outpost von Atidia und sagt: „Ohnehin verhalten sich alle so, als sei das Jordantal schon annektiert.“

In dieser Einschätzung sind sich viele Aktivist*innen einig. 90 Prozent des Jordantals sind seit dem Oslo-Abkommen 1995 C-Gebiet, stehen also unter israelischer Kontrolle. Die israelische Zivilverwaltung erteilt Palästinenser*innen für diese Gebiete so gut wie keine Baugenehmigungen, weder für Wohnhäuser noch für landwirtschaftliche Gebäude. Stattdessen kommt der Großteil israelischen Siedlern zugute. Nur die Stadt Jericho und zwei, drei kleine Flecken sind A-Gebiet, Inseln palästinensischer Autonomie inmitten israelischer Kontrolle. Das Jordantal ist der wohl ärmste Landstrich des Westjordanlandes, von den dort lebenden Palästinenser*innen ist wenig Widerstand zu erwarten.

Es ist schwer zu beweisen, wem das Land gehört

Ob das Weideland vor Al-Auja im Falle einer Annexion im Besitz der Waqf bleiben oder enteignet würde, ob Palästinenser*innen tatsächlich die israelische Staatsbürgerschaft erhalten würden oder sie diese, wie in Jerusalem, nach Antragstellung erhalten könnten – all das ist unklar. Fragt man Naima Omm Khaled, was sie über eine Annexion denkt, sagt sie: „Die Situation wird sich ändern, wenn der Friedensprozess voranschreitet und es eine Einigung zwischen Palästinensern und Israelis gibt.“ Annexion oder nicht Annexion – für Omm Khaled ist vor allem eines relevant: ob sie ihre Schafe und Ziegen auf die Weide führen kann. „Futter für sie zu kaufen – das können wir uns nicht leisten.“

Mack, der Menschenrechtsaktivist und Anwalt, glaubt, dass es im Fall einer Annexion vor allem leichter für die israelische Regierung wird, die palästinensische Bevölkerung zu evakuieren. „Die meisten Palästinenser*innen im Jordantal leben in traditionellen Gemeinschaften. Kaum jemand ist offiziell registriert, genauso wenig ihr Land.“ Es wird schwer für sie, zu beweisen, dass das Land, auf dem sie leben und arbeiten, ihr Land ist.

Fragt man die Soldat*innen, was sie von einer Annexion halten, schütteln sie den Kopf. Sie wollen sich nicht äußern. Dann platzt es aus der Soldatin, die am Steuer des Jeeps sitzt, doch heraus: „Das ist unser Land. Nichts Besseres zu tun, als solche Fragen zu stellen?“ Der Soldat auf dem Beifahrersitz legt ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

Kurz darauf erhalten die Soldat*innen einen Anruf und fahren auf Omm Khaleds Herde zu. Bilu und die beiden anderen Aktivist*innen laufen hinterher. „Wenn sie in die Herde hineinfahren, “, ruft Bilu, „filmt es!“

„Immerhin hat er Skrupel“

Der Jeep fährt nicht in die Herde. „Das ist nicht immer so“, sagt Bilu. Sie zeigt auf den nächsten Hügel: „Da ist A-Gebiet, unter palästinensischer Kontrolle. Mal sehen, ob sie die Schafe auch von dort vertreiben.“ Eine Drohne schwirrt über den Herden. Von wo aus sie gesteuert wird, ist unklar, möglicherweise von einer Militärbasis in der Nähe.

Auch einem Soldaten ist offensichtlich nicht wohl dabei, die Herde weiter zu vertreiben. Er steht außerhalb des Jeeps und telefoniert: „Aber da ist doch A-Gebiet!“, ruft er entrüstet ins Handy, „Omer beschwert sich auch, wenn die Schafe dort grasen!“

Bilu lacht bitter, als sie das hört: „Immerhin hat er Skrupel. Aber man sieht: Eine ganze Armee erfüllt die Wünsche eines Außenpostens.“

Versucht man, Omer Atidia in seinem Außenposten persönlich zu treffen, wird man von Soldat*innen in Empfang genommen: „Omer ist heute nicht da“, sagt eine Soldatin. „Er ist bei seiner Mutter.“ Sie zeigt auf eine Ansammlung von Häusern auf der Hügelspitze, etwa hundert Meter entfernt. „Dort findet ihr vielleicht jemanden.“

Zwei Kinder liegen im Gras und lesen. Der Schreiner des Außenpostens zeigt ein paar Besucher*innen Möbel, die er gebaut hat. Netanel Weizman – sein Name ist geändert – sitzt auf einer Bank vor einem Essensraum der Farm. Die Familie von Atidia, Mitarbeiter*innen und vierzehn Jugendliche, die wegen Verhaltensproblemen auf die Farm geschickt wurden, leben hier. Auch Weizman war einer von ihnen. Der Mittzwanziger flog als Teenager aus seiner Jeschiwa, einer Schule, an der sich Juden ausschließlich der religiösen Bildung widmen. Sein Rabbi hatte ihm einen Aufenthalt auf Atidias Farm empfohlen.

Netanel Weizman, israelischer Siedler

„Wenn sie unser Land betreten, dann rufen wir das Militär“

„Die Arbeit auf dem Feld macht einen besseren Menschen aus dir“, sagt Weizman und streicht sich durch den Bart: „Ich habe hier mit Omer und seiner Frau meine Familie gefunden.“ Auf dem Kopf trägt Weizman eine bunte gestrickte Kippa, die Kippa der religiös-zionistischen Siedler, die für ein Groß-Israel kämpfen und sich dabei auf die Thora berufen. Heute ist er nur zu Besuch hier, er lebt seit einer Weile in einer Siedlung südlich von Hebron. Spricht man ihn auf die Möglichkeit einer Annexion an, sagt er: „Ich glaube nicht, das sich etwas ändert. Wir leben jetzt schon hier – und wir leben gut.“ Das Militär werde ohnehin bleiben, es sorge für Sicherheit. „Auch für die Sicherheit der Palästinenser*innen“, fügt er hinzu. „Jeder bleibt, wo er ist, und es funktioniert. Und wenn sie unser Land betreten, dann rufen wir das Militär.“

Die trügerische Stille bleibt

Fragt man Weizman, wie es sich anfühlt, Frieden mit Militär durchzusetzen, antwortet er: „ Die Palästinenser wollen Verantwortung. Aber dann geben sie die Verantwortung in die Hände einer Regierung, die nicht für sie sorgt. Wir aber sorgen für sie. Wir geben ihnen Wasser, wir geben ihnen Elektrizität.“

Hinter Weizman liegt das grüne Tal, auf dem Omer Atidia die Schafe und Ziegen von Naima Omm Khaled nicht weiden lässt. Weizman lächelt, wenn er sagt: „Ich persönlich glaube, dass Israel uns gehört. Das steht schon in der Thora. Ich habe kein Problem mit Leuten, die hier leben möchten. Wenn sie in Frieden mit uns leben können.“ Dann fährt er fort: „Wir Juden können nirgendwo anders hin. Die Palästinenser sind Araber, es gibt so viel Platz in den arabischen Ländern. Ich möchte keine Menschen aus ihren Häusern schmeißen, aber für solche, die nicht friedlich mit uns leben wollen, gibt es eine Menge Orte, an die sie gehen können.“

Mittlerweile ist es zwei Uhr nachmittags. Die Soldat*innen auf dem Weideland haben sich zurückgezogen. „Die Tiere haben gefressen“, sagt Ada Bilu und lächelt. „Das ist das Wichtigste. Ein relativ ruhiger Tag.“

Ein paar Tage später, als die Aktivist*innen wieder ins Jordantal fahren, werden sie bedroht, von einer Gruppe vermummter Männer. Ein Video zeigt, wie die Männer „Haut ab!“ rufen und den Aktivist*innen Pfefferspray vor die Augen halten. Als diese weggehen, wirft einer der Männer einen Stein nach ihnen.

Für heute herrscht im Jordantal diese besondere Stille, die es nur in der Wüste gibt. Vermutlich wäre sie dieselbe nach einer Annexion: trügerisch und brüchig.

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