Debatte um Verschleierung: Sehen und sehen lassen

Der Frauenfeind, das sind immer die anderen: Was steckt hinter der Aufregung übers ach so fremde Kleidungsstück?

Ein Mädchen mit JKopftuch von hinten

Nicht flach und doch Projektonsfläche für allerlei: Tuch um Schülerinnenkopf Foto: Bernd Thissen/dpa

HAMBURG taz | Treffen sich zwei Frauen. Die eine sagt, die andere sei weniger frei, als sie es sein könnte, ja: müsste. Denn diese Zweite trägt ein Kleidungsstück, das eigentlich nicht nötig ist; eines, das vielmehr den Ansprüchen anderer genügen will, denen von Männern – und glaubt auch noch, sie tut das freiwillig. Klarer Fall von Unterdrückung, weiß aber die andere: Unterdrückung, der sich die Unterdrückte naturgemäß gar nicht bewusst sein kann.

Klarer Fall? Und wenn sich dieses Gespräch gar nicht dreht um die so eindeutig als „fremd“ lesbaren, erkennbar anderen „Kulturkreisen“ entstammenden Gesichtsschleier Burka oder Nikab? Nehmen wir an, das heikle Kleidungsstück sei der Büstenhalter – und es unterhielten sich zwei Angehörige unterschiedlicher Generationen von Feminismus. Das textile Joch abzulehnen (und abzulegen), das wäre für die eine dann folgerichtig, sogar zwingend; die andere fände es hingegen übertrieben.

Zugegeben: Klingt nach Whataboutism, dieser insbesondere online so beliebten Ablenkungsrhetorik – „Du wirst auf ein schlimmes X angesprochen? Aber war denn Y nicht mindestens so schlimm?“. Aber die Zutaten lassen sich ja doch dingfest machen, schon in den Diskussionen ums Kopftuch, und erst recht, wenn es um die noch extremeren Verhüllungsvarianten geht. Soll doch die individuelle Burkaträgerin erklären, sie fühle keinen Zwang und werde nicht erniedrigt: Das überzeugt doch keine*n Kritiker*in.

Es ist, pardon, ein Kreuz mit der Verschleierung. Das dahinter stehende Menschen-, besser: Manns-Bild – zum Heulen (außer dass genau die Männer, die es anginge, sich das ja selten erlauben). Weil die beteiligten Typen sich untenrum nicht beherrschen können könnten, müssen die Objekte der potenziell überbordenden Begierde sich verhüllen? Nein, das kann ganz sicher nicht zu uns gehören.

Projektionsfläche Frau

Bloß: Wer sich allzu behaglich zurücklehnt, sich ausruht auf der eigenen, all den Bronzezeitscheiß hinter sich lassenden Fortschrittlichkeit, der liegt auch daneben. Nicht nur ist solches Projizieren von Verantwortung auf die Frau keine exklusive Eigenschaft des Islams. Dass Frauen Leiber haben und die ein Problem darstellen, angeblich: Das haben sie sich in den anderen sogenannten abrahamitischen Religionen ja nun mindestens so sehr erzählt (und tun es noch).

Wie viele derer, die, wo’s passt, weibliche Autonomie vor muselmännlicher Tyrannei beschützen zu wollen vorgeben: Wie viele von denen erlauben denselben Frauen nicht, eine Schwangerschaft abzubrechen? Wie sehr geht es säkularen Frauenfreunden darum, selbst zu kontrollieren – ehe es der ach so andere macht?

Historisch gesehen ist der verschleierte Frauenkörper viel weniger eindeutig eine Sache der Religion, dafür sehr wohl eine der Markierung von Einflusssphäre, von Kontrolle. Ausdrücklich die Abwehr dessen, was damals von Konstantinopel aus als „westliche Einflüsse“ verstanden werden konnte, spielten mit, als im späten 19. Jahrhundert unter Sultan Abdülhamid II. der bis heute anzutreffende Nikab Einzug hielt. Kaum war der Sultan weg vom Posten, 1908, wurden auch die Tücher erst mal wieder weniger.

Und heute? Gehen Expert*innen wie die Gender-Studies-Professorin Anna Mansson McGinty davon aus, dass der Schleier wichtig ist insbesondere für Frauen, die sich selbst für den muslimischen Glauben entscheiden; demnach markiert er – vielleicht eher unterstellte als eindeutig gegebene – spezifisch islamische Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und Sittsamkeit.

Für so richtig Aufgeklärte ist freilich die Konversion nur die besonders krasse Ausprägung eines größeren Problems, das Glauben heißt. Warum aber ist, was diese Leute für Religionskritik halten, mitunter so gar nicht zu unterscheiden von der Gängelung derer, die einer – und oft nur einer bestimmten – Religion anhängen?

Nicht von ungefähr hat der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, der katholische Theologe Heiner Bielefeldt, im April 2015 das da recht frische Burkaverbot in Frankreich kritisiert: Es behandele die Trägerin „als Opfer und zugleich als Störerin“. Auch hat er gerade die Religionsfreiheit als „säkulares Menschenrecht“ bezeichnet, und aus dieser Paradoxie gibt es, scheint es, keine leichten Auswege. „Ich bin gegen die Burka“, hat Bielefeldt das auch noch formuliert, „und gegen ein Burkaverbot.“

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

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