Stiftungsfinanzierter Journalismus: Gemeinnütziger Retter

In den USA finanzieren immer mehr Stiftungen journalistische Projekte – vielleicht auch bald hier. Bleiben Redaktionen so unabhängig?

Drei Männer gucken in Redaktionsräumen auf einen Computer-Bildschirm

Der Newsroom von „ProPublica“ in den Anfängen 2010 Foto: Dan Nguyen/Propublica/picture alliance

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als hätte der Spiegel seine nächste Affäre. „Spiegel-Gate(s)“ titelte Anfang dieses Jahres das Magazin M der Deutschen Journalist*innen-Union, darunter eine Beobachtung: Einerseits lässt sich der Spiegel von der Stiftung um Software-Milliardär Bill Gates Recherchen zur „Globalen Gesellschaft“ finanzieren. Andererseits berichtete das Magazin – Überschrift: „Strahlend grün“ – recht wohlwollend über Terrapower. Die Firma will Atomkraft neu erfinden. Hauptinvestor: Bill Gates.

Das Gewerkschaftsmagazin schreibt zwar nicht direkt, Gates habe sich Berichterstattung gekauft. Allerdings gehe „die Trennschärfe zwischen werblichen und redaktionellen Inhalten“ verloren. Nun ließe sich über den Spin der AKW-Story im Spiegel inhaltlich streiten. Das macht M auch. Aber was ist mit dem mitschwingenden Verdacht, der Journalismus im Spiegel sei käuflich – nicht nur am Kiosk? An diesem Vorwurf hängt immerhin nicht zuletzt auch die Frage, wie gefährlich es ist, wenn Stiftungen journalistische Projekte fördern – ein Feld, das bald noch spürbar wachsen dürfte.

Der Spiegel ruft seinen Kritikern offiziell zu: „Absurd“! Wer sich im Verlag umhört, erfährt gleichwohl auch: Vor der Entscheidung für die Förderung habe man monatelang überlegt und mit der Stiftung von Bill und Melinda Gates verhandelt. Nicht zuletzt sei es darum gegangen auszuschließen, dass der Geldgeber Geschichten bestimmen könnte. Nun seien vier Themenfelder definiert, konkretes obliege aber allein der Redaktion.

Professor Volker Lilienthal, der an der Hamburger Universität Qualitätsjournalismus lehrt, beobachtet das Engagement der Stiftungen in den Medien. „Dahinter steht selbstverständlich der Wunsch, eine Agenda zu setzen“, sagt Lilienthal, „mindestens für ein Themenfeld, womöglich sogar für konkrete Projekte.“

Mehr als eine Milliarde Dollar

In den USA ist das längst ein etabliertes Feld. Die US-amerikanische Journalismusforscherin Magda Konieczna kam zu dem Schluss, dass Stiftungen dort allein zwischen 2009 und Mitte 2016 mehr als eine Milliarde US-Dollar in journalistische Projekte gepumpt haben. Der Non-Profit-Newsdesk ProPublica macht mit seinen investigativen Recherchen inzwischen etwa pro Jahr einen zweistelligen Millionenumsatz. Den Großteil des Budgets spenden zwei Milliardäre, die mit Immobilien zu Reichtum kamen.

Deutschland steht hier noch in den Startlöchern. Aber auch hierzulande finanzieren bereits einige Stiftungen journalistische Projekte. Die Brost-Stiftung hatte 2014 mit drei Millionen Euro das Recherchebüro Correctiv angeschoben. Die Klaus-Tschira-Stiftung finanziert mit jährlich 750.000 Euro das deutsche Science Media Center. Die Robert-Bosch-Stiftung bildet Journalist*innen in einer „Masterclass Wissenschaftsjournalismus“ fort und hatte unter anderem einen Austausch deutscher und chinesischer Journalist*innen, aber auch Berichte über Osteuropa finanziert. Die Schöpflin-Stiftung, die wie die Rudolf-Augstein-Stiftung viele kleinere Projekte unterstützt, plant sogar ein „Haus des Journalismus“.

Auch wenn Stiftungen „zweifellos Einfluss auf die Kommunikationsökologie der Gesellschaft“ ausübten, ist für Lilienthal die Frage, wie weit das im Einzelnen konkret in den „Schutzraum des Journalismus“ hineinrage. „Redaktionen oder auch einzelne Journalist*innen, für die Fördergelder mehr als nur ein Zubrot sind, setzen so ein Modell unter Stress“, erklärt Lilienthal. „Wenn die eigene Existenz daran hängt, wird man stets im Hinterkopf haben, dass die Förderung auslaufen wird und wird sich überlegen, was man tun muss, um wieder eine zu bekommen.“

Vorwürfe gegen den „Spiegel“

Beim Spiegel heißt es, man habe sich für die Förderung der Gates-Stiftung entschieden, weil eben keine Abhängigkeit entstünde. Die Redaktion leiste sich ohnehin eigene Reporter*innen im Ausland, klassisch finanziert mit Werbung und Abos. Die Förderung helfe dabei, die „globale Gesellschaft“ intensiver zu covern.

Anfang Januar twitterte Lilienthal noch über die Vorwürfe gegen den Spiegel: „Darf nicht wahr sein.“ Er reagierte seinerzeit auf den Tweet eines WDR-Journalisten. Der hatte wiederum notiert, das Magazin habe „scheinbar aus heiterem Himmel“ über Atomkraft als Mittel zur Lösung der Klimakrise berichtet – „jetzt kommen die wahren (Hinter-)Gründe ans Licht“.

Heute sagt Lilienthal, die Geschichte habe ihn „in einem ersten Reflex schon befremdet“. Er halte es aber „inzwischen für widerlegt, dass sie als Beispiel dafür taugt, wie ein Geldgeber die Inhalte der Redaktion beeinflusst, die er finanziert“.

Über das Spannungsverhältnis hat gerade eine von Lilienthals Absolventinnen, Anna Driftschröer, geforscht. Sie hat sowohl Journalist*innen interviewt, die von Stiftungen finanziert werden, als auch Vertreter*innen von Stiftungen. Das Ergebnis ist zwiespältig. Einerseits hätten die Stiftungsvertreter*innen berichtet, dass sie mit den geförderten Redaktionen „in einem eher engen Kontakt stehen“. Andererseits hätten die Journalist*innen allesamt erklärt, „bisher keine Erfahrungen gemacht zu haben, dass Förderer versuchten, die redaktionellen Inhalte oder die Art und Weise der Berichterstattung zu beeinflussen oder gar vorzugeben“. Zu diesem Ergebnis kam auch eine ähnliche Studie in den USA.

Driftschröers Dozent sieht in ihrem Befund eine gewisse Logik. „Die Augstein-Stiftung käme wohl kaum auf die Idee, Tichys Einblick zu finanzieren“, sagt Lilienthal, dessen Professur einst selbst von der Augstein-Stiftung gesponsert wurde. Stiftungen finanzierten vielmehr Projekte, die zur eigenen Haltung passten. „Und wenn es dann einen Einfluss gibt, wird das als guter Ratschlag empfunden, nicht als Einmischung.“

Es bleibt ein Dunkelfeld

Die Sache mit der Brandmauer zwischen Stiftungen und geförderten Journalist*innen bleibt also ein Dunkelfeld. Unterdessen lobbyiert eine Allianz aus Stiftungen, stiftungsfinanzierten Projekten und Journalistenverbänden dafür, dass bald noch mehr Stiftungen den Journalismus finanzieren. Der Hebel dafür soll eine Gesetzesänderung sein: Journalismus soll die Möglichkeit bekommen, als gemeinnützig zu gelten. Dieser Status sei für Stiftungen oft ein hartes Kriterium.

„Journalist*innen sollten keine akrobatischen Übungen vollführen müssen, damit ihre Projekte als gemeinnützig gelten können“, sagt die Geschäftsführerin der Rudolf-Augstein-Stiftung, Stephanie Reuter. Dabei gehe es vor allem um Rechtssicherheit: „Gerade Angeboten im Lokalen ist die Anerkennung über andere Zwecke der Abgabenordnung in der Vergangenheit versagt geblieben.“Tatsächlich müssen gemeinnützige journalistische Projekte derzeit mehr als die Hälfte ihrer Umsätze mit Bildungsarbeit erzielen, damit die Finanzämter ihnen den privilegierten steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit verleihen. Die Journalist*innen des Recherchebüros Correctiv halten dafür viele Vorträge zu Informationsfreiheitsgesetzen – Zeit und Energie, die für Recherchen fehlt.

Aber auch Vorkämpferin Reuter sieht bei aller Euphorie das Eigeninteresse vieler Stiftungen. Journalist*innen seien oft „wichtige Multiplikatoren für die jeweiligen Stiftungsthemen“ wie Umweltschutz. Ein Ausweg könne der Einsatz eines „Intermediärs“ sein: Stiftungen zahlten Geld in einen Topf, dann entscheide ein unabhängiger Dritter, was damit passiert. So könne „beispielsweise ein Verein wie Netzwerk Recherche als ‚Firewall‘ fungieren“.

Das Netzwerk Recherche (NR) hat sich auch dem Forum angeschlossen, das für die Gemeinnützigkeit und so letztlich für ein stärkeres Engagement von Stiftungen im Journalismus kämpft. NR-Projektleiter Thomas Schnedler warnt aber auch vor einem Risiko der Stiftungsfinanzierung: blinde Flecken in den Berichten. Ein No-Go sei in jedem Fall eine Kontrolle der Inhalte. Er habe aber auch „noch nie davon gehört, dass hierzulande Journalist*innen Stiftern die Berichterstattung vorab vorlegen mussten“.

Im Fall vom Spiegel sagt Schnedler, der mache bei dem Projekt „schon sehr viel richtig“. Er informiere ausführlich über diese Förderung, unter jedem Text des Ressorts „Globale Gesellschaft“. Optimal wäre, wenn der Spiegel sein Publikum auch selbst über die Fördersumme informierte.

Das hat der Spiegel bislang nicht getan, dies aber in dieser Woche nach einer Anfrage der taz nachgeholt. Inzwischen steht unter allen Texten die Summe: Die Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt das Projekt mit etwa 2,3 Millionen Euro, verteilt auf drei Jahre.

„Aber auch so ist ein Punkt offen: Wie steht es in der Praxis um die redaktionelle Unabhängigkeit?“, fragt Schnedler. Bereits der Anschein einer Abhängigkeit müsse vermieden werden. So einem öffentlichen Verdacht lasse sich allerdings auch nur schwer begegnen.

„Für etwas, das nicht passiert ist, gibt es ja keinen Beweis. Da müsste schon derjenige liefern, der das behauptet.“

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