Gesichtserkennung im Netz: Der neue Grusel
Ein US-Start-up hat neue Software zur Gesichtserkennung entwickelt. Grundlage: 3 Milliarden Fotos. Behörden und Unternehmen freuen sich.
Ein ziemlicher Albtraum? Auf alle Fälle. Aber die Technik, um genau das möglich zu machen, rückt immer näher. Aktuellster Fall: Clearview AI, ein US-Unternehmen, das drei Milliarden im Internet zugängliche Bilder eingesammelt und daraus eine Bilderkennungsdatenbank gemacht hat, wie eine Recherche der New York Times aufdeckt. Genutzt wird die Datenbank von US-Behörden, die zum Beispiel Verdächtige finden wollen, und auch von Unternehmen – wozu genau, das ist unbekannt.
Das Geschäftsmodell liegt in einem juristischen Graubereich, in dem technisch deutlich mehr geht, als bislang gemacht wird. Symptomatisch dafür ist die Aussage des damaligen Google-Chefs Eric Schmidt vor mittlerweile neun Jahren, dass man eine Bilderkennungsdatenbank nicht aufbauen wolle, selbst wenn das technisch machbar sei. Und im Nachsatz die Prophezeiung: Es werde aber ein anderes Unternehmen geben, das „diese Linie überschreiten wird“. Ja, das hätte sich dann spätestens jetzt bewahrheitet. Zumindest wenn man längst zur Verfügung stehende Technik nicht mitzählt, wie etwa die Rückwärtssuche von Fotos oder das namentliche Taggen in Online-Netzwerken.
Ein Geschäftsmodell wie das von Clearview führt dazu, dass Nutzer:innen die Kontrolle über ihre Bilder noch mehr verlieren: Eine Bild-Identitäts-Verknüpfung, einmal im Netz, ist die Grundlage für lebenslange Überwachung. Auch das Altern des Gesichts hilft da nicht viel, schließlich gibt es längst Software, die Fotos entsprechend verändert.
Überwachung, teils selbst gemacht
Dass Google sich in der Sache zurückhaltend gibt, hat wahrscheinlich weniger mit ethischen als mit strategischen Gründen zu tun: Wenn ein Konzern zu früh mit einer gruseligen Technologie an den Start geht, reagiert die Politik mit strenger Regulierung, die man natürlich vermeiden will. Also besser warten, bis die Zeit und vor allem die Menschen reif dafür sind.
Längst wird jeder Mensch fotografiert, und zwar ständig und überall – und wenn es keine Selfies sind, dann eben das Touristenfoto, auf dem auch unbeteiligte Passant:innen zu sehen sind. Ein guter Teil dieser Bilder landet im Netz, wo auf Plattformen wie Facebook Gesichter mit Namen versehen werden können und wo die Software immer besser lernt, wer wer ist. Und das ganz in Ruhe und mit deutlich mehr Material als bei Versuchen im öffentlichen Raum, wo die Erkennungsraten – etwa bei einem Pilotprojekt der Bundespolizei am Berliner Umsteigebahnhof Südkreuz – peinlich schlecht waren.
Auf diesen Misserfolgsquoten kann man sich also leider nicht ausruhen. Der nächste Schritt könnte etwas sein, das Clearview laut der New-York-Times-Autorin schon entwickelt hat, aber nicht auf den Markt bringen will: eine Brille mit entsprechender Vernetzung. Diskreter wären natürlich Kontaktlinsen, Googles Versuch, vor einigen Jahren so etwas wie eine Datenbrille auf den Markt zu bringen, ist schließlich nicht umsonst gefloppt.
Verbot für automatisierte Gesichtserkennung?
Wer Interesse daran haben könnte? Zum Beispiel Sicherheitsbehörden. Bodycams machen jetzt schon Polizeidienststellen glücklich, auch in Deutschland. Wie laut wäre der Jubel, würden die Identitäten der Gefilmten gleich noch dazugeliefert? Klar, das ginge nach aktueller hiesiger Rechtslage nicht. Aber Innenminister sind bekanntlich offen für Gesetzesänderungen, wenn es um Überwachung – Verzeihung, um mehr Sicherheit – geht.
Nun hat die EU-Kommission laut darüber nachgedacht, so etwas zu verhindern. Vor wenigen Tagen wurde ein Arbeitspapier geleakt, in dem ein Verbot automatisierter Gesichtserkennung im öffentlichen Raum für einen beschränkten Zeitraum erwogen wird. Noch ist nichts entschieden. Aber selbst wenn ein Verbot käme, wäre das nicht das Aus für solche Technologien. Es hieße bloß, dass die Zeit noch nicht reif dafür war.
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