Die alte Debatte um das N-Wort: Und was ist mit unserer Würde?

Das N-Wort mag „die Würde“ eines deutschen Landtags nicht verletzen, aber es verletzt Menschen. So zu tun, als sei das keine Absicht, ist perfide.

Landtagssitzung in Mecklenburg-Vorpommern

Hier sehen Sie das Haus, dessen Würde nicht verletzt wurde Foto: dpa

Man wird nicht betroffen geboren, man wird betroffen gemacht. Bei mir hat das nicht lange gedauert. „Blutschande“ hat ein Bekannter zu meinem Vater gesagt, als er mich als Baby gesehen hat. Ein Kind mit Schwarzer Mutter und weißem Vater. Ich kann mich an diese Begegnung nicht erinnern, mein Vater schon. Woran ich mich erinnern kann, sind viele Begegnungen mit dem N-Wort. Jenes Wort, das, nach einem Urteil des Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, wenn es im Landtag von einem AfD-Abgeordneten ausgesprochen wird, kein Anlass für einen Ordnungsruf sei, weil es nicht die „Würde oder die Ordnung des Hauses“ verletze.

Im Kindergarten hat mich ein Mädchen so genannt – es war klar, die wollte mir nichts Gutes. Auch in der Grundschule haben mich Kinder so genannt, ich sollte wegbleiben. Sie fühlten sich stark. Erwachsene zischten es mir manchmal im Bus entgegen. Alkoholisierte Männer brüllten es mir auf der Straße nach.

Ich kann mich erinnern, dass ich an einem Herbsttag im Hof unseres Wohnbaus mit meinen älteren Stiefgeschwistern wegrennen musste. Ich war etwa sieben und rannte so schnell ich konnte. Die warmen Tränen schossen mir dabei in die Augen. Eine Gruppe älterer Kinder hatte sich vor mir aufgebaut, mich so genannt, gelacht. Meine Schwester hat dem Lautesten kurzerhand Matsch ins Gesicht geworfen. Dann rannten wir. Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass meine beiden Geschwister mich vor Fremden in Schutz nehmen mussten. Wir wussten, wieso die mich so nannten, ohne viel darüber zu sprechen.

Es geht um die Wirkung

Auch später als Erwachsene hörte ich dieses Wort noch – auf der Straße, in der Bar, in der U-Bahn. Manchmal schossen mir noch die Tränen in die Augen.

Betroffenheit allein politisiert nicht. Ich komme aus keiner Akademikerfamilie. Lange Zeit fehlte mir das Vokabular und das Wissen, das es braucht, um rassistische Zustände zu benennen. Ich wusste nicht, wie ich mit diesem Wort umgehen sollte. Ich war wütend und hilflos, ich habe es ignoriert und darüber gelacht. Ich habe es gesagt und geschrieben, und ich habe mich entschieden, es nicht mehr zu tun.

Denn irgendwann habe ich verstanden, dass jedes Mal, wenn dieses Wort irgendwo steht, es wiederum anderen als Legitimation dient, es weiter zu benutzen. Es ist nur ein Wort, ja, aber dieses Wort wird dazu benutzt, Schwarze Menschen herabzuwürdigen. Es wird von Weißen gesagt, um sich überlegen zu fühlen. Das alles mag die „Würde oder Ordnung des Hauses“ in Mecklenburg-Vorpommern nicht verletzen, aber es verletzt Menschen in diesem Land. So zu tun, als wäre das keine Absicht, ist nicht mehr nur ignorant – es ist perfide.

Wörter haben Macht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wer meine Mutter heute wäre, wenn sie nie verbalen Rassismus erlebt hätte. Ihr Leben wäre grundlegend anders verlaufen; mein Leben wäre grundlegend anders verlaufen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.