talk of the town
: Gefühlsgleichschritt

Eine Kondomfirma, eine Klimagruppe und „die Wissenschaft“ treffen sich im Nazi-Stadion, um via Emotion eine Massenbewegung zu werden. Was kann da schon schiefgehen?

Aktivist*innen von Fridays for Future im Oktober in Berlin mit Greta ­Thunbergs ikonischem „How Dare You“ Foto: Fabian Sommer/dpa

Von Alexander Nabert

Von Lenin ist das Wort überliefert, dass die Revolution in Deutschland nie etwas werde. „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte“, soll der russische Revolutionär gespottet haben. Heutzutage beläuft sich der Preis der „Utopie“ auf 29,95 Euro. So viel kostet die Eintrittskarte zur „größten Bürger*innenversammlung Deutschlands“, die 2020 im Berliner Olympiastadion stattfinden soll, sofern die Veranstaltenden mindestens 60.000 Tickets verkaufen.

Die Idee: Die „renommiertesten Expert*innen aus allen Bereichen“ kommen zusammen, „um die Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit gebündelt zu präsentieren“ und werden dabei gefeiert, „wie wir ansonsten nur Rockstarts feiern“. Laut Organisierenden diene dies der „Inspiration und der emotionalen Aufladung“. Auch der Rest der Veranstaltung steht im Zeichen der Gefühle, die es wohl zweifellos braucht, wenn man eine Massenbewegung organisieren will. Die Veranstaltung solle den Teilnehmenden das „Gefühl geben, dass sie auch als Einzelpersonen Veränderungen bewirken können“. Erreicht werden soll das neben den gefeierten Stars durch massenhafte Petitionen an den Bundestag, die man aus dem Olympiastadion heraus mit seinem Smartphone mitzeichnen können soll.

Hinter dem Projekt steht das Berliner Hygieneartikel-Unternehmen Einhorn, das allerhand überteuerte vegane Kondome und Menstruationsartikel in hippem Design auf den Markt wirft. Als Kooperationspartner treten die Scientists for Future sowie der Berliner Ableger von Fridays for Future auf; Luisa Neubauer ist eines der Gesichter im Werbefilm.

Petitionen an den Deutschen Bundestag bringen leider in aller Regel nichts. Zwar hatte die Firma Einhorn Erfolg mit einer Petition (zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Periodenprodukte), weil Olaf Scholz sich im Kampf um den SPD-Vorsitz profilieren musste, doch das bleibt die Ausnahme. Petitionen sind keine direktdemokratischen Verpflichtungen. Was der Parlamentsmehrheit nicht passt, wird abgelehnt. Das ist Usus im Petitionsausschuss.

Inhaltlich sind über das Event bislang lediglich drei Stichworte bekannt: „Klimawandel, Rechtsruck, globale Ungerechtigkeit …“ Wer bei diesen Themen die „renommiertesten Expert*innen“ sind und welche Petitionen sich daraus ergeben, bleibt offen. Es lässt sich erahnen, dass die objektive Wissenschaft, die in diesem Milieu längst zum Fetisch verkommen ist, wieder einmal wird herhalten müssen.

Nur: Wie operationalisiert man „globale Ungerechtigkeit“? Was ist die objektive Lösung für sie? Und vor allem: Wer bestimmt, welche Expert*innen renommiert sind? Und was passiert, wenn zwei von ihnen unterschiedliche Meinungen haben? Wenn etwa einer einen Emissionshandel, ein anderer eine CO2-Steuer als das bessere Mittel für die Einführung eines CO2-Preises hält, ein dritter sagt, man müsse alles verbieten, was CO2 emittiert und ein vierter, dass nur durch Überwindung der Marktwirtschaft das Klima geschützt werden könne?

Wie operationalisiert man „globale Ungerechtigkeit“? Was ist die objektive Lösung für sie?

Wer ein Ticket ergattert, muss vertrauen, dass die Antworten nicht enttäuschen. Dabei scheint die Veranstaltung keine Differenz, Vielfalt oder Diskussion zu ersehnen, sondern Eintönigkeit, Elitenhörigkeit und Gleichschritt. Schließlich sollen im Stadion „90.000 Weltbürger*innen, die genau das Gleiche wollen wie du“ zusammenkommen.

Für so etwas ist das Olympiastadion mit seiner faschistischen Ästhetik und seiner NS-Vergangenheit immerhin die konsequente Ortswahl: Gemeinschaftsgefühl passt gut zu Statuen von Arno Breker.

Ja, eine politische Bewegung muss Gefühle erzeugen, um am Leben zu bleiben. Wenn das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, von quasi heiligen Expert*innen vor einer brachialen Kulisse bestätigt wird, gibt das der Bewegung gewiss Aufwind. Nur: zu welchem Preis?