Proteste im Iran: Sieht so Solidarität aus?
Seit mehreren Tagen protestieren die Menschen im Iran gegen die Benzinpreiserhöhung. Linke im Westen unterstützen sie kaum.
Zwanzig Minuten nach Mitternacht wurde am vergangenen Wochenende eine drastische Benzinpreiserhöhung (ums Dreifache) im Iran verkündet. Seitdem protestieren zahlreiche Menschen. Am ersten Tag der Proteste riefen die Protestierenden tatsächlich noch Parolen, in denen es um den Spritpreis ging. Am zweiten Tag dann schon weniger; und nun, nachdem der Protest schon mehrere Tage und Nächte andauert, sprechen die Demonstrierenden kaum noch über den Anstieg der Benzinpreise.
Inzwischen geht es um viel mehr: um das ganze System, das politische System, das, ohne ein Gesetz im Parlament verabschiedet zu haben, eine radikale Änderung, die viele Bürgerinnen und Bürger betrifft, entschieden hat.
Existenziell deshalb, weil es im Iran keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, die für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Die meisten Menschen im Land fahren eigene Autos oder mit Sammeltaxis. Es ist also kein Zufall, dass bei diesen Protesten die wohlhabenden Nachbarschaften Teherans relativ ruhig geblieben sind. Protestierende und Sicherheitskräfte stoßen eher in den Randgebieten der Groß- und Kleinstädte sowie großen Siedlungen aufeinander. Es ist ein Protest an den Rändern.
Genau diese Menschen der Ränder fahren jeden Tag mit ihren billigen Autos in die nächste größere Stadt zur Arbeit oder sie arbeiten gleich selbst als (Sammel-)Taxifahrer. Haben sie kein eigenes Auto, geben sie jeden Monat einen erheblichen Teil ihres Einkommens für den Transport aus. Sie sind es, die am stärksten von der Benzinpreiserhöhung betroffen sind.
106 Todesfälle
In über 50 Städten wehren sich diese Menschen dagegen. Laut offiziellen Quellen der Islamischen Republik sind bei den Protesten bisher drei Leute ums Leben gekommen. Im Gegensatz dazu sprechen Menschenrechtsorganisationen von 106 dokumentierten Todesfällen. Hinzu kommt: Der Iran befindet sich momentan in einem Internet-Shutdown. Für die Proteste bedeutet das: Es gibt keine vernünftige Berichterstattung.
Solange die Presse abwesend ist, ist das islamische Regime fähig, alles zu tun, was zu seinem Machterhalt nötig ist, sagte mir ein Journalist aus dem Iran, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte. Seit Tagen hat er keine Verbindung mit der Außenwelt gehabt.
In den vergangenen Tagen habe ich mit einigen Aktivist_innen und Journalist_innen sprechen können, die aufgrund der Internetblockade nicht an die Öffentlichkeit treten können. Sie gehen auf die Straße und riskieren ihr Leben und haben nur einen Wunsch: dass die Welt ihre Stimme hört und ihren Kampf sieht.
Ihre erste Frage an mich war, ob denn alle wüssten, dass das Internet im Iran blockiert ist. Ob Iraner_innen im Ausland versuchten, Aufmerksamkeit für die Proteste zu schaffen.
Während fast alle linken Aktivist_innen in den letzten Jahren inhaftiert, ins Ausland vertrieben oder auf anderen Wegen zum Schweigen gebracht worden sind, kämpfen viele Iraner_innen weiterhin für ihre Freiheit. Nur: Im Westen werden sie leider nicht gehört. Und das ist ein Problem.
Linkes Schweigen
Linke politische Gruppen in Europa und Deutschland behaupten gerne, soziale Gerechtigkeit sei ihnen wichtig. Geht es um den Iran, schweigen sie aber. Die Frage ist doch: Verdienen Menschen, die sich deutlich gegen eine westliche oder US-amerikanische Intervention, egal ob ökonomisch, politisch oder militärisch, positionieren und gleichzeitig gegen die Autorität des Gottesstaates kämpfen, keine Solidarität von deutschen und westlichen Linken?
Vielleicht mag das Ausbleiben einer linken Solidaritätswelle damit zu tun haben, dass die Kritik am iranischen Regime im Kern etwas Proamerikanisches und Proimperialistisches hat, wer weiß. Es wirkt, als ob sich westliche linke Gruppen und Menschen lieber für eine menschenverachtende Diktatur entscheiden, als die Protestierenden zu unterstützen.
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