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Wie Extinction Rebellion funktioniertRevolution vom Reißbrett

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Exctinction Rebellion liebt die große Inszenierung. Auf theoretischer Ebene hat die Bewegung allerdings nicht viel zu bieten.

Die Bewegung produziert am liebsten drastische Bilder Foto: dpa

D as Blut der Kinder, der kollektive Suizid der Gesellschaft, die Aufopferungsbereitschaft der Bürger*innen: Es sind drastische Bilder, mit denen Extinction Rebellion arbeitet. Genauso drastisch und schockierend wie auch das übergeordnete Thema der Umweltaktivist*innen: das Aussterben der Menschheit, das kurz bevorstehe.

Dass Klimaaktivist*innen derart auf Emotionen setzen – genauer: auf Todesangst –, gab gab es bislang in Deutschland noch nicht. Ob es zum Erfolg führt, wird sich erst längerfristig zeigen, aber eines erreicht XR in jedem Fall: Aufmerksamkeit. Auf der Theorieebene hingegen hat die Bewegung nicht viel zu bieten.

Die verstörenden Bilder, die die Ortsgruppen von Extinction Rebellion bei ihren Aktionen mit literweise Kunstblut produzieren, oder indem sie sich bei sogenannten Die-ins wie Leichen auf den Boden legen, benutzen sie auch in ihren Reden. Und sie ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, das die theoretische Grundlage für die Bewegung liefern soll: „Common Sense for the 21st Century“ von XR-Mitbegründer Roger Hallam.

Hallam ist gewissermaßen der Stratege von XR. Zwar betonen Aktivist*innen immer wieder, dass er weder der alleinige Gründer sei noch jede*r Rebell*in sein Buch gelesen habe. Aber wer die 79 Seiten liest, merkt, dass die Straßenblockaden und anderen Aktionen genau so ablaufen, wie er es entworfen hat.

Nach jeder Kurzblockade die „Wie geht’s mir?“-Runde

Wenig bescheiden hat Hallam den Titel für sein Buch gewählt: „Common Sense“, auf Deutsch: „gesunder Menschenverstand“, ist angelehnt an die gleichnamige Schrift Thomas Paines von 1776, die damals von rund einem Zehntel der Nordamerikaner*innen gelesen wurde. Ein gewisser Größenwahn scheint also schon durch den Buchdeckel.

Die jeweilige Landeshauptstadt müsse zum Ziel tagelanger Blockaden werden, schreibt Hallam. Nicht irgendeine kleinere Stadt, weil in der Hauptstadt nun mal Regierung sitze, die Eliten arbeiteten, die großen Medien ansässig seien. Siehe: Berlinblockade. Dass die Straßenblockaden dabei wirklich effizient seien, sei gar nicht so wichtig, schreibt er weiter – es gehe mehr um das Symbolische.

Respekt, Inklusion, Diversität sind immer nur Mittel zum Zweck, der da lautet: Wachstum

Auch dafür sind die XR-Blockaden bekannt. In Hamburg etwa blockieren sie selten länger als ein, zwei Ampelphasen am Stück. Nach jeder Kurzblockade sammeln sich die Aktivist*innen zur „Wie geht’s mir?“-Runde. Auch das empfiehlt Hallam. In den Aktionen solle eine spaßige Atmosphäre herrschen, schreibt er zudem. Bei der Berlinblockade tanzten Rebell*innen Choreografien zu „Stayin alive“ von den Bee Gees.

Enttäuscht werden muss, wer von „Common Sense“ eine tiefe theoretische oder gar wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Klimakrise oder sozialen Bewegungen erwartet. Das Buch ist, Hallams eigene Theorie ausgenommen, ziemlich theoriearm. Es kommt fast komplett ohne Referenzen auf andere Werke aus. Dennoch erhebt Hallam den Anspruch, eine sozialwissenschaftliche Analyse vorzulegen.

Als Aktionsform empfiehlt Hallam zivilen Ungehorsam

Die geht etwa so: Die Klima- und sozialen Bewegungen der letzten 30 Jahre haben nichts erreicht, die korrupten Regierungen aller Staaten verleugnen diese Wahrheit und steuern wissentlich und mit Vollspeed auf die Katastrophe zu – die Ausrottung der Menschheit. Um zu retten, was zu retten ist, skizziert Hallam drei Prinzipien, die alle für sich unterschrieben müssen, die bei XR mitmachen wollen: „Sag die Wahrheit!“, „Handelt jetzt!“ und „Politik neu beleben!“.

Als Aktionsform empfiehlt Hallam zivilen Ungehorsam, also die angekündigte, massenhafte Gesetzübertretung. Darüber ließe sich an der Stelle viel Inspirierendes sagen. Man könnte über Henry David Thoreau reden, der 1849 den Begriff prägte, indem er sich weigerte, in Massachusetts Steuern zu zahlen und damit die Sklaverei zu unterstützen. Nach seinem Gefängnisaufenthalt schrieb er den Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, auf den sich auch Martin Luther King und Mahatma Gandhi bezogen.

Man könnte über Rosa Parks sprechen, die 1955 ihren Platz im Bus nicht für einen Weißen räumen wollte, oder über die erste Sitzblockade im antiken Griechenland im Jahr 411 v.Chr. durch Frauen, die ein Ende des Krieges mit Sparta erzwingen wollten.

All das interessiert Hallam aber nicht. Vielleicht will er XR auch nicht in eine Reihe mit Rosa Parks oder Henry David Thoreau stellen, um sich nicht festzulegen. XR versteht sich explizit nicht als linke Bewegung. Denn ihr oberstes Ziel ist Wachstum. Diesem Ziel ordnet sie alles andere unter.

Angst ist selten eine gute Beraterin

Die Bewegung müsse divers sein, schreibt Hallam. Das schaffe Sympathien und bringe Zulauf. Alte und Kinder müssten inkludiert werden, das wirke gegen aggressives Verhalten und bringe Aufmerksamkeit – also Zulauf. Am Ende müssten sich möglichst viele verhaften lassen – die friedliche Entschlossenheit generiere Zulauf.

Bei allem, was er predigt, geht es niemals um die Sache an sich, nie um Respekt, Inklusion, Diversität. All das ist immer nur Mittel zum Zweck, der da lautet: Wachstum und Aufmerksamkeit für noch mehr Wachstum.

Klar: Eine Massenbewegung muss eine Masse auf die Straße bringen, sonst bringt sie gar nichts. Diesem Ziel hat sich XR verschrieben. Dafür hat sich die Bewegung von Argumenten weitgehend verabschiedet. Stattdessen setzt sie auf Hallams Design: das Verbreiten von Panik. Angst aber ist selten eine gute Beraterin.

Mit einem gesellschaftlichen Prozess, in dem kritisch denkende Menschen zusammen Pläne diskutieren und Strategien entwickeln, hat das nicht viel zu tun. Auch nicht mit der Annahme, dass mehrere Köpfe mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen schlauer sind als ein einzelner. Hallam will die Revolution vom Reißbrett. Unbestritten: Am Ende steht ein wichtiges Ziel. Aber der Weg da hin wirkt doch etwas kopflos.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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14 Kommentare

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  • Warum muss sich die Linke und die Grüne an etwas abarbeiten, was nach allem, was sich sonst so auf die Straße traut, sogar funktionieren könnte? Muss linkes und/oder grünes Engagement immer die ausgetretenen Pfande des anbiederns an was auch immer nehmen? Ein kritischer Diskurs ist in jedem Fall begrüßenswert - vielleicht fällt den KommentatorInnen in nächsten Artikeln ja auch eine Gesamtgesellschaftliche Analyse ein, die aufzeigt, wie der Umbau zu einer ökosozialen, einer klimagerechten Gesellschaft weltweit schneller vorangebracht werden kann. Gute Ideen sind immer willkommen.

    • @Scientist4Future:

      Weltweiter klimagerechter Umbau? Es darf gelacht werden! Alleine in Deutschland ist die Klimaneutralität auch beim besten Willen nicht zu erreichen, wenn jedes Jahr 30 000 Wohnungen zusätzlich gebaut werden müssen. Da macht sich offensichtlich kein Klimaaktivist Gedanken darüber, (oder traut sich nicht, oder ist zu doof dazu), wieviel Energie dazu nötig ist und auch das Betreiben dieser Kleinstatt kann niemals Klimaneutral sein!



      Im übrigen haben wir ja schon eine Sekte, die bereits 3x den Weltuntergang prophezeit und damit vielen ihren Anhängern um ihre Existenz gebracht hat. Sind in der Zwischenzeit auch vorsichtiger geworden. Allerdings laufen immer noch viele Doofe herum!

  • In dem Zustand, in welchem wir uns gerade befinden (Artensterben, Kollaps der Ökosysteme etc.) ist das Auftreten von XR als "Untergangspropheten" eine logische Konsequenz. Wenn wir uns mal irgendwann wieder in einer Situation befinden, in der wir darauf vertrauen können, dass irgendein Argument etwas zum Besseren verändert (ich rede nur vom Arten- Umwelt- und Naturschutz), dann werde ich der Autorin sogar zustimmen!

  • 0G
    07954 (Profil gelöscht)

    Die Bilder von XR erinnern mich eher an Kunstaktionen ala Documenta, aber sehen alle gut aus! Will da auch mal hin. Apropos, gehts da auch ums Klima? Das sind doch eher Happenings mit Spassfaktor; Lady in red and men in black..

  • Es ist eine schlaue Strategie, ein kleines Buch zu kritisieren wegen dem, was es nicht enthält, anstatt sich mit den Inhalten zu konfrontieren. Außerdem wird nicht erwähnt, dass Extinction Rebellion durch Vorträge über die Klimakrise mobilisiert, die wissenschaftlich durchgedacht sind und kontinuierlich auf dem neuesten Stand gebracht werden. Es wird auch nicht erwähnt, dass viele Wissenschaftler*Innen XR genau so wie FFF unterstützen, weil die Fakten da sind und Hallam sie in seinem Buchlein nicht zu widerholen brauchte.

  • Finde ich eine gute Einschätzung.



    Strategische Diskussionen sollten bei FFF geführt werden:



    wie kann die Schließung der Regionalflughäfen erreicht werden.

  • Die Autorin will glänzen wieviel mehr sie über die Geschichte des zivilen Ungehorsams weiß. Chapeauchen - daraus, das in dem Buch nicht vollständig die historischen Einzelheiten und Spielarten erwähnt wurden und daher Theorie Armut unterstellt übersieht das 79 Seiten wenn man die nicht in Microschrift bekritzeln will den absurden Ansprüchen der Autorin kaum gerecht werden kann.

  • Gut, aber für eine breite Masse ist es wohl nur wichtig, dass es cool, schick, bzw. nice ist, zu Exctinction Rebellion, als Rebell*in zu gehen und sich Apokalypse und Party hinzugeben. Außerdem kommt man ins Fernsehen, wird vielleicht berühmt oder zumindest prominent. Germany's Next Weltretter like. Demnächst vielleicht mit Jury und dem Dieter... Wie bei anderen Sachen auch, werden sich nur Einzelne tiefer mit der Materie beschäftigen.

  • Thoreau und Parks Google ich im Internet.

    Und dass seit rund 40 Jahren die Fakten zum Klimawandel in allen Facetten bekannt sind, ist eine Binsenweisheit.

    Und was machen wir jetzt? Eine Theorie entwickeln, wie man vielleicht Leute auf die Straße bringen könnte? Oder probieren wir einfach mal was anderes aus als all das, was die letzten 40 Jahre nicht funktioniert hat?

    Ach so, der ehemalige SPD-Vorsitzende und Minister für Wirtschaft und Umwelt soll oberster Lobbyist der Autoindustrie werden. Wer da für ne Blockade der SPD Parteizentrale noch eine Theorie braucht, schaut den Bäumen auch gerne beim Sterben zu.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @JBS_6623:

      Was soll das Ganze mit der SPD Parteizentrale zu tun haben? Gabriel spielt dort längst keine Rolle mehr. Oder möchten Sie eine Sippenhaft?

      Demonstrieren Sie vor Gabriels Privathaus! Sinnvoller Protest sollte sich an den/ die Richtigen wenden.

      Glückauf!

  • "Exctinction Rebellion liebt die große Inszenierung. Auf theoretischer Ebene hat die Bewegung allerdings nicht viel zu bieten." - Tja, wer praktisch aktiv ist, ist möglicherweise nicht schlau genug für theorieversessene Journalist(inn)en.

  • Überbevölkerung als Ursache des Klimawandels wird von XR ebenso ignoriert wie von FFF. Wohl aus den gleichen, politisch korrekten Motiven.

    An XR nervt außerdem die sektenhafte Theatralik und die Übertreibung des Problems. Ein Aussterben der Menschheit ist nun mal vollkommen unrealistisch.

    • @Thomas Friedrich:

      Überbevölkerung ist keine Ursache der Klimakatastrophe. Bei anderen Lebensstil hätten noch deutlich mehr Menschen Platz.



      Ein Überleben der Menschheit ist unwahrscheinlich. Lesen Sie hier:



      guymcpherson.com/c...ummary-and-update/

  • Die hier so geliebten Proteste und Revolutionen, die dem Erbe von Gene Sharp entwachsen sind und in Form von OTPOR/CANVAS u.a. bis heute entscheidend im Sinne ihrer Finanziers in die Weltpolitik eingreifen, sind doch im Grunde auch nichts anderes als Revolutionen vom Reißbrett, mit professionell ausgebildeten und geschulten Akteuren und kompromisslosen Zielen in der Agenda.

    Was ist an den derzeitigen Protesten in Hong Kong besser als an XR?



    Warum ist die derzeitige Randale in Bolivien okay, in Chile aber eher nicht?



    Liegt es vielleicht ganz einfach nur daran, dass XR sich nicht kompatibel zum neoliberalen urbanen Kosmos verhält?

    Auch ich habe keine Antwort und bin auch als engagierter Klimaschützer gegenüber XR skeptisch, aber aus völlig anderen Gründen.