CSU-Chef entdeckt Umweltschutz: Pose mit Baum

Seit Wochen inszeniert sich Bayerns Ministerpräsident Söder als Öko-Ritter der Nation. Sein Maßnahmenkatalog ist opulent – aber nicht radikal.

CSU-Chef Markus Söder mit Baum

„Wir haben den Umweltschutz erfunden“: CSU-Chef Markus Söder Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Da stehen sie nun, der Markus und der Thorsten. Mit Vornamen hat Ministerpräsident Markus Söder sich und seinen Umweltminister Thorsten Glauber gerade den jungen Klimaaktivisten vorgestellt. Am Fuße der Zugspitze haben diese ihn empfangen, um ihm in fünf Urnen die geschmolzenen Überreste der bayerischen Gletscher zu überreichen. „Lieber glitzernder Gletscher als Schmelzgeplätscher“ und „Söder sei kein Blöder: Dieselfahrverbot jetzt“ haben sie auf ihre Schilder geschrieben. Die Reime sind schlecht, das Anliegen ist klar: Taten wollen sie sehen, keine allgemeinen Bekenntnisse hören.

Söder hört sich die Sorgen der Demonstranten an und entschwebt dann mit der Seilbahn nach oben. In Sachen Symbolik steht er seinen jungen Kritikern in nichts nach. „Klimatour“ nennt er den Ausflug, bei dem er und Glauber auf Deutschlands höchstem Berg öffentlichkeitswirksam Gletscherexperten treffen. Selbstverständlich dient der Trip nicht dem Erkenntnisgewinn der beiden Politiker, denen die desolate Verfassung des Schneeferners und der übrigen Gletscher durchaus vertraut sein sollte. Der CSU-Chef dürfte eher auf den Erkenntnisgewinn seines Wahlvolks hoffen. Auf dass bei diesem die Botschaft ankomme: Ja, wir tun etwas. Wir sind die Klimaretter. Wir sind die wahren Grünen.

Um aber nicht den Eindruck entstehen zu lassen, hier könnte einer dem Erfolg einer Partei nachhecheln, die sich aktuell von Umfragerekord zu Umfragerekord schwingt, packt der CSU-Chef schon wenige Tage später den alten Söder wieder aus, ätzt gegen diese Partei: Die Grünen fielen „als intellektueller Sparringspartner beim Klimaschutz aus“. Und noch ein paar Tage später versteigt er sich in der Bild am Sonntag sogar zu der Behauptung: „Wir haben den Umweltschutz erfunden.“

Dass die CSU sich von Zeit zu Zeit als Umweltpartei geriert, ist nicht neu. Gern wird dann auf das erste deutsche Umweltministerium verwiesen, das die Staatsregierung 1970 in Bayern eingerichtet habe. Und klar: Die „Bewahrung der Schöpfung“ hat sich die Partei seit jeher auf die Fahne geschrieben – wobei nicht immer klar war, ob sich hinter dem Schlagwort mehr Floskel, Folk­lore oder ernstgemeinter Wertkonservativismus verbarg.

Das bisschen Grün

Auch Ludwig Hartmann, gewissermaßen Söders ausgefallener Sparringspartner, kennt die Umweltpartei CSU. Aber: „Als die CSU noch Umweltpolitik gemacht hat, da war ich im Kindergarten und Markus Söder in der Schule“, sagt der Fraktionschef der Grünen im Bayerischen Landtag. Das war Anfang der Achtziger. „Da ist beispielsweise Phosphat im Waschmittel verboten worden, Entschwefelungsanlagen wurden verbindlich, FCKW wurde aus den Kühlschränken verbannt“, erinnert er sich. Die CSU als erfolgreiche Ver­bots­partei?

Söder hört sich die Sorgen der Demonstranten an und entschwebt dann mit der Seilbahn nach oben

Inzwischen beobachtet die CSU, wie Gletscher und Wählerstimmen dahinschmelzen. Der Abstecher in die Berge reiht sich ein in eine aufwendige Werbekampagne, die seit einigen Wochen die Einführung eines neuen Politprodukts begleiten soll: des Öko-Söders. Der Ministerpräsident verlegt Kabinettssitzungen ins Grüne, posiert mit Bäumen, fordert mal einen schnelleren Kohleausstieg, dann ein Plastiktütenverbot. Das bisschen Grün machen wir auch noch mit, scheint Söder den 190.000 CSU-Wählern zurufen zu wollen, die 2018 zu den Grünen abgewandert sind. Oder den 1,7 Millionen Unterzeichnern des Volksbegehrens für die Artenvielfalt.

Stefan Wurster von der Hochschule für Politik München hält die Öko-Offensive für einen „sehr klugen Schachzug“. Umwelt- und Klimaschutz seien gerade sehr populär. „Außerdem zeigt sich immer mehr, dass der Hauptkonkurrent die Grünen sind, besonders im urbanen Milieu. Wenn die CSU in den großen Städten wieder Fuß fassen will, muss sie bei dem Thema liefern.“

Will Söder nun also das Klima retten oder die CSU? Egal, findet mancher – Hauptsache, dem Klima hilft’s. Aber tut es das? Aufschluss gibt ein Papier, das der CSU-Vorstand vorvergangenes Wochenende in Feldafing am Starnberger See verabschiedet hat, gedacht als großer Aufschlag vor dem Klimakabinett, das Ende dieser Woche zusammentritt. „Klima schützen, Konjunktur stützen – Die Klimastrategie der CSU“ heißt es. Auf 16 Seiten erklärt die Parteispitze darin, wie sie die Pariser Klimaziele zu erreichen gedenkt.

Erstes klimaneutrales Bundesland

Zum Beispiel, indem sie Verbrauchern, die sich für energiesparende Haushaltsgeräte entscheiden oder sich von ihrer Ölheizung verabschieden, einen Teil der Steuer erstattet, die Mehrwertsteuer auf Bahntickets auf 7 Prozent absenkt oder die Forschung in Sachen synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff fördert. Dazu kommt nach dem Willen der CSU-Spitze ein nationaler Emissionshandel in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Der ÖPNV soll ausgebaut und mit einem 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende attraktiver gemacht werden. Der Kohleausstieg soll vorgezogen und idealerweise bis 2030 vollzogen werden. Daneben sollen in den Staatswäldern 30 Millionen Bäume und 100 neue Windräder gepflanzt werden. Bayern, verkündet Söder, solle so erstes klimaneutrales Bundesland werden.

Klingt fulminant. Und das Beste: „Wir glauben, dass das Ganze finanzierbar ist mit einer schwarzen Null.“ Doch ist das Ganze so mutig – und vor allem so effektiv –, wie es einem Söder glauben machen will? Beispiel Windkraft: In den Augen von Grünen, SPD und Naturschutzverbänden war es gerade die CSU, die den Ausbau der Windkraft verhindert hat, die verantwortlich dafür ist, dass sie in Bayern nur einen Anteil von 5,4 Prozent hat. Schließlich war sie es, die vor fünf Jahren die umstrittene „10-H-Regelung“ erlassen hat, wonach der Abstand eines Windrades zum nächsten Wohnhaus mindestens das Zehnfache seiner Höhe betragen müsse. Die Regel will Söder auf keinen Fall aufgeben – und setzt somit dem weiteren Ausbau der Windkraft enge Grenzen.

Oder die Absenkung der Mehrwertsteuer fürs Bahnfahren. Oppositionsführer Hartmann überzeugt der Vorschlag noch nicht. Zwar forderten auch die Grünen schon lange eine solche Absenkung. Aber einen Effekt erziele man damit nur, wenn man gleichzeitig auch die Subventionen für den Flugverkehr abschaffe. „Wenn man alles billiger macht, gibt es keine lenkende Wirkung.“

Söder sei nicht bereit, auch nur eine einzige klimaschädliche Maßnahme zurückzunehmen, kritisiert Hartmann. Der einzige Bereich, wo seit der Landtagswahl im Umweltschutz konkret etwas passiert sei, sei der Artenschutz gewesen. „Und das war nicht Söders Überzeugung, sondern der Druck des Volksbegehrens. Ohne den hätte er gar nichts unternommen.“ Von „Wohlfühlklimaschutz“ spricht Hartmann.

„Reicht nicht aus“

Es gibt sogar Leute in der CSU, die das gar nicht so viel anders sehen. Josef Göppel etwa, langjähriger Bundestagsabgeordneter, Förster und so etwas wie das grüne Gewissen der Partei. „Wenn man ganz nüchtern die vorgeschlagenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Klimawirksamkeit gewichtet“, formuliert er vorsichtig, „dann reicht das nicht aus.“ Die Pariser Klimaziele seien damit nicht erreichbar.

Göppel hält die Einführung einer CO2-Steuer für notwendig. Eine Haltung, mit der er sich in der CSU freilich ziemlich allein auf weiter Flur befindet. Der vorgeschlagene Emissionshandel sei schlicht nicht praktikabel. Göppel kritisiert seine eigene Partei dafür, dass sie immer wieder den Eindruck erwecke, man könne Umweltprobleme mit besserer Technik lösen und müsse so niemandem wehtun. „Das stimmt nicht. Es braucht in bestimmten Bereichen hoheitliche Maßnahmen – vor allem im Verkehr.“

Bloß niemandem wehtun, das scheint tatsächlich ein Hauptmotiv der christsozialen Klimastrategie zu sein. Deshalb stünden dort symbolische Maßnahmen wie die Aufnahme des Klimaschutzes in die Verfassung hoch im Kurs, sagt auch Politikwissenschaftler Wurster. Die Frage sei: „Ist man bereit, von symbolischen Gesten abgesehen, tatsächliche Wirtschafts- und Lebensstilveränderungen zu fordern und durchzusetzen?“ Das sei von der traditionell wirtschaftsnahen CSU nicht zu erwarten.

Bis jetzt weiß Söder seine Partei hinter sich, von einer „unglaublichen Geschlossenheit“ sprach er nach der Vorstandsklausur. Ein CSU-Veteran, der in Feldafing dabei war, bestätigt: „Söder sitzt so fest im Sattel wie sonst kein anderer in Deutschland.“ Die Partei habe das Gefühl, bei ihm in guten Händen zu sein. Sie erkenne an, dass es Söder geschickt verstehe, der Opposition das Wasser abzugraben. „Der hat eine besondere Begabung, Dinge zu verkaufen.“

Kein Wunder, findet Parteifreund Göppel, die unglaubliche Geschlossenheit habe Söder erreicht, indem er sich in seinen umweltpolitischen Ambitionen zurückgenommen habe. Und Wurster prognostiziert: „Wenn es zu echten Einschnitten auch für Kernunterstützergruppen wie Industrie und Landwirtschaft kommen sollte, dann würde es auch massiven Widerstand in der Fraktion geben.“

Zumindest das Klima scheint sich beeindruckt zu zeigen: Nur zwei Tage nach Söders Besuch – der Ministerpräsident weilte inzwischen längst bei der Weinernte in Unterfranken – kam es zum Wintereinbruch auf der Zugspitze. Zehn Zentimeter Neuschnee! Die Mitarbeiter der Bergbahnen mussten schon die Schneefräsen auspacken, behaupteten aber, dies sei Anfang September nichts Ungewöhnliches.

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