CDU-Politiker über Kenia in Sachsen: „Nazis waren noch nie bürgerlich“

Was passiert jetzt in Sachsen? Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz kann sich ein Bündnis mit den Grünen vorstellen – aber keinesfalls eins mit der AfD.

Die Flaggevon Kenia

Marco Wanderwitz: „Wir werden sehr seriös versuchen, diese Koaliton zu schmieden.“ Foto: imago images/Panthermedia

taz: Herr Wanderwitz, wird die CDU in Sachsen jetzt öko?

Marco Wanderwitz: Es kann sein, dass der Freistaat Sachsen als Ganzes dem Thema noch mehr Gewicht beimisst, wenn die Grünen jetzt Teil der Regierung werden.

Sie formulieren im Indikativ. Sie rechnen damit, dass Schwarz-Grün-Rot in Sachsen kommt?

Wir werden sehr seriös versuchen, diese Koaliton zu schmieden. Das wird nicht einfach, weil es auf beiden Seiten Vorbehalte und rote Linien gibt. Aber ich bin optimistisch. Wir kriegen das Ding schon zum fliegen.

Wird das eine Notkoalition oder ein gemeinsames Projekt?

Das ist in der Tat die Frage. Es geht ja nicht nur ums Klein-Klein der Tagespolitik. Für uns ist eine dieser großen Linien der Strukturwandel in der Lausitz und dem mitteldeutschen Kohlerevier. Es geht um die Zukunft der Bildung. Und es geht um die ländlichen Räume und die Großstädte, wo es jeweils Herausforderungen gibt.

Der Kompromiss der Kohlekommission sieht einen Ausstieg aus der Kohle bis 2038 vor. Denken Sie, dass Sachsen auf Landesebene einen schnelleren Ausstieg hinbekommt?

43, ist Vorsitzender der sächsischen CDU-Abgeordneten im Bundestag und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Er ist ein enger Weggefährte von Ministerpräsident Michael Kretschmer. 2017 verteidigte er seinen Wahlkreis Chemnitz Umland - Erzgebirgskreis II mit klaren Ansagen gegen die AfD.

Wir sind ein Kohleland und ich weiß noch nicht, wie das gelingen soll. An erster Stelle steht der Strukturwandel, der gern auch ein grüner Wandel sein soll. Ein Riesenkraftakt. Wenn der gut gelingt, kann man darüber reden, ob man schneller aussteigen kann. Nur so rum kann gedacht werden.

Aber wenn der Strukturwandel erfolgreich ist, kann der Ausstieg schneller gehen?

Ich könnte mir das vorstellen. Die Grünen möchten möglichst schnell raus aus dem fossilen Energieträger Braunkohle. Wir sorgen dafür, dass wir ihn mit erneuerbaren und alternativen Energien schnellstmöglich ersetzen können. Für uns als sächsische CDU ist mindestens gleichwertig, was an den Stellen passiert, wo wir den Stecker ziehen und tausende von Menschen ihre Arbeit in der Braunkohle haben. Diese Menschen, die Regionen brauchen Zukunft. Das sind unterschiedliche Herangehensweisen, aber man kann sie zusammenbringen.

Die Grünen und die SPD möchten, dass Kinder und Jugendliche länger gemeinsam lernen: in einer Gemeinschaftsschule, die es bisher in Sachsen nicht gibt. Machen Sie mit?

Wir sollten uns einfach hinsetzen und sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass man da mehr zulässt. Nur sind auch die Bedingungen in Sachsen ganz verschieden. In Leipzig platzen die Schulen aus allen Nähten und wir müssen neue Schule bauen. Im ländlichen Raum haben wir unter schweren Schmerzen Schulen aller Typen geschlossen und ein mühselig austariertes System, wo wir nicht alles wieder auf den Kopf stellen sollten. Und das gegliederte Schulsystem mit Durchlässigkeit ist auch grundhaft überlegen.

Warum lassen Sie nicht Lehrer und Eltern vor Ort entscheiden?

Wir wollen im Grundsatz das gegliederte Schulsystem erhalten. Aber wir können sicher Lösungen finden, dass es für die Schulträger, also die Kommunen und Kreise, Spielräume gibt in Abstimmung mit Eltern, Schülern und Lehrern.

Gegen das scharfe sächsische Polizeigesetz sind Grüne und Linke vor das Verfassungsgericht gezogen. Erleichtert das die Verhandlungen, weil die Koalitionäre einfach auf das Urteil warten können?

Das Gesetz ist richtig. Zunächst mal sehe ich einen großen Konsens, dass wir mehr Polizisten brauchen. Wir wollen Stellen aufbauen, die Polizei verjüngen und besser ausstatten.

Die Grünen schlagen eine unabhängige Polizeikommission vor, an die die Bürger Beschwerden richten können. Könnten Sie sich das vorstellen? Zum Beispiel eine Kommission beim Landtag?

Ich kann mir schwer vorstellen, dass die direkte Kontrolle über den einzelnen Beamten in den parlamentarischen Raum verlagert wird. Aber vielleicht gibt es auch da einen vernünftigen Kompromiss.

Warum sind in Sachsen Polizisten nicht gekennzeichnet?

Das ist für uns im Grunde nicht verhandelbar. Zweifellos gibt es immer wieder Vorfälle. Aber Polizeibeamte sind auch Menschen mit einer Familie. Wer Kriminellen und Extremisten gegenüber an der Front steht, darf doch nicht mit Namen und Wohnanschrift ausgerufen werden.

Sie übertreiben. In vielen Bundesländern tragen Polizisten einfach eine Nummer auf der Uniform.

Das ist schon ein weniger invasiver Weg, aber auch nicht frei von Missbräuchen. Die Kennzeichnung von Polizisten sehe ich ingesamt äußerst kritisch.

Das originäre Ministerium für die Grünen ist das Umweltressort. In Sachsen sind die Ressorts Landwirtschaft und Umwelt in einem Ministerium. Passt das für Sie?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft, so wie es ist, in grüne Verantwortung geben können.

Weil Sie sich weiter vor die konventionellen Großbetriebe stellen möchten, die aus den ehemaligen LPGs hervorgegangen sind?

Wir haben große Agrargenossenschaften, aber auch viele Wiedereinrichter, wir haben konventionelle und ökologische Bauernhöfe der unterschiedlichsten Art. In dieser komplizierten Gemengelage sollte die CDU ausgleichend wirken.

Im Klartext: Die Massentierhalter können sich auf die CDU verlassen.

Die Agrargenossenschaften sind besser als ihr Ruf. Für eine sächsische Kuh lebt sich's in einem ordentlichen großen Stall mit viel Licht und Luft besser als als bayerische Bergkuh in Anbindehaltung.

Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Grünen im Wahlkampf mit der AfD gleichgestellt: beide arbeiteten mit „politischer Hysterie“. Fragen jetzt nicht manche Ihrer Parteifreunde: Zuerst stellt Kretschmer Grüne und AfD gleich – und jetzt wird nur mit den Grünen verhandelt?

Wir haben am Montag im Landesvorstand und vor den Kreisvorsitzenden nochmal glasklar gesagt, dass wir irgendeine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen. Desweiteren hat Michael Kretschmer gesagt, dass er eine stabile Regierung anstrebt. Das ist eine Koalition und keine irgendwie geartete Minderheitsregierung.

Und die Grünen? Hysterisch?

Es gibt schon den einen oder die andere bei den Grünen, die ein bisschen viel Schaum vorm Mund haben. Aber wir setzen sie keinesfalls mit der AfD gleich, Michael Kretschmer tut das nicht und ich auch nicht. Die Grünen sind selbstverständlich eine unzweifelhaft demokratische Partei, die AfD ist es eben nicht.

Sind Matthias Rößler, der Landtagspräsident von der CDU oder Christian Hartmann, der Landtagsfraktionschef so aufgeschlossen gegenüber den Grünen wie Sie?

Christian Hartmann steigt gemeinsam mit Michael Kretschmer in die Vorgespräche mit den Grünen ein. Wir haben am Montag einstimmig beschlossen, dass wir Gespräche aufnehmen, um sie zu einem guten Ende zu führen. Das ist ausdrücklich auch das Ziel von Christian Hartmann. Auch Matthias Rößler saß mit am Tisch.

Was hat er gesagt?

Er saß mit am Tisch.

AfD-Chef Alexander Gauland umwirbt die CDU und spricht von einer bürgerlichen Mehrheit.

Am Wahlabend hat mich ja unglücklicherweise schon eine MDR-Moderatorin nach einer vermeintlich bürgerlichen Koalition gefragt. Und ich musste natürlich klarstellen, dass die AfD keine bürgerliche Partei ist. Die AfD ist in ihrer Mitgliederschaft durchsetzt von Rechtsextremisten, von Gegnern der Demokratie und völkischem Gedankengut. Der sogenannte „Flügel“ ist in Ostdeutschland der dominante Teil der Partei. Nazis waren noch nie bürgerlich. Die Mitte liegt links der AfD.

Wie ist das mit CDU und AfD auf lokaler Ebene? Bei Ihnen in Zwickau wurde ein Vertreter der AfD in den Verwaltungsrat der Sparkasse gewählt.

Da hab ich mich als Kreisvorsitzender in der Stadtratsfraktion in Zwickau schon angemeldet. Das ist ein Fall, der nicht passieren sollte. Wann immer es eine unzweifelhaft demokratische Alternative gibt, können die CDU-Stimmen nicht bei der AfD sein. Teilweise passieren solche Unfälle, weil man ein bisschen ums Eck denken muss und auch hier und da eine Absprache treffen muss, nur nicht mit der AfD, sondern mit anderen.

Sehen das alle so?

Bei der Konstituierung der Kreistagsfraktion in Zwickau habe ich deutlich gesagt, dass und warum wir mit diesen Leuten nichts machen. Und erhielt allgemeinen Zuspruch. Ich weiß aber aus ostsächischen Kreisverbänden, dass es sehr wohl solche Diskussionen gibt. Da muss man dagegen halten: Nicht mit der AfD.

Nehmen wir mal an, es kommt die schwarz-grün-rote Regierung. Sollen sich die Grünen Augen und Ohren zuhalten, wenn zum Beispiel Michael Kretschmer wieder behauptet, es habe keinen Mob gegeben, wenn gerade Neonazis grölend durch eine Stadt gelaufen sind. Oder wenn er ein ZDF-Team als unseriös betrachtet, das von der Arbeit abgehalten worden ist.

Auch wir werden nachsichtig sein müssen mit den Grünen. Ich will ja nichts beschönigen. Wir sind natürlich momentan maximal auseinander. Wir haben 30 Jahre auf verschiedenen Seiten gestanden und noch nie groß was zusammen gemacht. Aber das wird schon. Koalitionspartner können gemeinsam und aneinander wachsen.

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