Waldbrände in Brasilien: Alarm wie aus dem Bilderbuch
Bilder suggerieren: In Brasilien brennt der Regenwald wie nie zuvor. Doch das stimmt nicht. Selten aber war mediale Übertreibung so wichtig wie jetzt.
Endlich gute Nachrichten: In Brasilien gibt es immer weniger Brände im Regenwald. Von Januar bis August 2005 loderten in Brasilien an 268.119 Stellen Feuer, im gleichen Zeitraum 2019 dagegen nur an 154.000. Ein signifikanter Rückgang.
Schreibt gerade nicht alle Welt darüber, dass Brasiliens Regenwald brennt, die Lunge der Erde vernichtet wird, besonders auf den Gebieten Indigener? Die nackten Zahlen sprechen eine anders Sprache. Was derzeit passiert, ist der leider übliche Wahnsinn. Wichtig ist der Kontext. „Brasilien war auf einem guten Weg, die Entwaldung zu reduzieren. Der neue Präsidenten Jair Bolsonaro hat allerdings einen dramatischen Kurswechsel eingeleitet, anknüpfend an die Konzepte zu den Zeiten der Militärdiktatur“, sagt Volkhard Wille, der mit der Umweltschutzorganisation Oro Verde dafür kämpft, Urwälder zu retten.
Das macht die Debatte, die an dieser Stelle geführt werden soll, ein wenig delikat. Auf der einen Seite verwandelt Bolsonaro Brasilien in einen faschistischen Staat, tritt die Rechte Indigener mit Füßen und gibt den Regenwald zum Abschuss frei. Auf der anderen Seite verwenden viele Medien gerade vereinfachte Darstellungen von Satellitenmessungen der Nasa, um ihren Zuschauer*innen oder Leser*innen zu zeigen, wie schlimm die Lage ist: Man sieht Südamerika von oben und viele rote Punkte, wie echte Feuer.
Es entsteht der Eindruck, als zeigten die roten Flächen die tatsächliche Größe der Brände, doch das ist nicht einmal ansatzweise korrekt: Sie sind lediglich eine Markierung. Die tatsächlichen Feuer können, je nach Darstellung der Karte, um den Faktor 100.000 kleiner sein. Ein echtes Feuer im Regenwald von hundert mal hundert Meter (0,01 Quadratkilometer) stellt die Nasa-Karte standardmäßig als 3 mal 3 Pixel großen, roten Fleck dar.
Auf einer Karte, die ganz Brasilien zeigt, entspricht der rote Fleck, den man dann am Monitor sieht, einer Fläche von rund 1.000 Quadratkilometern. Aus einem Brand im Berliner Tierpark wird also ungefähr ein Flächenbrand in der ganzen Stadt. Die Rechnung ist zugegeben ein Extrembeispiel, doch insgesamt bleibt es dabei, dass die tatsächlichen Feuer deutlich kleiner sind, als die Karten suggerieren.
Sorgfalt und Medienkompetenz
Selbstverständlich versuchen viele Medien, ihren Leser*innen zu erklären, dass es sich bei den roten Flecken nur um Symbole für Feuer handelt, nicht um echte Feuer. Focus.de hat das so gemacht, auch Spiegel Online, oder stern.de. Dennoch dürfte vielen nicht klar sein, wie sehr die Darstellung auf den Karte verzerrt ist – falls überhaupt alle registrieren, dass es sich nicht um echte Fotos handelt. Auch die taz druckte am Dienstag ein Bild, das Südamerika bei Nacht zeigt, gesprenkelt von roten Punkten. Auch dieses Bild suggerierte, dass es sich dabei um tatsächlichen Feuerschein handelt, was falsch ist. Eine Sprecherin des ARD-„Nachtmagazins“ von Dienstag präsentierte die gleiche, von der Nachrichtenagantur AFP verbreitete Darstellung und sagte dazu: „Diese Karte zeigt das ganze Ausmaß der Brände“, ohne Hinweis darauf, dass es sich um eine illustrative Darstellung handelt.
Jetzt Fragen sich vielleicht viele Leser*innen, ob es im Kontext der Amazonasfeuer nicht Wichtigeres gibt als ein paar als Fotos missverstandene Nasa-Grafiken. In gewissem Sinne stimmt der Einwand: Oro Verde schreibt in einem Bericht, dass Europa so viel Soja aus Brasilien und den USA importiert, dass eine Fläche der Größe Österreichs bepflanzt werden müsste, würde der Bedarf aus eigener Kraft gedeckt. Hauptsächlich werden damit Tiere gefüttert: Unser Steak macht Regenwald kaputt.
Trotzdem hilft es auch nicht weiter, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, gerade jetzt im Moment würde der Amazonas unwiderruflich niederbrennen. Die Plattform Mongabay wertet regelmäßig Entwaldungen in Brasilien aus und beruft sich dabei auf Daten der brasilianischen Weltraumbehörde. Demnach sind seit 1970 etwa 20 Prozent der Fläche des brasilianischen Regenwaldes zerstört worden. Die Brände jetzt tragen einen im Vergleich winzigen Bruchteil dazu bei.
Der Einstieg zu diesem Text ist deshalb absichtlich etwas provokant. Der gezogene Vergleich zwischen den Jahren 2005 und 2019 ist wenig aussagekräftig: Im Jahr 2005 gab es extrem viele Feuer in Brasilien, weil damals deutlich mehr abgeholzt wurde. Auch 2016 gab es ähnlich viele Feuer wie in diesem Jahr. Gegenüber 2018 allerdings gab es einen Zuwachs um 84 Prozent.
Dennoch befinden sich nur sechs Prozent der im August registrierten Feuer in unberührten Regenwäldern. Der Rest brennt in bereits bewirtschafteten Gebieten. Die Zahlen stammen aus guter Quelle, von Mikaela Weisse, die am World Resources Institute in Washington das Projekt Global Forest Watch leitet. Die frühere Leiterin des Instituts, Jennifer Morgan, ist heute Chefin von Greenpeace International. Weisses Projekt wertet Nasa-Daten zu Waldbränden weltweit aus, die offen für alle zugänglich sind.
Wie schlimm die Brände in Brasilien in diesem Jahr wirklich werden, ist im Prinzip noch offen: „Wir stehen noch am Beginn der Feuersaison. Die meisten Brände kommen üblicherweise im September“, sagt Weisse. Sie erläutert auch, dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt, weil die meisten Feuer nicht im eigentlichen Regenwald lodern: Oft fressen sich die Flammen durch das Unterholz tief in noch unberührte Gebiete hinein, was die Nasa-Satelliten wegen der relativ geringen Wärmeentwicklung der Feuer im Unterholz nicht bemerken. Die wahren Schäden werden erst im nächsten Jahr zu erkennen sein.
Kollateralnutzen Aufmerksamkeit
Sowohl Weisse als auch Wille sind der Auffassung, dass das derzeitige Interesse für den Amazonas ein Glücksfall ist. „Die Kernfrage ist doch, ob die mediale Aufmerksamkeit für das, was in Brasilien läuft, angemessen ist“, sagt Wille – und meint: eindeutig ja. Die genaue Zahl der Feuer aufzurechnen, mache wenig Sinn, entscheidend sei die dahinter stehende Strategie. Denn gleichzeitig würden Indigene aus ihren Gebieten vertrieben, die jetzt abgebrannten Flächen seien der Anfang einer neuen Phase der massiven Entwaldung in Brasilien im Interesse großer Agrarkonzerne. Hinzu käme der massive Einsatz von Chemikalien wie Glyphosat auf den gerodeten Flächen. Wille fordert deshalb, dass in Deutschland nur so viele Tiere gehalten werden, wie auch mit hierzulande angebautem Futter aufgezogen werden können. „Hinter den Feuern stehen Grundsatzfragen, was in der globalen Landwirtschaft schief läuft. Ich glaube schon, dass der mediale Rummel um die Feuer gut ist“, sagt Wille.
Insofern sind die vermeintlichen Satellitenbilder der Feuer nützliche Vehikel einer wichtigen Diskussion. Doch gerade weil die Debatten um eine nachhaltige Landwirtschaft noch Jahrzehnte gehen dürften, ist der sorgfältige Umgang mit Fakten und Bildern wichtig. Die zum Teil irreführende Darstellung der Feuer auf vermeintlich objektiven Bildern aus dem All bedürfen der Erklärung. Weil sonst die Glaubwürdigkeit derer leidet, die auch weiter um den Erhalt der Wälder ringen, wenn die mediale Karawane weitergezogen ist.
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