Parteitag der Berliner Grünen: „Als scharfes Schwert“

Zeitgleich zum Grünen-Parteitag startet Samstag das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Landesvorsitzender Werner Graf im Interview.

Landesvorsitzender Werner Graf steht an einem Plut und hält eine Rede bei einem Parteitag der Berliner Grünen

Nur mit Mehrwegbecher: Werner Graf, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, spricht bei einer Landesdelegiertenkonferenz Foto: dpa

taz: Herr Graf, Berlin streitet über Enteignung und ein Volksbegehren dazu, aber die Grünen blenden das Thema am Samstag bei ihrem Parteitag aus. Wie kann das sein?

Werner Graf: Wir blenden das doch nicht aus.

Aber es liegt doch bislang kein einziger Antrag dazu vor.

Die großen Landesparteitage sind ja nicht die einzigen Gremien, in denen wir uns damit beschäftigen können. Wir haben vor einiger Zeit bei einem kleinen Parteitag darüber diskutiert und werden das Mitte Mai wieder machen und dort auch einen Beschluss fällen. Die Frage ist nicht die der ersten Stufe des Volksbegehrens, sondern wie es danach weitergeht. Ich wette, dass die erst mal nötigen 20.000 Unterschriften innerhalb von zwei oder drei Stunden zusammenkommen.

38, führt seit Ende 2016 und damit seit dem Start der rot-rot-grünen Koalition zusammen mit seiner Co-Vorsitzenden Nina Stahr den Landesverband der Berliner Grünen. Zuvor war Graf, vormals Bundeschef der Grünen Jugend, vor allem in der Kreuzberger Bezirkspolitik engagiert und arbeitete für die damalige Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth

Das ist ja gerade die skurrile Situation: Die Unterschriftensammlung beginnt am Samstag, aber die genau dann tagenden Grünen entscheiden erst über einen Monat später, wie sie dazu stehen.

Es ist ja nicht so, dass wir dazu schweigen. Denken Sie an die letzte Plenarsitzung im Parlament, da hat Katrin Schmidberger für uns eine großartige Rede gehalten …

in der sie das Volksbegehren begrüßte, ja – das war aber für die Fraktion, Samstag geht es um die Partei.

Sie werden auch nicht gänzlich andere Zitate von den Parteivorsitzenden finden.

Ihre führende Frau im Senat aber, Ramona Pop, hat davor gewarnt, „das Wort Enteignung leichtfertig in den Mund zu nehmen“.

Leichtfertig sollte man das nicht in den Mund nehmen, das finde ich auch. Bei dem im Volksbegehren adressierten Artikel 15 im Grundgesetz geht es übrigens um Vergesellschaftung. Und wir wollen auch nicht einfach wild enteignen – wir sind mitten in der Debatte, und es steht uns gut zu Gesicht, bei solch schwierigen Fragen gründlich abzuwägen. Ist es richtig, 3.000 Wohnungen als Mindestgröße für Enteignungen festzulegen? Ist es nicht notwendig, viele verschiedene Schritte gleichzeitig zu gehen? Vorkaufsrecht, Milieuschutz, Mietendeckel, Abwendungsvereinbarungen, stadtweite Sozialverträge …

bei denen sich Eigentümer unter anderem verpflichten, auf Nutzungsänderung, überzogene Modernisierung und überhöhte Mieten zu verzichten.

Genau, und wenn das nicht ausreicht, brauchen wir auch eine Vergesellschaftung als scharfes Schwert. Allein schon um Druck in den Verhandlungen mit den ganzen profitgetriebenen Vermietern – ich rede jetzt nicht von denen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen – ausüben zu können. Wenn wir bisher mit der Deutsche Wohnen verhandeln, lachen die uns doch hinter vorgehaltener Hand aus. Die Politik muss hier wieder auf Augenhöhe mit den Unternehmen verhandeln können. Am Ende wird eine einzelne Maßnahme auch nicht ausreichen, um die Mieten- und Wohnungskrise in Berlin zu lösen. Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen.

Am Samstag geht es beim Landesparteitag der Grünen statt um Enteignung und Volksbegehren vor allem um zwei Leitanträge des Landesvorstands. „Selbstbestimmt Leben“ in Berlin hat zum Ziel, dass sich in der Bundeshauptstadt alle entfalten und glücklich werden können, egal wie der jeweilige Lebensentwurf aussieht. Der zweite große Antrag, der den rund 140 Delegierten im Tagungswerk Jerusalemkirche in Kreuzberg vorliegt, beschäftigt sich unter der Überschrift „Berliner Sonne“ mit dem Thema Energie. Sein Ziel ist, dass Berlin anders als heute mehr Energie produziert als verbraucht. (sta)

Jetzt sprechen Sie aber von einem Volksbegehren, wie Sie es gerne hätten, aber nicht von dem, für das ab Samstag Tausende unterschreiben werden.

Warum?

Weil dort festgeschrieben ist: „Private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, sollen enteignet werden.“ Von verschiedenen Schritten steht da nichts. Das können Sie nicht ändern, dazu müssen Sie sich positionieren.

Nein, denn das Verfahren ist anders. Wie gesagt, ich wette, die brauchen für die 20.000 keine zwei Stunden. Und nach dieser ersten Stufe geht das erst mal ins Abgeordnetenhaus und in die Fraktionen.

Ändern können Sie es trotzdem nicht – das Volksbegehren kann laut Gesetz nur im Kern unverändert in die nächste Stufe gehen, wo dann rund 175.000 Unterschriften zu sammeln wären.

Aber nur, wenn es tatsächlich in die zweite Stufe geht.

Wieso sollte das nicht passieren?

Beim Mieten-Volksbegehren 2015 hat der damalige Senat sich nach der ersten Stufe mit den Organisatoren an einen Tisch gesetzt und über Gesetze und Maßnahmen gesprochen, die dann eine Fortsetzung überflüssig machten. Ich finde, dass der Senat auch hier die klare Aufgabe hat, mit den Initiatoren gemeinsam ein solches Paket zu erarbeiten. Erst wenn das scheitert, kommen wir an einen Punkt, an dem wir hopp oder topp sagen müssen. Aber an diesem Punkt sind wir noch lange nicht.

Um mal grundsätzlich zu werden: Gerade haben Sie „profitgetrieben“ und „gut“ gegenübergestellt – ist Profit per se schlecht und böse?

Nein, ich sage nicht, dass es per se schlecht ist. Ich sage bloß: Wenn der Wohnungsmarkt mehr dazu dient, Hedgefonds – bei der Deutsche Wohnen etwa ist Blackrock mit zehn Prozent beteiligt – Gewinne zu bringen, als den Berlinerinnen und Berliner zu nutzen, dann läuft etwas gehörig falsch. Wir in der Politik sind dafür da, Interessen auszugleichen – und es zeigt sich seit Jahren eine komplette Schieflage auf dem Wohnungsmarkt zu Lasten der Mieter.

Mal angenommen, es kommt zu keinem Kompromiss und zum Volksentscheid: Machen die hohen Kosten, die dann drohen, keine Angst? Auf 28 bis 36 Milliarden Euro beziffert der Senat die Enteignungskosten.

Nein, das macht mir keine Angst. Denn ich meine nach wie vor – und dazu gibt es ja auch verschiedene Gutachten –, dass wir nicht zum Marktwert vergesellschaften müssen. Und außerdem: Wer schon mal ein Haus gekauft hat, der weiß: Man legt selten den ganzen Betrag auf einmal hin.

Und das Gleiche gilt für das Land Berlin?

Ja, genau. So betrachtet sehen die Zahlen, selbst die des Senats, schon mal ganz anders aus. Wir müssten zu Beginn zwar einen Eigenanteil von drei bis vier Milliarden Euro auf den Tisch legen, danach würde der Landeshaushalt aber nur noch mit 100 Millionen Euro belastet. Bei den Zahlen der Initiative wären wir bei einer jährlichen Belastung von 40 bis 60 Millionen Euro. Die Wahrheit liegt dann wohl dazwischen – aber es ist beides machbar.

Selbst wenn das so wäre: Die Kritiker einer Enteignung sagen einen großen Imageschaden für Berlin voraus: weniger Ansiedlungen, weniger neue Arbeitsplätze.

Unser Problem ist ja gerade nicht, dass keiner zu uns kommen will. Ich habe lange in Friedrichshain-Kreuzberg Politik gemacht hat und dort wurde den Grünen immer vorgeworfen: So vertreibt ihr die Investoren! Doch was war? Mercedes, Universal, Google, sie alle wollten zu uns. Wir haben doch das Problem, dass die steigenden Wohnkosten dem Wirtschaftsstandort Berlin schaden.

Als Regierungschef Müller vergangene Woche von einem Treffen mit dem Deutsche-Wohnen-Chef berichtete, weitere Gespräche ankündigte und erneut sagte, dass er dem Unternehmen früher landeseigene Wohnungen abkaufen will, da haben Sie heftig protestiert.

Ich finde es wirklich nicht okay, dass wir die so teuer zum Marktwert zurückkaufen sollen. Die Deutsche Wohnen hat sich nicht als Mieterfreund in Berlin aufgeführt, im Gegenteil, und es wäre falsch, sie nun noch dafür zu belohnen. Deswegen finde ich es nicht richtig, jetzt zu ihr zu laufen und zu fragen: Zu welchem Preis willst du mir deine billigsten und schlechtesten Wohnungen verkaufen?

Mit ihrer Kritik an Müller war das gegenseitige Kritisieren in der Koalition komplett: Erst holzte die Linkspartei gegen die SPD, dann sagt Müller beim SPD-Parteitag „So geht es nicht weiter“. Ja, wie geht es denn weiter in der rot-rot-grünen Koalition?

Die SPD hat im Augenblick keine einfache Situation. Ich sehe das relaxed – wir werden uns immer wieder hinsetzen und zu Kompromissen kommen. Wenn sich Michael Müller beim SPD-Parteitag hinstellt und in seiner Rede draufhaut, dann ist das auch seiner Rolle als Parteivorsitzender geschuldet – danach ist es wieder seine Aufgabe als Regierender Bürgermeister, die Regierungsarbeit gut zu managen. Da ist er jetzt in der Pflicht.

Das wirkt nicht wie eine Liebesbeziehung, sondern wie eine alternativlose Zwangspartnerschaft. Oder, um beim Thema zu bleiben: wie ein bloßes Zusammenwohnen wegen Wohnungsmangels.

Liebesbeziehungen sind Koalitionen sowieso nicht.

Auch nicht bei den Linken? Es ist so viel von mentaler Nähe zu hören.

Ich bin bei den Grünen eingetreten, weil die Grünen für mich die beste Partei sind. Und mit den anderen koaliere ich, weil ich etwas zusammen hinkriegen will. Ich sehe die meisten Schnittmengen und das beste Reformprojekt hier in Berlin nach wie vor bei Rot-Rot-Grün.

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