Starkbieranstich in München: Herr Söder hält sich ein Dusel
Das Politiker-Derblecken ist Bayerns wichtigste Kabarett-Veranstaltung. Dieses Jahr steht erstmals der neue Ministerpräsident im Mittelpunkt.
Vor einem Jahr nun befand Kinseher, es sei genug, und trat ab – freiwillig. Und Seehofer tat es ihr gleich – weniger freiwillig. So ist es an diesem Abend Kinsehers erst 33 Jahre alter Kollege Maxi Schafroth, der auf der Bühne steht – und Markus Söder als Ministerpräsidenten vor sich im Publikum sitzen hat.
Ein bisschen Kinseher hat Schafroth dann doch hinübergerettet in die neue Ära. Die Vorgängerin war stets bedacht, ihre missratenen Kinder bei aller Schelte doch immer noch liebevoll an den mütterlichen Busen zu drücken. Auch Schafroth tritt nicht wirklich auf als Levitenleser, als Nörgler oder Grantler. Man müsse die Politiker freundlich umarmen, um sie dann hinten ein bisschen abzuwatschen, hatte der Kabarettist vor seinem Auftritt angekündigt. Von ihm sei jetzt „keine aufgesetzte Schauspielerei“ zu erwarten, sagt er dann auf der Bühne. „Das ist dein Kompetenzbereich, lieber Markus Söder, da grätsch’ ich dir nicht rein.“ Das ist so eine Watschn.
Schafroths Rede ist witzig, sympathisch und meist treffend – wenn auch alles in allem eher freundlich. Die Gefahr, dass dem einen oder anderen das Lachen so richtig im Hals stecken bleiben könnte, ist gering. Die Wahrheiten kommen mitunter in Wattebäuschen – oder so allgemein formuliert, dass sich niemand persönlich angesprochen fühlen muss: „Wenn die CSU behauptet, sie wär’ eine christliche Partei, dann kann ich als Allgäuer Ex-Ministrant auch behaupten, dass ich ein Schweigemönch bin.“
„No Passport, no Nächstenliebe“
Am ärgsten knöpft sich der Kabarettist Innenminister Joachim Herrmann vor, der stellvertretend für die Migrationspolitik der CSU geradestehen muss. „He believes in Nächstenliebe. But to receive Nächstenliebe, you need a German Passport“, erklärt Schafroth den Asylbewerbern im Land. „No Passport, no Nächstenliebe.“
Schafroth spickt seine Rede mit Bildern und Metaphern aus seiner Allgäuer Heimat. Die CSU, sagt er etwa, sei jetzt grün, sozial, dynamisch, urban, da sei alles drin. „Das erinnert mich so a bissl an unsere alte Dorfwirtschaft, die haben auch kurz vor der Insolvenz noch einmal eine ganz dicke Speisekarte gedruckt.“
Jetzt hat die CSU in der Staatsregierung ja auch noch die Freien Wähler an ihrer Seite. Deren Chef Hubert Aiwanger hat es Schafroth besonders angetan: „Ganz glücklich sitzt er da, mit seinem Freibier. Du nimmst mit, was geht. Du bist so einer, der am Ende von der Raiffeisenvollversammlung noch die übrigen Schnitzelsemmeln zammfrisst.“
Söder ist jetzt Bienenfreund
Szenenwechsel: Auf die Fastenpredigt folgt in der zweiten Hälfte der Veranstaltung traditionell das Singspiel, ein Bühnenstück mit verteilten Rollen und Musik. Schauplatz ist dieses Mal ein heruntergekommener Wellness-Bereich unterhalb der Staatskanzlei. Thema ist das größte politische Mysterium des vergangenen Jahres in Bayern – die Metamorphose des Markus Söder.
„Markus Söder ist jetzt auch wieder Europäer. Er ist offener geworden, lockerer, jünger, schöner, weiblicher. Und er ist ein Bienenfreund.“ Sagt kein geringerer als der von Stephan Zinner großartig verkörperte Markus Söder selbst.
Und seinem verdutzten Vize Aiwanger erklärt der Ministerpräsident im violetten Trainingsanzug, dass er sich das Ego operativ habe verkleinern lassen: „Das war schon ein größerer Eingriff. Das hat ja schon gewuchert, teilweise sogar bösartig.“ Nebenwirkung habe die OP keine, er könne bloß dieses eine Wort nicht mehr sagen: „Ich.“ Passt ja, Söder spricht ohnehin fast nur noch von der „geschlossenen Mannschaftsleistung“. Mit dem „W-w-w-ir“ hakt es jedoch noch etwas.
Söders Privatdusel
Die Zweifel an der Authentizität des neuen Söders sind im Stück freilich ähnlich groß wie in der politischen Realität. Im Singspiel allerdings bekennt Söder zuletzt: „Das mit dem Wir-Sagen ist doch ein billiger Trick. Das is’ mir fast selber schon peinlich.“
Doch der Trick kann noch nicht die einzige Erklärung sein. Denn alle – von Aiwanger bis Andrea Nahles – fragen sich: Wie macht er das bloß? Warum sitzt Markus Söder so unverschämt fest im Sattel – nach einer denkbar herben Wahlniederlage im letzten Jahr?
Im Singspiel erfahren wir die Antwort: Es ist das Dusel, „das kleine Glück“, wie auch der Titel des Stücks lautet. Das Dusel ist ein kleines felliges Etwas, das Söder im Wellness-Keller in einen Spind gesperrt hat, wo es ihm stets zu Diensten sein muss – auch wenn es sich empört, es sei kein „Privatdusel für karrieregeile Streber, sondern das Bayern-Dusel“.
Nicht ganz so gut wie letztes Jahr
Es folgen nette Szenen, viel Dialogwitz, doch letztlich plätschert das Geschehen im Badekeller so vor sich hin, an die Leistung vom letzten Jahr kommen die Autoren Richard Oehmann und Stefan Betz nicht mehr heran. Die Latte hängt aber auch denkbar hoch.
Eine Überraschung aus der Abteilung Folklore gelingt ihnen jedoch wieder. War es im vergangenen Jahr noch die originale Uschi Glas, die als Halbblut Apanatschi einen Immobilienhai mimte, tritt diesmal die leibhaftige Marianne mit dem leibhaftigen Michael als Marianne und Michael auf – singend, versteht sich: „Es war ein Glückstag ganz gewiss, wia's Dusel bayerisch geworden is'.“
Am Ende ist das Dusel tot und alle Fragen offen. Und wie immer bei Satire, Kabarett oder überhaupt Kunst stellt sich die Frage: Ob's wohl hilft? „Kritisches Theater“, hat Schafroth zuvor gesagt, „das ist wie die Homöopathie: Die Linken glauben dran, wir wissen – es ist wirkungslos.“ Die Politiker, die echten, loben schließlich ihre Derblecker, versuchen noch einmal zu beweisen, dass sie Humor haben, und machen sich auf den Heimweg in die Wirklichkeit. Am Mittwoch trifft man sich wieder – bei der Plenarsitzung im Landtag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung