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Aus „Le Monde diplomatique“Wer siegt im Handelskrieg?

Trump ist siegesgewiss. China setzt auf den riesigen Binnenmarkt, der Exportverluste kompensieren könnte. Verlierer sind die Bürger.

Der von US-Präsident Trump vom Zaun gebrochene Handelskrieg bremst schon jetzt die Weltwirtschaft Foto: ap

Die USA und China haben einen Handelskrieg eröffnet, und nichts scheint sie zur Vernunft bringen zu können. Den Anfang machte Donald Trump am 18. April 2017 mit Drohungen gegen ungenannte Handelspartner, die „uns bestehlen“. Ein halbes Jahr später kam die Gegendrohung. Präsident Xi Jinping erklärte auf dem 19. Parteitag der KPCh, niemand dürfe erwarten, „dass China die bittere Pille des Verlusts seiner eigenen Interessen schlucken würde“ (1).

Der Eskalation der Worte folgte eine Serie von Handelssanktionen. Am 22. März 2018 erhöhte Washington die Zölle auf verschiedene chinesische Importe von 10 auf 25 Prozent, Peking schlug postwendend zurück. Die Kettenreaktion wechselseitiger Sanktionen könnte weit über den nächsten Winter hinaus andauern. Dabei fällt es manchmal schwer, großmäulige Ankündigungen und tatsächlich umgesetzte Maßnahmen auseinanderzuhalten.

Die USA haben eine Liste von 5.745 chinesischen Produkten erstellt (Stahl, Aluminium, Chemieerzeugnisse, Textilien, Elektronik und anderes mehr). Diese Warengruppen repräsentieren ein Handelsvolumen von 200 Milliarden Dollar, das sind knapp 40 Prozent aller chinesischen US-Exporte in Höhe von 505 Milliarden Dollar (2017).

Ab 1. Januar 2019 sollen die Einfuhrzölle für diese Produkte von 10 auf 25 Prozent angehoben werden. Dabei sind allerdings mehrere Ausnahmen vorgesehen, wozu interessanterweise Smartwatches gehören. Damit kann der führende Anbieter Apple seine Apple Watch weiter in China zusammenbauen lassen und in die USA re­impor­tieren. Peking revanchiert sich mit einer Liste von 5.200 US-Produkten, die ein Volumen von 60 Milliarden Dollar repräsentieren; das entspricht 47 Prozent aller US-Exporte nach China in Höhe von 128 Milliarden Dollar (2017).

Protektionistischer Blitzkrieg gegen China

War die chinesische Seite auf diese Entwicklung vorbereitet? Die Journalistinnen Wendy Wu und Kristin Huang aus Hongkong, die mit Experten beider Seiten gesprochen haben, kommen zu der Einschätzung: „Peking wurde offenbar vom handelsprotektionistischen Blitzkrieg Trumps überrascht und hat das Anwachsen der chinafeindlichen Stimmung in Washington unterschätzt.“ Ein früherer Berater der US-Regierung meint: „Um die amerikanische Politik zu verstehen, konzentriert sich Peking zu stark auf die Wall Street und auf die liberale Elite – alles Leute, die keinerlei Einfluss auf Trump haben.“ Zu diesen Leuten zählt er Ex­außenminister Henry Kissinger und Exfinanzminister Henry Paulson (2).

Die von Xi Jinpings Vertrauensmann Liu He angeführte chinesische Verhandlungsdelegation glaubte im Mai 2018 schon, eine Vereinbarung unter Dach und Fach zu haben. Sie versprach, die Energie- und Agrarimporte zu erhöhen und ausländischen Unternehmen – vor allem aus den USA – die Möglichkeit zu eröffnen, Mehrheitsbeteiligungen an chinesischen Unternehmen zu erwerben. Doch das war zu wenig, und der Schritt kam zu spät. „Trump hat den Deal mit China gestoppt“, hieß es in einer Analyse von Bloomberg News. Seitdem gehe man in Peking davon aus, dass der US-Präsident „so lange nicht aufgeben wird, bis er den Aufstieg Chinas ein für allemal vereitelt hat“ (3).

Le Monde diplomatique

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique. LMd liegt immer am zweiten Freitag des Monats der taz bei und ist einzeln im taz-Shop bestellbar: Gedruckt oder digital (inklusive Audio-Version). Das komplette Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe finden Sie unter www.monde-diplomatique.de.

Die Mehrheit der chinesischen Elite teilt diese Einschätzung. Die (sehr vorsichtig geführte) Diskussion in diesen Kreisen gilt vor allem der Frage, wie man mit dem amerikanischen Freund umgehen soll. Beobachter wie Shi Yinhong, Direktor des Zentrums für Amerikanistik der Renmin-Universität in Peking, lasten die Konfrontation größtenteils der chinesischen Seite an, die jahrelang nichts getan habe, um den Handelsüberschuss zu reduzieren und den Zugang zu den chinesischen Märkten zu erleichtern (4).

Anders sieht das die staatlich kontrollierte englischsprachige Tageszeitung Global Times: „Die USA werden ihre Intention, Chinas Aufstieg einzudämmen, oder ihren Drang, China ökonomisch anzugreifen, so schnell nicht aufgeben. Das Problem ist nicht einfach dadurch zu lösen, dass sich China um Zurückhaltung bemüht und auf diplomatischer und publizistischer Ebene entsprechend auftritt“ (5).

Japan in die Knie gezwungen

Im direkten Widerspruch zu der Doktrin des legendären Reformers Deng Xiaoping – „Verberge deine Fähigkeiten, warte auf den richtigen Augenblick, übernimm nie die Führung“ – präsentiert sich Xi Jinping auf der internationalen Bühne selbstbewusst als Nummer eins eines „großen Landes“, das auf Augenhöhe mit den USA agiert.

Die Kommunikation ist gleichwohl nicht vollständig unterbrochen. Ende August reiste eine Delegation mit Vize­handelsministers Wang Shouwen an der Spitze nach Washington. Wie erwartet endeten die Gespräche ohne Ergebnis, zumal Wang noch im Juli die USA als Handelstyrannen bezeichnet hatte.

Die aggressive Haltung der USA erinnert Yifan Ding, einen der Wirtschaftsberater des chinesischen Präsidenten, an die Politik der Reagan-Administration, die in den 1980er Jahren mit Japan die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt „in die Knie gezwungen hatte“.

Damals habe die Verhängung horrender Zölle (bis zu 100 Prozent auf Fernseher und Videorecorder) im Verein mit steigenden Zinsen eine Depression herbeigeführt, von der sich Japan bis heute noch nicht vollständig erholt habe. Ein solches Szenario schließt Ding gegenüber China jedoch völlig aus: „Wir wollen keinen Handelskrieg. Aber sollte es dazu kommen, könnten wir das durchstehen.“

Allerdings gibt es eine Parallele: Wie Japan hat auch China auf den Export gesetzt, der lange Zeit als Wachstumsmotor funktionierte. Ende der 1970er Jahre setzte die Führung der KPCh, um die Stagnation und Abschottung der maoistischen Ära hinter sich zu lassen, auf die verfügbaren Produktionsfaktoren: ein Heer von gut ausgebildeten, disziplinierten und niedrig bezahlten Arbeitskräften und dazu das Kapital ausländischer Investoren, die nach neuen Anlagemärkten suchten. Hilfreich waren auch die Initiativen der Welthandelsorganisation (WTO) und anderer internationaler Institutionen, die den Protektionismus der Volkswirtschaften der alten Welt überwinden wollten.

Eindämmung des chinesischen Einflusses

„China hatte zunächst gezögert, bevor das Land 2001 letztlich der WTO beitrat“, gestand Präsident Xi Jinping im Januar 2017 auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum, „aber wir kamen zu dem Schluss, dass wir den Mut aufbringen mussten, im großen Meer der Weltmärkte mitzuschwimmen. Und wir haben das Schwimmen gelernt“ (6).

Und zwar so gut und so schnell, dass China nacheinander die Volkswirtschaften Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und Japans überholte. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2016 bei 11 200 Milliarden US-Dollar. Das BIP der USA betrug im selben Jahr 18 569 Milliarden US-Dollar. Aus Sicht mancher Beobachter insbesondere in Washington hat China gute Chancen, auch die USA noch zu überholen.

In seiner bekannt blumigen Sprache verkündete Präsident Trump: „Alle Dummköpfe, die auf Russland starren, sollten sich lieber über China Sorgen machen“ (7).

Trump landete im August einen Punktsieg, als der Kongress das Gesetz über die nationale Verteidigung verabschiedete, dem auch die meisten Demokraten zustimmten. Darin heißt es, die Eindämmung des chinesischen Einflusses habe höchste Priorität, was die Abstimmung vieler Bereiche erfordere, „insbesondere auf diplomatischer, wirtschaftlicher, militärischer und nachrichtendienstlicher Ebene“ (8). Diese Strategie geht also weit über die Handels- und Wirtschaftspolitik hinaus.

Dass die USA nach wie vor in allen genannten Bereichen überlegen sind, steht indes außer Zweifel. Das Reich der Mitte macht zwar große Fortschritte, doch das chinesische BIP pro Kopf erreicht lediglich 15 Prozent des US-Niveaus. Die Angst in Washington ist derzeit also eher selbstgemacht. Allerdings erzielen die Chinesen im Handel mit den USA jedes Jahr neue Rekord­überschüsse. 2017 waren es 375 Mil­liar­den Dollar, das entspricht 43 Prozent des gesamten US-Außenhandelsdefizits von 863 Milliarden Dollar. „Unsere Industrie ist seit Jahren, ja seit Jahrzehnten Ziel unfairer Handelsattacken“, twitterte Donald Trump am 1. März. „Das zur Schließung von Fabriken und Hochöfen sowie zur Entlassung von Millionen Arbeitern geführt und unsere Gemeinden ausbluten lassen.“

Falsche Diagnosen

Die Deindustrialisierung der entwickelten Welt hat zwar lange vor Chinas Erscheinen auf der Weltbühne begonnen, ist aber ein unbestreitbares Faktum. Ebenso real ist die Verzweiflung und Wut von Teilen der Bevölkerung, die sich – nicht nur in den USA – in der Hinwendung zu autoritären und rechtsextremen Politikern ausdrückt.

Letztere arbeiten allerdings mit falschen Diagnosen. Der chinesische Erfolg ist keineswegs das Ergebnis „unfairer Handelspraktiken“ – obwohl es die auch gibt, wie zahlreiche Beschwerden bei der WTO zeigen. China nutzt schlicht und einfach die Regeln aus, die sich die mächtigsten Staaten der Welt – voran die USA – ausgedacht haben. Zudem kann Peking auf positive Resultate verweisen, nicht zuletzt darauf, dass man 800 Millionen Chinesen aus extremer Armut herausholen konnte.

Die Staats- und Wirtschaftslenker des Westens waren auch keineswegs gezwungen, ihre Länder für den totalen Freihandel zu öffnen, die Verlegung von Produktionsstandorten ins Ausland zu fördern und sämtliche Instrumente einer staatlichen Interven­tions­politik sukzessive abzuschaffen: All das geschah auf Druck der multinationalen Unternehmen, das heißt gerade der Kapitalgruppen, die als Erste nach China drängten.

US-Präsident Donald Trump hat in seiner Handelspolitik vor allem China ins Visier genommen Foto: dpa

Die Folge ist, dass heute immer noch 42,6 Prozent der „chinesischen“ Gesamtexporte von ausländischen Unternehmen stammen, die die gesamte Produktionskette – von der Entwicklung bis zum Verkauf – kontrollieren. Das bekannteste Beispiel ist das iPhone von Apple, das in China zusammengebaut wird und bei dem nur 3,8 Prozent der Wertschöpfung in China entstehen, aber 28,5 Prozent in den USA.

Richtig ist allerdings, dass die chinesische Führung die ausländischen Unternehmen gedrängt hat, einen Teil ihres technologischen Know-hows preiszugeben. Das gilt insbesondere für die Bereiche Luft- und Raumfahrttechnik, Elektronik, Automobile, Hochgeschwindigkeitszüge und Atomkraft. Aber auch hier hatten die Multis nichts dagegen, sie waren im Gegenteil froh, die billigen Arbeitskräfte nutzen und die ökologischen Folgen ihrer Produktion ignorieren zu können.

Dass die chinesische Führung wenig unternommen hat, um die eigene Bevölkerung vor der wachsenden Ungleichheit und der Umweltverschmutzung zu schützen, ist durchaus zu bedauern. Aber diese Punkte tauchen auf der Beschwerdeliste von Donald Trump und seinen Freunden natürlich nicht auf. Die beklagen andere Dinge: „Der Handel hat die Kommunistische Partei nicht gezähmt. Der Ein­par­teien­staat hat die chinesische Wirtschaft noch immer fest im Griff“, meint der Wirtschaftswissenschaftler Brad W. Setser (9). Damit will er sagen: Ausländische Großkonzerne können nicht nach ihrem Gusto Geschäfte treiben.

Das gilt für traditionelle Branchen wie die Stahlindustrie, aber auch für die Viererbande der Internetgiganten, GAFA genannt (Google, Apple, Facebook, Amazon). Unter diesen Big Four ist Apple das einzige Unternehmen, das sich erfolgreich behauptet hat. Ansonsten ist es China gelungen, mit Alibaba, Tencent, Weibo und WeChat eigene Technologien zu entwickeln. Diese werden von den Machthabern zweifellos genutzt, um Regierungskritiker zu zensieren. Aber zugleich verbleiben damit die 802 Millionen Internetnutzer (57,7 Prozent der Bevölkerung) samt ihren Metadaten außerhalb des GAFA-Reichs. China ist damit eines der wenigen Länder, die sich dem Einfluss der Big Four entziehen.

Warum das Silicon Valley Trumps Feldzug unterstützt

Das erklärt, warum das Silicon Valley, eine Bastion der Demokraten, in dieser Frage auf einer Linie mit dem altindustriellen „Rust Belt“ liegt, der bekanntlich eine Trump-Hochburg ist. Die Stahlgiganten dieser Region haben „sehr enge Verbindungen“ zu hochrangigen Vertretern der Trump-Regierung, heißt es in einer Analyse der New York Times vom 5. August.

Zu diesen Trump-Leuten zählt auch der US-Handelsbeauftragte Robert Light­hizer, der schon in den 1980er Jahren dem Team um Expräsident Rea­gan angehörte. Bei dem Bündnis zwischen Silicon Valley und Rust Belt geht es allerdings mehr darum, die Interessen der Aktionäre zu verteidigen als die der wütenden Arbeiter – wenngleich der Kampf gegen Billigimporte auch der einen oder anderen Belegschaft zugutekommt.

Natürlich hat der allenthalben – und auch von Präsident Xi Jinping – gepriesene Freihandel Zigmillionen Beschäftigte in aller Welt um ihre Jobs gebracht und beispiellose Umweltschäden verursacht. Doch ein Protektionismus, der sich ganz und gar am ungehemmten Gewinnstreben à la Trump orientiert, wird der übergroßen Mehrheit der US-Bürger gar nichts bringen. Bei diesem Handelskonflikt dürfte es letztlich nur wenige – oder gar keine – Gewinner geben.

Das sieht Lawrence Kudlow, Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, ganz anders. Er hat keine Zweifel, dass Peking am Ende nachgeben und sich dem Willen des US-Präsidenten unterwerfen wird. Kudlow sieht die chinesische Wirtschaft am Rande des Abgrunds: „Die Einzelhandelsumsätze und die Investitionen brechen ein“, behauptete er bei einer Kabinettssitzung, die Journalisten mit Zustimmung Trumps filmen durften (10).

Diese kühne Einschätzung ist freilich durch keinerlei Daten zu belegen. Die chinesischen Importe sind von Juli 2017 bis Juli 2018 um 27,3 Prozent gestiegen, was Indiz für eine kräftige Konjunktur ist. Zwar hat sich das Exportwachstum verlangsamt, aber mit einem Plus von 12,2 Prozent im Jahr 2017 ist es immer noch respektabel.

Gewiss wird die Konfrontation nicht spurlos an China vorbeigehen. Die Exporte in die USA machen 20 Prozent der gesamten chinesischen Ausfuhren aus. Wenn diese drastisch zurückgehen, geht dies unweigerlich zulasten der Produktion in der Elek­tronik- oder Textilbranche wie auch in der Stahl- oder der Chemieindustrie, die Überkapazitäten aufweisen. Das könnte den laufenden Umstrukturierungsprozess beschleunigen, was wiederum Protestbewegungen mit unberechenbaren Folgen auslösen könnte. Vor diesem Hintergrund hat Premierminister Li Keqiang Ende August den von den Handelszöllen betroffenen Unternehmen staatliche Beihilfen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar zugesagt.

Kauf ausländischer Unternehmen

Das Wirtschaftswachstum dürfte allerdings lediglich um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte geringer ausfallen. Als wirklich bedrohlich könnte sich etwas anderes erweisen: das zeitliche Zusammenfallen der erzwungenen Umstrukturierungen mit dem von der Regierung geplanten qualitativen Umbau, der auf eine Wirtschaft mit höherer Wertschöpfung zielt.

Mit einem Wachstum von 6,7 Prozent hat China im zweiten Quartal 2018 die offiziellen Prognosen (6,5 Prozent) übertroffen. Diese hochpolitische Zahl markiert das Wachstumsniveau, das erforderlich ist, um die neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Arbeitskräfte zu absorbieren und größere soziale Konflikte zu vermeiden. Allerdings sind die Exporte nicht mehr die Lokomotive der chinesischen Wirtschaft. Diese Rolle haben schon längst der Binnenkonsum und die Investitionen übernommen, die 43,4 Prozent respektive 40 Prozent des BIPs ausmachen. Das bedeutet, dass Präsident Xi den Wachstumsmotor nötigenfalls mit binnenwirtschaftlichen Maßnahmen wieder ankurbeln könnte.

Das US-Embargo auf Elektronikprodukte hat das Thema Computerchips auf die Tagesordnung der chinesischen Führung gebracht, denn China ist ja der größte Absatzmarkt für amerikanische Chips. Sehr bald werden die chinesischen Unternehmen diese Chips selbst produzieren – und zu günstigeren Preisen.

Präsidentenberater Yifan Ding

Dabei wird Xi allerdings den Coup seines Vorgängers aus den Krisenjahren 2007 und 2008 nicht wiederholen können, der den Geldhahn sehr weit aufgedreht hatte. Die Folge war damals eine ungeheure Verschwendung von Ressourcen und ein besorgniserregender Schuldenberg, mit dessen Abbau die aktuelle Regierung noch immer beschäftigt ist. China hat aber durchaus Handlungsspielraum. „Anders als Japan in den 1980er Jahren verfügen wir über einen Markt von 1,3 Milliarden Einwohnern, der sich von Donald Trump und seinen Beratern nur schwer zerstören lässt“, meint ein chinesischer Wirtschaftswissenschaftler.

Im Fall eines konjunkturellen Abschwungs haben Xi Jinping und seine Regierung dabei noch ein zweites Instrument in der Hinterhand: Der Plan „Made in China 2025“ wurde vor drei Jahren aufgestellt, um die Innova­tions­kraft der Industrie zu steigern und die Autonomie von zehn Branchen zu stärken (vor allem IT, Robotertechnik, Luft- und Raumfahrttechnik, Meerestechnologie, E-Automobile, Biomedizin, neue Werkstoffe und Energie). Die öffentlichen und privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben in diesen Branchen sind mittlerweile auf mehr als 2,3 Prozent des BIPs angestiegen.

Die chinesische Regierung hatte natürlich gehofft, durch den Kauf ausländischer Unternehmen noch schneller Zugang zu wichtigen Zukunftstechnologien zu gewinnen. Das scheiterte jedoch am Veto Washingtons; aber auch an Restriktionen, die einige europäische Länder wie Deutschland einführten. China verfügt allerdings über genügend finanzielle Reserven, um die Kapazitäten im eigenen Land aufzubauen. In Peking hängt man das zwar nicht an die große Glocke, aber der Präsidentenberater Yifan Ding erklärt ganz offen: „Das US-Embargo auf Elektronikprodukte hat das Thema Computerchips auf die Tagesordnung der chinesischen Führung gebracht, denn China ist ja der größte Absatzmarkt für amerikanische Chips. Sehr bald werden die chinesischen Unternehmen diese Chips selbst produzieren – und zu günstigeren Preisen.“

„Made in China 2025“

Neben der Ankurbelung der eigenen Wirtschaft verfolgt die chinesische Regierung zwei weitere Ziele: Sie will sich von Abhängigkeiten befreien und sie will weltweit neue Partner finden – insbesondere in den Entwicklungsländern. Wie wichtig das erste Ziel ist, zeigt der Fall Iran. Donald Trump hat Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die mit Iran kooperieren, und will sie zum Abbruch ihrer Geschäftsbeziehungen bringen. Als Druckmittel stehen ihm die US-Lizenzen für bestimmte Technologien und das sogenannte Dollar-Privileg (der Dollar als globale Leitwährung, die jeder haben will, die aber nur die USA „drucken“ können) zur Verfügung. Damit hat Trump die chinesische Führung vollends von der Notwendigkeit überzeugt, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien.

Peking hat inzwischen klargemacht, dass man auch weiter mit Teheran Handel treiben wird, und zwar auf Basis der chinesischen Währung Yuan. „Ohne die politisch vorangetriebene Internationalisierung unserer Währung wäre das nicht möglich gewesen“, sagt ein auf internationale Beziehungen spezialisierter Pekinger Wirtschaftswissenschaftler, der anonym bleiben will. Allerdings wickeln die großen chinesischen Banken den Großteil ihrer Geschäfte nach wie vor in US-Dollar ab.

Dass die chinesische Führung wenig unternommen hat, um die eigene Bevölkerung vor der wachsenden Ungleichheit und der Umweltverschmutzung zu schützen, ist durchaus zu bedauern. Aber diese Punkte tauchen auf der Beschwerdeliste von Donald Trump und seinen Freunden natürlich nicht auf.

Zudem müssen chinesische Produkte eine weitere Bedingung erfüllen, um nicht unter Trumps Sanktionen zu fallen: Sie dürfen keinerlei amerikanische Bestandteile enthalten. Der Telekombinationsausrüster Zhongxing Telecommunication Equipment (ZTE), der wegen seiner Geschäfte mit Nordkorea und Iran vom US-Markt verbannt worden war, musste bereits einen Rückzieher machen. Jetzt wird er von Washington streng überwacht (11). Eine solche Beschränkung der Souveränität ist für die Nationalisten im Zhongnanhai, dem neben dem Kaiserpalast gelegenen Sitz der Regierung, nur schwer zu verdauen.

Der Plan „Made in China 2025“ wird nun wahrscheinlich mit noch mehr Hochdruck vorangetrieben. Aber genau dieser Plan steht auf der Beschwerdeliste der USA ganz oben. In Washington sieht man darin einen gefährlichen „Willen zur Selbstversorgung“ , erläutert Elizabeth C. Economy, Direktorin für asiatische Angelegenheiten am Council on Foreign Relations in New York. Sie spricht sogar von einer „neuen Revolution mit dem Ziel, die von den Vereinigten Staaten vertretenen internationalen Werte und Normen infrage zu stellen“ (12). Aus dieser Sicht geht es also keinesfalls nur um einen Handelsstreit.

Die Volksrepublik hat keine messianischen Ambitionen

Dieser Einschätzung widerspricht Wang Yong, Direktor des Zentrums für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Peking: „Das Argument, das chinesische Entwicklungsmodell und die damit verbundene Philosophie würden die USA herausfordern, ist nicht sehr schlüssig. China hat kein Interesse, seine Ideologie im Ausland zu verbreiten, und betont das Recht jedes Landes, seinen eigenen Entwicklungsweg zu beschreiten.“

Die Volksrepublik hat gewiss keine messianischen Ambitionen, und ihr politisches Modell ist auch nur wenig attraktiv. Aber sie will die Regeln ändern, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Ägide der USA, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds durchgesetzt wurden. Daran lässt Präsident Xi Jinping keine Zweifel: „Wir möchten uns aktiv an der Reform des weltweiten Governance-Systems beteiligen“, erklärte er vor den Kadern der Kommunistischen Partei Chinas bei der Zentralkonferenz über Diplomatie im Juni dieses Jahres (13).

Im Hinblick auf dieses Ziel baut China sein Netzwerk aus. Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten – insbesondere mit seinen Nachbarn – ist also das dritte Instrument, um das US- Embargo zu kontern. Die meisten dieser Länder fürchten zwar die Macht und die wirtschaftlichen Ambitionen Chinas. Die Staaten der Region sind aber auf Absatzmärkte angewiesen und wickeln 43 Prozent ihres Handels innerhalb Asiens ab (14).

Zudem hat der US-Präsident mit seinem handelspolitischen Rundumschlag auch die traditionellen Verbündeten Japan und Südkorea getroffen, die ebenfalls mit Strafzöllen (etwa für Stahl und Autos) belegt wurden. Das könnte China als Chance nutzen, um die Idee der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) wiederzubeleben. Peking hatte dieses Freihandelsabkommen als Reaktion auf die Transpazifische Partnerschaft (TPP) angedacht, mit der Barack Obama unter anderem das Ziel verfolgte, China in Schach zu halten. Nach Trumps Wahlsieg hatten sich die USA aus TPP zurückgezogen.

Der RCEP sollen die zehn Mitgliedstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (Asean) angehören, also Myan­mar, Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam; und dazu China, Japan, Australien, Neuseeland, Indien und Südkorea. In diesem Konzept sieht Shiro Armstrong, Direktor des australisch-japanischen Forschungszentrums an der Australian National University, „die natürliche Gelegenheit, eine asiatische Koalition zu gründen“, und zwar unter Beteiligung einiger der „größten und dynamischsten Volkswirtschaften der Welt“.

Eine australische Studie kommt zu dem Befund, dass „die RCEP-Mitgliedstaaten selbst bei einer weltweiten Erhöhung der Zölle um 15 Prozent (wie während der Großen Depression) ihren Wachstumskurs fortsetzen könnten, wenn sie die Zollschranken untereinander vollständig aufheben würden“. Ob alle potenziellen Mitglieder dazu bereit wären, ist allerdings keineswegs sicher. Zum Beispiel hat Australien den ZTE-Konzern vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes ausgeschlossen. Aber immerhin spricht man miteinander, was neuerdings auch wieder für Peking und Tokio gilt. In Seoul sucht man in den Verhandlungen mit Pjöngjang nach Gemeinsamkeiten. Und Indien bemüht sich, gleichen Abstand zu Peking und zu Washington zu halten.

Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank

Die chinesischen Unternehmen verlagern Teile ihrer Produktion schrittweise in Länder wie Bangladesch, Viet­nam oder Südafrika. Damit will man von den niedrigeren Lohnniveaus profitieren, zugleich aber auch das US-Embargo und die Strafzölle umgehen: Die Erzeugnisse aus der von chinesischen Konzernen finanzierten Produktion tragen das Etikett „Made in Bangladesh“, „Made in Vietnam“ oder „Made in ­South Africa“. Damit fallen sie nicht unter die US-amerikanischen Strafzölle.

Zudem will China neue Absatzmärkte erschließen. Der Bau der Neuen Seidenstraße, die China auf dem Landweg über die zentralasiatischen Republiken und Russland mit Europa verbinden sollen, erfordert hohe Investitionen, dasselbe gilt für den Seeweg über Afrika nach Europa. Der chinesische Präsident hat es sehr geschickt verstanden, aus diesen legendären Routen durch die Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) ein multilaterales Projekt zu machen. Die AIIB zählt 57 Gründungsstaaten, darunter Deutschland, Großbritan­nien, Frankreich, Indien und Südkorea. Sie ist ein weiteres Instrument, um eine finanzielle und diplomatische Isolierung Chinas abzuwenden. Denn nichts fürchtet Peking mehr als ein ­Duell mit den USA, wie es der UdSSR zum Verhängnis wurde.

Fürs Erste setzt die chinesische Regierung jedoch auf Handelssanktionen gegen US-Produkte, womit sie deutlich machen will, dass sie sich nicht in die Knie zwingen lässt. Diese Sanktionen treffen zum Beispiel die amerikanischen Farmer, die wegen der steigenden Zölle unter anderem immer weniger Getreide oder Schweine- und Rindfleisch absetzen können. Zwar hat ihnen Trump hohe Beihilfen (12 Mil­liar­den US-Dollar) versprochen, aber die fließen nur tröpfchenweise. Wie das Wall Street Journal berichtet, werden die Farmer unruhig: „Der Patriotismus hilft mir nicht, meine Rechnungen zu bezahlen“, sagt einer von ihnen (15).

Neuerdings hat Peking auch noch sämtliche Importzölle auf Soja aus Bangladesch, Indien und Südkorea komplett abgeschafft; Getreide und Fleisch kauft China nunmehr in Brasilien und in Australien ein. Und die Erfahrung lehrt, dass ein verlorener Kunde nur schwer wiederzugewinnen ist.

Der Kreuzzug des Weißen Hauses gegen die chinesischen Invasoren kommt in den USA überwiegend gut an. In der Regierung sind viele der Meinung, China werde nachgeben. So wie es Mexiko getan hat, das einige Zugeständnisse machen und insbesondere bei bestimmten Zulieferfirmen der Autoindustrie einen Mindestlohn von 16 US-Dollar (13,60 Euro) einführen musste (16). Anders werden die US-Zölle von Einzelhandelsriesen wie Walmart, die ihre Waren zu 80 Prozent in China einkaufen, und von bestimmten Industriekonzernen bewertet. Deren Repräsentanten beklagten Mitte August bei einer Veranstaltung in Washington die „verheerenden finanziellen Auswirkungen“ für ihre Branchen und für die amerikanischen Verbraucher (17).

Dieses klassische Argument wird von Kritikern immer vorgebracht, die jede Form des Protektionismus ablehnen. Und doch ist der Verweis auf die Verteuerung der importierten Produkte ein stichhaltiger Einwand. Zumindest solange die erhöhten Zölle nicht mit einer deutlichen Erhöhung der Kaufkraft der US-Verbraucher einhergehen, was sich derzeit nicht abzeichnet.

Noch unwahrscheinlicher ist, dass abgewanderte Industrien ihre Betriebe wieder – wie von Trump versprochen – in die USA zurückverlagern. So planen im Gegenteil zum Beispiel Textil- und Bekleidungsunternehmen, in andere Länder wie Vietnam und Kambodscha abzuwandern (18). Einige Branchen, die etwa Spezialstähle weiterverarbeiten, haben bereits Ausnahmeregelungen für ihre Importe erwirkt.

Mehr als Handelspolitik

Für die USA wie für China gilt, dass die großen Verlierer ganz sicher die einfachen Bürger sein werden. Während das Trump-Lager glaubt, das Regime in Peking unter Druck setzen zu können, redet sich das Xi-Lager ein, die US-Regierung werde nach den Kongresswahlen im November an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Allerdings geht es bei diesem Kräftemessen um viel mehr als um Handelspolitik. „Die Kontroverse hat mittlerweile militärische und strategische Weiterungen“, glaubt An Gang vom chinesischen Thinktank Pangoal Insti­tu­tion. Nach seiner Einschätzung befürchtet die politische Führung in Peking, dass sich die Probleme auf die Lage im Chinesischen Meer und auf Taiwan auswirken könnten, wo die Spannungen weiter zugenommen haben.

Eines ist jedoch sicher: Das Modell der Internationalisierung und Spezialisierung der Produktion, das sich in den letzten Jahrzehnten im Westen und in China etablierte, hat keine Zukunft mehr. Ein alternatives Modell haben aber weder die Anhänger des chinesischen „Kommunismus“ noch die Verfechter des amerikanischen Kapitalismus zu bieten – auch keine hybride Form des Protektionismus. Die Folge wird sein, dass sich ein zollpolitischer Überbietungswettbewerb entwickelt.

(1) „Bericht auf dem XIX. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas“, 18. Oktober 2017, deutschsprachige Fassung vom 20. November 2017, www.german.china.org.cn.

(2) Beide Zitate aus: Wendy Wu und Kristin Huang, „Did China think Donald Trump was bluffing on trade?“, South China Morning Post, Hongkong, 27. Juli 2018.

(3) „China, unsure how to handle Trump, braces for ‚New Cold War‘“, Bloomberg News, 17. August 2018.

(4) Zitiert nach „China, unsure …“, siehe Anmerkung 3.

(5) Leitartikel der Global Times, Peking, 15. Juli 2018.

(6) Zitiert nach: China Global Television Network (CGTN), 17. Januar 2017.

(7) Trump-Tweet vom 18. August 2018.

(8) „John S. McCain national defense authorization act for fiscal year 2019“, Kongress, Washington, 13. August 2018, www.congress.gov.

(9) Zitiert nach Asia Times, Hongkong, 31. Juli 2018.

(10) „Transcript of 8/16 Trump cabinet meeting: economic policies matter“, RealClear Politics, 16. August 2018, www.realclearpolitics.com.

(11) Ridha Loukil, „L’équipementier chinois ZTE placé sous tutelle américaine“, L’Usine nouvelle, Antony, 17. Juli 2018.

(12) Elizabeth C. Economy, „China’s new revolution“, Foreign Affairs, New York, Mai/Juni 2018.

(13) „Xi urges breaking new ground in major country diplomacy with Chinese characteristics“, Xinhua, 24. Juni 2018, www.xinhuanet.com.

14 „World Trade Statistical Review 2018“, Welthandelsorganisation, Genf, www.wto.org.

(15) The Wall Street Journal, New York, 28. August 2018.

(16) Die Bestimmung besagt, dass 40 Prozent des Produktionswerts eines aus Mexiko importierten Autos in Unternehmen mit einem Mindestlohn von 16 US-Dollar generiert werden muss. Es ist das erste Freihandelsabkommen überhaupt, das eine solche – wenn auch beschränkte – Sozialklausel enthält.

(17) Zitiert nach: South China Morning Post, 21. August 2018.

(18) Bloomberg News, 20. August 2018.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

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1 Kommentar

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Erst der Handelskrieg - und jetzt auch noch Blitzkrieg.



    Black Metal ist auch Krieg.

    So offen säbelrasselnd habe ich die Liberalen ja noch nie gesehen.



    Wenn die EU in den (militärischen) Krieg für ihre Wirtschaftsinteressen zieht, wie es in den Statuten steht, dann kann wieder gesagt werden, es würde nur zurückgeschossen, denn die anderen hätten ja schließlich angefangen. Ein reiner Akt der Selbstverteidigung.

    Doch, ganz im Ernst: diese Kriegsretorik ist brandgefährlich.

    Das sind nur Handelssanktionen.



    Dadurch werden keinem Menschen die Gliedmaßen weggefetzt, es verblutet niemand und es fallen keine Bomben, davon bekommt auch niemand ein schweres Trauma, da werden keine Landstriche verwüstet und es gibt im "Handelskrieg" auch keine Kriegsverbrechen, keine systematischen Vergewaltigungen, ethnischen Säuberungen und keine Militärgerichte und Erschießungen.

    Eine Handelssanktion ist eine Handelssanktion ist eine Handelssanktion.

    Kriegsrethorik ist von vorn herein auf Eskalation angelegt.



    Bitte macht nicht auch noch mit!