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„Das war eine sehr bunte Truppe“

Der Potsdamer Politikwissenschaftler Ingo Juchler über die Volksmarinedivision

Interview Uwe Rada

taz: Herr Juchler, am 3. November haben die Matrosen in Kiel den Befehl verweigert, dann stiegen sie in den Zug und haben die Nachricht auch in Berlin verbreitet. Hätte es die Novemberrevolution ohne die Matrosen überhaupt gegeben?

Ingo Juchler: Ich denke schon. Die Zeit war reif für die Revolution. In Berlin hatten die revolutionären Obleute einen Generalstreik vorbereitet.

Aber erst für den 11. November.

Genau, das musste dann vorverlegt werden. Die Matrosen sind tatsächlich ausgeschwärmt vom Kieler Hauptbahnhof in sämtliche Städte des Kaiserreichs. Berlin war eher spät dran. Zum Teil wurden die Matrosen auch verhaftet und in der Alexanderkaserne festgehalten.

Warum die Matrosen?

Bei den Matrosen gärte es. Es gab auf den Schiffen eine eklatante Ungleichbehandlung von Offizieren und Mannschaften. Die Idee der Admiralität, Ende Oktober eine letzte Schlacht gegen die britische Grand Fleet zu unternehmen, führte dann dazu, dass die Anker nicht mehr gelichtet wurden.

Wie kam es zur Gründung der Volksmarinedivision?

Daran waren vor allem die Marineleute in Berlin beteiligt. Es gab die gefangenen Matrosen aus Kiel, die am 9. November befreit wurden. Es gab aber auch den Luftschifffahrtshafen in Johannisthal, also die Marinefliegerei. Dort waren Paul Wieczorek und Fritz Radtke stationiert, die beiden ersten Kommandanten der Volksmarinedivision. Die Idee einer solchen Einheit kam daher, dass die Revolutionsregierung, also der Rat der Volksbeauftragten aus SPD und USPD, über keinerlei loyale Truppen verfügte. Also gab es einen Aufruf, sich am 11. November im Marstall zu treffen, um den Kern einer loyalen Revolutionstruppe zu bilden.

Eine Art Revolutionsgarde.

Ja, tatsächlich. Am 14. November hatte die Division schon 2.000 Mann. Laut Radtke waren darunter auch welche, die nur Ausweispapiere brauchten, um dann „im Trüben zu fischen“. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum die Volksmarinedivision heute so stiefmütterlich behandelt wird. Es war eine sehr bunte Truppe.

Der Großteil der Matrosen war im Marstall stationiert, der Stab zunächst im Schloss. Welche Aufgaben hatte die Volksmarinedivision?

Sie sollte die wichtigen Regierungsgebäude schützen. Die Einheiten im Schloss haben eine andere Truppe verscheucht, die da gehaust hatte. Man bezog aber nicht, wie es damals kolportiert wurde, Quartier im Bett der Kaiserin, sondern in den schlichten Räumen im Erdgeschoss. Die Abteilung, die aus Cuxhaven kam, war am Lehrter Bahnhof untergebracht und sollte auf der Straße für Ordnung sorgen.

Ingo Juchler lehrt politische Bildung und ist Autor des Buches „1918/19 in Berlin. Schauplätze der Revolution“.

Der Konflikt eskalierte mit den Weihnachtskämpfen.

Der Weihnachtkrise liegt ein Grundkonflikt zwischen radikaler Linken und den SPD-Vertretern im Rat der Volksbeauftragten zugrunde. Hintergrund war eine Auseinandersetzung am 6. Dezember, bei der ein spartakistischer Demonstrationszug beschossen wurde, zahlreiche Menschen starben. Zwei Tage später rief Karl Liebknecht dazu auf, den „Bluthund Wels“ aus der Stadtkommandantur rauszuholen. Otto Wels hatte am 6. Dezember den Demonstrationszug stoppen lassen. Da gab es einen Bruch.

Wels wurde daraufhin am 24. Dezember von der Volksmarinedivision gefangen genommen.

Die Matrosen verschleppten ihn in den Marstall. Auch das Reichskanzlerpalais wurde besetzt. Doch über eine geheime Leitung forderte Friedrich Ebert als Quasi-Regierungschef bei der noch existierenden Obersten Heeresleitung Truppen an.

Das war der erste Showdown, aus dem die Matrosen aber als Sieger hervorgingen.

1.200 Mann aus Potsdam zogen am 24. Dezember in Berlin ein. Doch den Matrosen, die Schloss und Marstall verteidigten, kamen die Sicherheitswehr des Polizeipräsidenten, bewaffnete Arbeiter und unbewaffnete Frauen und Kinder zu Hilfe. Am Ende zogen die Einheiten, die Ebert angefordert hatte, ab. Wels aber war freigekommen.

Bei den Januarkämpfen, in deren Folge Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet wurden, blieben die Ma­trosen neutral.

Liebknecht wollte sie überreden, die Regierung zu stürzen, aber die Volksmarinedivision verstand sich noch immer als regierungstreu.

Dennoch hat die Regierung begonnen, Freikorps-Einheiten aufzustellen. Warum?

Die Weihnachtskrise hat gezeigt, dass auf normale Soldaten kein Verlass war. Deshalb wurden die regulären Truppen abgewickelt, und Offiziere haben diese Einheiten aufgestellt. Politisch verantwortlich war dafür Gustav Noske.

Der Sozialdemokrat, der sich nach den Märzkämpfen mit über 1.200 Toten selbst als „Bluthund“ bezeichnete. Wie kam es zu diesem bitteren Ende, das auch das Ende der revolutionären Matrosen war?

Am 3. März 1919 kam es zum Generalstreik und am Alexanderplatz zu Plünderungen. Daraufhin wurden Freikorps wie Volksmarinedivision dorthin beordert. Da standen sich beide Truppen gegenüber. Daraufhin begann die Volksmarinedivision,­ Waffen an Arbeiter zu verteilen. Aber diesmal ging es anders aus. Die Märzkämpfe waren auch die Rache der Freikorps für den Sieg der Matrosen an Weihnachten.

Hätte es die Volksmarinedivision verdient, dass an sie an den Orten, an denen sie stationiert war, erinnert wird?

Das fände ich sehr wichtig, auch um an eine andere Geschichte der Bundesrepublik zu erinnern. Berlin ist bekannt für die dark sides, die dunklen Orte. Aber es gibt hier auch die Orte des demokratischen Aufbruchs, von 1848 über 1918 und 1968 bis 1989/90, die kenntlich gemacht werden sollten.

Eine lange Version des Gesprächs steht unter taz.de/berlin

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