Erzählband zu Sex, Macht und #metoo: Dem Tier in sich zu fressen geben
17 AutorInnen haben für den Hanser-Verlag über Sex und Macht geschrieben. Sie fragen: Wie geht es mit dem Feminismus nach #MeToo weiter?
Der Feminismus gewinnt gerade ein Zentimeterchen Terrain. Die Erzählungssammlung „Sagte sie“ steht exemplarisch dafür. Die stellvertretende Verlagesleiterin bei Hanser, Lina Muzur, hat 17 Schriftstellerinnen beauftragt, Erzählungen über Sex und Macht zu verfassen. Als Fortsetzung der #MeToo-Debatte mit literarischen Mitteln, sozusagen.
Vor 30, 40 Jahren erschienen die ungehörten weiblichen Stimmen in kleinen Frauenbuchverlagen, weil die Türhüter der Mainstream-Literatur männlich waren. Dann kam eine lange Phase, da hätte man diese Literatur in die Frauenbuchreihe gesteckt. Jetzt beginnt sich das zu ändern. Die Prognose sei gewagt: „Sagte sie“ wird sich gut verkaufen. Feminismus ist schick. Und als Buchkäuferinnen haben Frauen noch nie enttäuscht.
Das ist gut – und wirft gleichzeitig die Frage auf, ob man als Frau überhaupt noch den Unterdrückungsmodus für sich beanspruchen kann, wie das Vorwort suggeriert: „Und weil es durchaus sein könnte, dass wir schon zu lange und zu oft seiner Version der Geschichte zugehört und Glauben geschenkt haben, soll in dieser Anthologie ausschließlich ihre Sicht der Dinge erzählt werden: Sagte sie“.
Die „Unhörbarkeit“ der weiblichen Stimme scheint nicht mehr zentrales Problem zu sein. Frauen sind hörbar geworden. Inzwischen ist das Problem eher im Bereich „Glauben schenken“ angesiedelt, es geht um Zuweisung von Bedeutung. Die Frauen sprechen schon eine Weile öffentlich, aber allzu oft wird es maximal wahrgenommen als ein schlecht gelauntes vor sich hin Quaken von minderer Güte. Der Mainstream hört nicht zu. Denn der, so sehr Frauen darin auch eine Rolle spielen mögen, ist nach wie vor Malestream und findet weibliche Ansichten nicht so relevant wie männliche. Da können noch so viele Frauen Verlage leiten, ohne Feminismus, ohne bewusstes Wichtignehmen weiblicher Ansichten, hilft das wenig.
Die zugehörigen Männer gibt es nicht
Das „Sagte sie“ ist trotzdem problematisch. Es deutet nämlich auch auf eine merkwürdige Unschärfe im Literaturverständnis hin. Diese Geschichten haben ja gar kein „He said“, das zum „She said“ der englischen Redewendung gehören würde. Sie sind Fantasieprodukte von Frauen, die zugehörigen Männer gibt es nicht, weshalb man sie praktischerweise auch gar nicht anhören muss. Und doch wird mit Realitätsnähe gespielt, wenn es im Vorwort heißt, diese Geschichten „könnten sich teils genauso ereignet haben“. Das klingt nach Borderline-Journalismus, und das ist nicht gut in einer Debatte, in der der Vorwurf der künstlichen Dramatisierung ohnehin schon im Raum steht. Es wirkt ein bisschen wie ein Verkaufstrick: die Realität, nur krasser.
Sei’s drum. Das Buch hätte den Trick nicht nötig gehabt. Denn die Autorinnen werden hinreichend komplex. Margarita Iov lässt kunstvoll Geschlechtergrenzen verschwimmen. Fatma Aydemirs Hauptperson gerät in eine Verwicklung verschiedener Sexismen, Mercedes Lauenstein erzählt, wie eine Frau einen Mann zum Sex nötigt. Alles immer beiläufig, so wie unheimliche Begegnungen oft abgespeichert werden: als etwas, das im Untergrund rumort, während die Hauptsache etwas anderes zu sein scheint.
Und, geradezu auffällig: Es gibt keine Anklage, noch nicht mal eine Klage, nur eine Menge Selbstbefragungen. Die Frauen heute sind vorsichtig, sie wollen im System bleiben, sie haben mehr zu verlieren als ihre feministischen Mütter in den Siebzigern, die gar nicht erst zugelassen waren. Emblematisch dazu: Warum hat sich die kleine Pia bei den beiden Jungs entschuldigt, obwohl die sie gepiesackt haben? Die Eltern versuchen eine feministische Intervention – und die Tochter antwortet: „Ich wollte aber weiter spielen.“ „Sie pustete ihrem Vater die Worte ins Gesicht. Dann drehte sie sich weg, löste sich gewandt aus seinem Griff und lief zurück zur Höhle, verschwand unter der Plane.“
Annika Reich und Anna Prizkau lassen Mütter wortreich an erfahrener sexueller Gewalt vorbeisprechen. Bei Julia Wolf hat sich die kollektiv verdrängte Gewalt niedergelassen in der Fantasie und ist dort angewachsen zu einer permanenten Angst vor dem Übergriff durch einen Fremden, den eine Mutter auf ihre Tochter überträgt. Die Tochter sitzt mit Baby allein im Ferienhaus und wird von ihrem Ehemann vor ihrer eigenen Angst gerettet.
Mit den Metaphern des Unterbewusstseins
Sexuelle Gewalt wird in unserer Gesellschaft verdrängt, Literatur kann sie hervorholen, auf eine zarte Weise, weil ihr die gleiche Metaphernsprache zur Verfügung steht wie dem Unbewussten. Das gelingt vielen Texten in diesem Band. In diesem Fall wird die Literatur aber auch direkt, wie in Annett Gröschners Text aus den Achtzigern der DDR, in dem eine Studentin im Moskauer Schnee von einem Russen (Brudervolk!) vergewaltigt wird, oder Margarete Stokowskis Erzählen vom Wiederaufbrechen eines verdrängten Traumas beim Zahnarzt. Und sie wird diskursiv.
Etwa bei Antonia Baum. Ihr Text ist der erste, und der plakativste. „Grüß Gott, hi, ich bin’s, die Frau, nämlich diese Person mit dem Loch, in das man Sachen reinstecken kann, wenn der Mann will, und über deren Integrität man öffentlich beraten kann (Schlampe ja/nein), während man sich zu ihr herunterbeugt, ihre Schamlippen auseinanderzieht (ich schäme mich, schon immer) und gleichzeitig betont, hier gäbe es kein Machtgefälle. Denn diese Frau da unten soll endlich damit aufhören, sich zum Opfer zu machen.“
Lina Muzur (Hrsg.): „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“, Hanser Berlin, 2018, 224 Seiten, 20 Euro.
Es folgt eine Analyse des Status quo, der condition féminine 2018, dargestellt durch ein Theater im Gehirn der Erzählerin. Die Zuschauer*innen kommentieren, richten, analysieren, bewerten, ganz so wie die öffentliche Debatte in der #MeToo-Diskurswolke. Die Hauptperson findet ihren Chef ansprechend. Sie ist also geschmeichelt, als er sich für sie interessiert, und will ihm gefallen. Doch nach einer Party wird er zudringlicher und zudringlicher, und sie findet den Punkt nicht, an dem ein „Stopp“ angebracht wäre. Seitdem denkt sie über ihre „Schuld“ nach. Die Feministin mit der klugen Brille in ihrem Gehirn enttarnt schon das Gefallenwollen, die Orientierung am Blick der Männer. Aber was ist der eigene Blick? „Sie würden mir das gleiche Kleid aussuchen wie ich“, bekennt die Erzählerin.
Der Machtwille in ihr ist allein der Wille nach Partizipation an imaginierter männlicher Macht. Er ist ein Tier, „blitzschnell in seinen Reaktionen. Schneller als Sie (die Frau mit der klugen Brille) und Ihr berechtigter Einwand jedenfalls. (…) Ich mache, was man von mir will, auch wenn ich es nicht will. Wenn ich gefalle, kriegt es zu fressen, also gefalle ich. Das Tier aber kann man nicht einfach so aus mir herauspräparieren, und entsorgen. Es bewohnt mein System, das heißt, man müsste auch mich als Frau komplett entsorgen.“ So macht es wohl immer noch eine große Zahl an Frauen heute, sonst gäbe es kein #MeToo, das diese Kollaboration erst aufdeckt. Warum reden die erst jetzt? Deshalb. Weil es eines Minimums an gefühlter Gegenmacht, eines kleinen Chores zur Unterstützung bedurfte.
Die innere Anpasserin
Das ist der Abgrund, der 2018 zwischen propagierter Emanzipation und realer Emanzipation klafft. Die Emanzipation, wie wir sie gerne hätten, hat gar kein Problem damit, Übeltäter in die Schranken zu weisen, der vermeintlichen Macht ein Nein entgegenzusetzen, so wie etwa „Philosophie“-Chefin Svena Flaßpöhler es in „Die potente Frau“ geradezu verärgert einfordert. Die Emanzipation, wie sie ist, ist ein selbstquälerisches Ringen mit der inneren Feministin und der inneren Anpasserin, die genau weiß, dass die männliche Macht Feministinnen nur goutiert, wenn die ihr nicht ernsthaft gefährlich werden können. Das Gequäl ist nicht schön und es ist alt. Aber da ist es trotzdem. Und dass dieses Dilemma benannt wird und wir uns alle drüber ärgern, das ist der Zentimeter mehr, den der Feminismus gerade gewonnen hat. Mal sehen, wie lange wir ihn halten können.
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