Kolumne Metwologie: Wie ertrinken, nur umgekehrt

#metwo: „Hast Du schon mal Rassismus erlebt“, fragen mich wohlmeinende Weiße. „Hast Du schon mal gelebt?“, frage ich.

Eine junge Frau läuft an der Wasserkante zum See, im Hintergrund eine Insel

#Metwo ist das Gegenteil von Ertrinken Foto: parth upadhyay/unsplash

Es gibt Dinge, die so überfällig sind. Als würde man sich die ganze Zeit mit einem Hammer auf den Kopf hauen und dann ruft Ali Can #metwo ins Leben und plötzlich hören die Kopfschmerzen auf. Es ist wie Ertrinken, nur umgekehrt. Endlich, endlich gibt es für all die ungeordneten Gefühle und Gedanken (G&G) ein Ventil und dieses Ventil heißt #metwo.

Und weil es so viele G&G sind, weiß ich gar nicht, was ich zuerst tweeten soll: den schlimmsten Rassismus oder den letzten Rassismus oder was ist überhaupt Rassismus? Ein Beispiel: Ich bin gerade in Wales und die Waliser*innen haben die Währungsunion nicht mitgemacht. Es gibt britische Pfund mit der Königin darauf, nur dass sie im September den 10-Pfund-Schein aus Baumwolle gegen einen aus Plastik eingetauscht haben und ich natürlich noch eine Rolle alter Zehner besitze.

„Kein Problem“, sagt mein Liebster. „Ich habe meine in der Bank umgetauscht.“ Also nehme ich ihn mit in die Bank. „Warum?“, fragt er. Auftritt: die Frau hinter dem Schalter, die mir erklärt, dass sie meine Scheine nicht umtauschen kann, ich könne sie nur auf mein Konto einzahlen (das ich natürlich nicht habe).

„Darum“, sage ich. Ämter sind zu mir deutlich weniger zuvorkommend als zu ihm mit seiner milchweißen Haut und seinem Haar wie gesponnener Honig. Und er beweist, dass er der Mann meines Lebens ist, indem er nicht fragt: „Bist du sicher, dass das Rassismus war?“ Denn natürlich bin ich mir nicht sicher.

Der Einfluss von etwas, das es nicht gibt

Vielleicht ist sie lesbisch und am selben Morgen von ihrer Partnerin, die mir bis aufs Haar gleicht, verlassen worden. Das Problem mit Rassismus ist, dass Menschen nicht zu dir kommen und sagen: Guten Tag, ich intendiere, Sie aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren.

Menschen rufen einfach nicht zurück, wenn wir uns nach einer Wohnung erkundigen. Oder sie werfen Bewerbungen mit einem zu anders klingenden Namen in den Papierkorb. Oder sie geben einen Workshop und erkundigen sich freundlich, ob du Deutsch sprichst, und wenn du darauf antwortest „Ein bisschen“, fragt dich der Mann, der nicht der Mann deines Lebens war, warum du so aggressiv bist. Oder sie sind gute Freund*innen und erklären dir, wie wunderbar es ist, dass du eine Rassenmischung bist, weil Mischlinge besonders intelligent sind (schließlich ist das bei Hunden genauso).

Rassismus ist nicht erst Rassismus, wenn AfD draufsteht. Rassismus muss nicht böse gemeint sein. Rassismus ist die Tatsache, dass etwas, was es gar nicht gibt – nämlich: Rasse – einen massiven Einfluss auf dein Leben hat, und zwar durchgehend und nicht erst, wenn Leute dir auf der Straße hinterher rufen: Geh nach Hause, Kanake!

Deshalb bin ich immer so sprachlos, wenn mich wohlmeinende Weiße fragen: „Hast du denn schon mal Rassismus erlebt?“ Hast du schon mal gelebt?

Mein Name ist Mithu, ihr könnt mich #metwo nennen!

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Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)

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