Bewegung Pulse of Europe: Küchentische zu Hausparlamenten

Nachbarschaftsversammlungen sollen Forderungen an Europa formulieren. Pulse of Europe startet eine neue Form der Bürgerbeteiligung.

Viele EU-Fahnen und Schilder

Für die EU: Veranstaltung von „Pulse of Europe“ in Frankfurt/Main, April 2017 Foto: dpa

BERLIN taz | An Küchentischen wird oft diskutiert, selten aber in strukturierter Form mit der Absicht, direkte Wirkung in der Politik zu erzeugen. Die Bewegung Pulse of Europe will das jetzt ändern. Sie lädt die Bürger*innen ein, „Hausparlamente“ einzuberufen. Mit einem Fest in der Frankfurter Paulskirche startet die Kampagne an diesem Sonntag. Auf hunderte, vielleicht tausende privater Versammlungen hofft die Organisation in den kommenden Wochen – erst in der Bundesrepublik, dann in Nachbarländern.

Die erste Welle der Hausparlamente soll bis Mitte August rollen. Bis zur Wahl des Europa-Parlaments 2019 will Pulse of Europe (PoE) das Verfahren mehrmals wiederholen. Unter blauen Fahnen brachte PoE im vergangenen Jahr zeitweise zehntausende Bürger*innen auf die Straße, um gegen den drohenden Zerfall der EU zu protestieren. Mittlerweile ist es bei den Aktionen eher ruhig geworden.

Wer die Küche oder das Wohnzimmer zum Parlament machen möchte, kann sich auf der Internetseite von PoE registrieren. Dann erhält man eine Gebrauchsanleitung, die Vorschläge für die zu debattierenden Fragen enthält. Thema und Fragen für den ersten Schwung stehen noch nicht fest. Es wird aber wohl in diese Richtung gehen: Wie halten wir es mit den USA, ist Amerika trotz Trump noch unser Freund, soll die EU ein Handelsabkommen abschließen? Es wird empfohlen, drei bis sieben Leute einzuladen, möglichst eine bunte Mischung, auch unterschiedliche Nationalitäten. Vielleicht gibt es Nachbarn, die die AfD wählen.

Nach etwa zwei Stunden Debattenzeit sollen die Moderatoren die Ergebnisse an PoE übermitteln, die sie dann in aggregierter Form ausgewählten „Entscheidungsträgern“ zur Verfügung stellt. Das kann beispielsweise der Staatssekretär eines Bundesministeriums sein. Auch Abgeordnete oder Fraktionen des EU-Parlaments kommen in Betracht. Entscheidend ist, dass sich die Politiker*innen vorher bereit erklärt haben mitzuwirken. Das heißt: Sie nehmen den Prozess ernst und setzen sich mit den Forderungen auseinander.

„Dialog mit Entscheidungsträgern“

Die Europa-Freund*innen betrachten ihre Küchendiskussionen als „Bürgerbeteiligung“. „Weil die Hausparlamente nicht repräsentativ zusammengesetzt sind, kann das keine direkte Demokratie sein“, sagt Alexander von Knigge von PoE Berlin. „Aber wir streben einen Dialog mit Entscheidungsträgern an und erwarten ernsthafte Antworten.“

Claus Leggewie, Politologe

„Die Bundesregierung hat es nicht hinbekommen, die von Macron vorgeschlagenen Bürgerdebatten zu organisieren, jetzt werden europäische Bürgerinnen selbst aktiv.“

Inspiriert ist die Kampagne unter anderem von En Marche, der französischen Organisation von Präsident Emmanuel Macron. Dessen Unterstützer*innen waren unlängst von Wohnung zu Wohnung gegangen, um mit den Bürger*innen über Europa zu reden. Knigge sagt: „Wir hoffen, dass die Teilnehmer durch die Debatten mehr zu Europäern werden. Heute stehen wir ja meist auf einem nationalen Standpunkt.“

„Die Bundesregierung hat es nicht hinbekommen, die von Macron vorgeschlagenen Bürgerdebatten zu organisieren, jetzt werden europäische Bürgerinnen selbst aktiv“, erklärt Politikwissenschaftler Claus Leggewie. „Dass sich PoE neu aufstellt, ist eine gute Nachricht. Das Politische wird jetzt privat, und es gibt aus meiner Erfahrung eine diskussionsbereite, lebendige Bürgergesellschaft, die bemerkt hat, wie Europa auf der Kippe steht.“

Im Buch „Die Konsultative“ fordert Leggewie zusammen mit seiner Kollegin Patricia Nanz neue Gremien der Bürgerbeteiligung. „Die Initiative von Pulse of Europe deutet auf ein bleibendes Manko hin: Wir haben keine instititutionellen Formen der Zukunftsräte in Deutschland.“

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