Autorin über Marx und Feminismus: „Wir dürfen faul sein“
Luise Meier sieht kein Problem darin, mit Marx spielerisch umzugehen. In ihrem Buch verknüpft sie seine Theorien mit Feminismus.
taz am wochenende: Ist Ihr Buch „MRX-Maschine“ der Versuch, Marx fit zu machen für die Jetztzeit?
Luise Meier: Tatsächlich haben mich die Fragen, die die Gesellschaft gerade umtreiben, mehr interessiert als der alte Marx. Ich habe mich gefragt, ob es funktionieren würde, seine begrifflichen und theoretischen Instrumente auf die Probleme der Gegenwart anzuwenden.
Und, hat das geklappt? Brauchen wir Marx heute noch?
Schon bevor ich mit dem Buch begann, habe ich bemerkt, dass mich diese Begriffe von Marx, die ich noch aus dem Studium kannte, plötzlich zunehmend beschäftigten. Auch aus dem ganz profanen Grund, dass ich angefangen hatte zu arbeiten. Plötzlich dachte ich darüber nach, wie sich mein Lohn eigentlich zusammensetzt, und Begriffe wie Proletariat oder Lohnarbeit spielten eine Rolle für mich.
Welche denn?
Ich habe schnell gemerkt, dass man anders über die eigenen, aber auch über gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nachdenkt, wenn man diese Begriffe benutzt. Natürlich könnte man das auch mit einem moderneren Begriff wie „Diskurs“ verhandeln, aber wenn man Marx benutzt und dessen Begriffe wie Ideologie, dann kommen plötzlich ganz neue Querverbindungen zum Vorschein. Ich habe mir quasi einen Spaß daraus gemacht, diese altgedienten Begriffe, die – seien wir ehrlich – eigentlich als überholt und unbrauchbar, ja zum Teil sogar als widerlegt gelten, wieder zu verwenden, wenn auch nicht mit der Strenge von früher. Und sie damit wieder benutzbar zu machen, ihr kritisches Potenzial offenzulegen.
Spaß mit Marx?
Ja, das geht. Ich bin aber auch niemand, der Marx von hinten nach vorne am Stück liest. Aber beim Lesen der Warenformanalyse kann ich durchaus in rauschhafte Zustände geraten, wenn ich merke, da hilft mir jemand die Welt zu verstehen, wie ich die Welt verstehen will.
Tut man dem guten alten Marx mit so einer Modernisierung nicht Zwang an?
Jahrgang 1985, arbeitet als Autorin und Servicekraft in Berlin. In ihrem Buch „MRX-Maschine“ (Matthes & Seitz, 2018) verschränkt sie marxistische Theorie mit Feminismus, Queerness und Postkolonialismus.
Auf jeden Fall. Aber ich tue ihm ja nicht weh, er ist ja tot. Ich finde es eher seltsam, dass ausgerechnet Marx, bei dem es doch gerade um Befreiung geht – und zwar nicht nur der Arbeitenden, sondern aller Menschen –, so eine Vorsicht, so eine Buchstabenhörigkeit entgegengebracht wird. Dabei merkt man schnell, wenn man mit Marx mal spielerisch umgeht, dass eine Reibung entsteht zwischen den alten Begriffen und einer Welt, die sich ständig neu beschreibt, dabei aber vor allem verschleiert, dass es Verhältnisse gibt, hauptsächlich ausbeuterische, die kontinuierlich sind.
Um aus diesen Verhältnissen herauszukommen, entwerfen Sie das Motiv „MRX-Maschine“. Deren Formel lautet: „Fuck-Up + Solidarität = Revolution.“ Das müssen Sie erklären.
Fuck-Up, dieser Begriff von Valerie Solanas, war für mich interessant, weil er sowohl das Scheitern aus Versehen, aber auch eine absichtliche Verweigerung wie einen Streik umfassen kann, und mit dem „Fuck“ auch noch die Lust, ja sogar Hedonismus drinsteckt. Ich glaube, wenn das alles zusammenkommt, wenn wir lernen, Scheitern und Verweigerung zu genießen, kann das eine Grundlage für Solidarität werden, mit der es dann tatsächlich zur Revolution kommen kann.
Da sagt jetzt der Laie: Einfach nicht mehr arbeiten, wie soll das denn gehen? Wer bezahlt denn dann mal meine Rente?
Zum 200. Geburtstag des großen Ökonomen, Denkrevolutionärs und Genussmenschen: Eine Sonderausgabe zu Karl Marx, mit 12 Seiten – in der taz am wochenende vom 5./6.Mai 2018. Außerdem: Vor einem Jahr zog "En Marche" ins französische Parlament ein. Die Partei wollte Bürger stärker an der repräsentativen Demokratie beteiligen. Haben die Partei und Emmanuel Macron ihr Versprechen erfüllt? Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ja, das ist erstaunlich, welche Ablehnung gerade dieser Punkt, der Hedonismus, auslöst. Es gibt eine große, aber meiner Meinung nach völlig grundlose Angst, die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich infrage zu stellen. Ich finde aber: Wir haben ein Recht darauf, glücklich zu sein. Wir dürfen faul sein. Das ist eben der Trick bei Marx, dass er seine Ideologie nicht aus einer christlichen Moral entwickelt. Seine Idee ist es, wirklich egoistisch zu sein. Es geht dabei nicht um den verblendeten Konsumenten-Egoismus, zu dem uns der Kapitalismus erzieht. Es geht darum, selber zu gucken: Was will ich? Wo will ich eigentlich hin? Es geht eben nicht darum, dass wir alle gute Menschen werden, sondern darum, die Gesellschaft zu bauen, in der es uns gut geht und in der wir gute Menschen sein können.
So weit sollte Ihnen jeder ehrliche Traditions-Marxist auch noch folgen können, aber dass Sie Feministinnen, Queers, Rassismusopfer und alle Marginalisierten mit hinein ins Proletariat packen?
Das ist wahrscheinlich ein antiautoritärer Impuls in mir, dass ich so etwas in Marx hineininterpretieren will. Es geht mir auch darum, das Denken über Marx zu befreien. Vor allen Dingen wollte ich aber kein Buch schreiben, in dem ich beklage, dass Marx nicht feministisch genug war.
... und seine Abenteuer im Kapitalismus
Sondern?
Interessanter fand ich, die entsprechende Verknüpfung zu suchen, mit der der Feminismus an seine Theorie andocken kann, ihm den Feminismus sozusagen aufzuzwingen und dann auch gleich noch Queerness mit ins Boot zu holen. Ich gehe ja sogar noch weiter: Für mich fällt auch die Selbstoptimierung unter den Begriff Arbeit. Ständig sollen wir uns verbessern, fit machen, an uns arbeiten. Wir haben heutzutage einen inneren Vorarbeiter, sodass in jedem von uns eine Art inneres Proletariat entsteht. Ich unterstelle Marx, dass er das Proletariat auf den Industriearbeiter beschränkt hat, damit seine Theorie am Schluss auch aufgeht. Den Zwang zur Widerspruchslosigkeit seines Gedankengebäudes muss man so aber nicht übernehmen – man muss ihr nicht die Solidarität zwischen den ausgebeuteten Schichten opfern.
Wie stünde Marx zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Das Grundeinkommen löst noch nicht das Problem des Eigentums. Die Idee ist natürlich ein guter Anlass, die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, anzugreifen. Das Grundeinkommen ist für den Einzelnen sicher ein ganz konkreter Ansatz, es ist ein politischer Impuls, um über Arbeit und Bezahlung jenseits der ideologisch-moralischen Verkrustungen zu sprechen. Aber das Grundproblem, das fremdbestimmte Leben, die Abhängigkeit vom Markt, die bleibt doch. Vor dem Hintergrund, dass allen alles zusteht, ist es sicher nicht ganz falsch, ein bisschen was zu fordern.
Es sind eine Menge Bücher in diesem Marx-Jahr erschienen. Ihres ist das einzige von einer jungen Frau. Fühlen Sie sich ernst genommen in dieser Debatte?
Die Frage wäre vielleicht nicht so sehr, ob ich ernst genug genommen werde, sondern ob man die anderen nicht zu ernst nimmt. Mir geht es nicht darum, das Vorrecht des männlichen Experten, Autors und Buches für mich einzufordern, sondern darum, es infrage zustellen. Wir werden ja gerade dadurch gefährlich, dass wir, unbekümmert vom Vorwurf, dilettantisch oder irrational oder hysterisch zu sein, Marx lesen.
Wenn sich nun alle Queers, alle Randgruppen und Marginalisierten tatsächlich solidarisieren und gemeinsam kapitulieren sollten und das System stürzen, was kommt dann?
Dann kommt das Paradies. So lese ich jedenfalls Marx.
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