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Neues Psychiatriegesetz in BayernTotal irre?

Bayern will künftig besser vor psychisch Kranken schützen – denn die könnten gewalttätig sein. Experten warnen vor noch mehr Stigmatisierung.

Wegsperren ist keine Lösung (Archivbild 2006) Foto: ap

München taz | Es hört auf den Namen BayPsych­KHG und ist das erste gemeinsame Baby von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml und ihrer neuen Kollegin im Sozialministerium, Kerstin Schreyer: Die beiden CSU-Politikerinnen haben einen Entwurf für ein Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz vorgelegt. Die Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Krisen solle damit weiter ausgebaut werden, hieß es. Ziel sei, so Huml, „Hilfebedürftige frühzeitig aufzufangen und sie – soweit erforderlich – freiwillig in weitere Versorgungsangebote zu vermitteln“. So würden landesweit Präventionsstellen für psychisch Kranke, die zu Gewalt neigten, eingerichtet. Stationäre psychiatrische Einweisungen, ­insbesondere sogenannte ­Zwangseinweisungen, sollten auf „das absolute Mindestmaß“ reduziert werden.

Dennoch liegt auf den Einweisungen das Hauptaugenmerk des Gesetzentwurfs: 41 Artikel enthält er. In den ersten vier geht es um die „Stärkung der psychiatrischen Versorgung“, die übrigen 37 behandeln die „öffentlich-rechtliche Unterbringung“. Von der sofortigen vorläufigen Unterbringung durch die Polizei über das Besuchsrecht bis hin zur Fixierung und Überwachung von Patienten ist hier alles fein säuberlich geregelt. Den Kranken bietet das neue Gesetz seinen Macherinnen zufolge mehr Rechtssicherheit und Transparenz.

Bei den Fachdiensten ruft die Gesetzesnovelle wenig Lob hervor. „Was die Staatsregierung vorhat, hat den Namen Hilfegesetz nicht mehr verdient, sondern es ist ein Stigmatisierungsgesetz“, zitieren die Nürnberger Nachrichten etwa Elke Ernstberger, die Leiterin der Dienste für psychisch Kranke bei der Nürnberger Stadtmission. Betroffene würden in dem Gesetz vor allem als Gefahr für die öffentliche Sicherheit betrachtet, psychiatrische Einrichtungen zum „Angstort“.

Brigitte Richter von der Selbsthilfeorganisation Pandora springt ihr bei: „Hier wird die Unterbringung behandelt wie der Maßregelvollzug in Haftanstalten.“ Die befürchtete Folge: Psychisch Kranke würden ihre Probleme aus Angst vor Stigmatisierung und vor einer Unterbringung noch länger für sich behalten. Das Vorurteil, psychisch kranke Menschen seien eine Gefahr für die Allgemeinheit, werde befördert. Dabei neigten die allermeisten von ihnen allenfalls zur Selbstgefährdung.

Vor allem die Schaffung einer zentralen Unterbringungsdatei stieß auf Entsetzen bei den Experten: Wer künftig in einer Krisensituation in eine psychiatrische Klinik kommt, selbst wenn es nur für wenige Tage ist, werde erfasst. Die Behörden hätten dann fünf Jahre lang Zugang zu diesen Daten.

Nächste Woche sollen im Gesundheitsausschuss des Landtags Experten gehört werden. Die Hilfsdienste fürchten, dass die CSU das Gesetz noch vor den Landtagswahlen im Oktober durchpeitschen will. Für die kommenden Tage ist daher in München eine Protestkundgebung geplant.

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12 Kommentare

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  • In der Wahlurne gut überlegen, wo das Kreuzchen hin soll.

    ... zentrale Unterbringungsdatei?.. darf sich der Bürger nicht gefallen lassen. Krankheit als Stigma.

    • @arroba:

      Das ist eine Vorschrift der UNO, zum schutz der Menschen. Damit soll das staatliche verschwinden lassen verhindert werden.

  • Kommentar entfernt. Bitte kommentieren Sie zum Thema des Artikels.

  • "Die befürchtete Folge: Psychisch Kranke würden ihre Probleme aus Angst vor Stigmatisierung und vor einer Unterbringung noch länger für sich behalten."

    Danke für den wichtigen Artikel. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass nicht nur eine mögliche zukünftige Kriminalisierung dazu führt, die Probleme für sich zu behalten.

    Das Problem ist auch diese extreme Überdiagonstik vor der sich viele fürchten einerseits und die extrem schlechte Versorgung z.B. bei Psychosen andererseits (hier eigentlich fast nur Medikamente).

    Seit des "Aufstiegs" der Psychotherapeuten 1997 in medizinische Weihen (unter Ausschluss humanistischer und systemischer Verfahren) gibt es zwar eine zunehmende Psychologisierung der Medizin (z.B. Verhaltensmedizin), aber auch eine damit einhergehend eine zunehmende Medikalisierung der Psychologie.

    Durch das Ausbooten der personzentrierten Psychotherapie (also Gesprächspsychotherapie, damals noch "klientenzentriert") findet sich aber leider auch der diagnoseskepsische Ansatz nicht mehr wieder (PERSON- statt diagnosezentriert).

    Aber genau dieser Ansatz hat es geschafft ohne (Selbst-) Stigma auch sehr sehr heftige Lebenskrisen zu meistern und zu entpathologisieren.

    Diesen Ansatz findet man leider für die breite Öffentlichkeit nur noch bei der Telefonseelsorge in Form der personzentrierten Gesprächsführung. Aber sonst? Biologisierung und Kategorisierung allerorten. Das lieben Naturwissenschaftler wie die Verhaltenstherapeuten für ihre Schubladen aber auch Psychoanalytiker für ihre Deutungsmacht natürlich.

    Liebe taz, eigentlich meine ich das so ein Thema auch bei Euch sehr gut aufgehoben ist. Sonst ist Euch Vielfalt doch auch so wichtig. Was ist mit der Methodenvielfalt in der Psychotherapie? Was mit dem seit gefühlt 20 Jahren vorherrschenden technischen Ansatz?

    Und falls jemand eines Berufsverbandes (z.B. der GWG, o.a.) das hier liest: macht mal mehr Pressearbeit - und nicht nur auf der Verbandshomepage. Ich vermisse Eure Stimme.

  • Wann und wo findet besagte Protestkundgebung statt?

  • Gustl Mollath lässt grüßen ;-)

  • Artikel 35, auf S. 24 des verlinkten PDFs.; Begründung auf S. 82ff, die fünf Jahre, nach denen die weitere Speicherung zu prüfen ist (ggf. Verlängerung auch drin...) ergeben sich aus Art 35 Absatz 2 Satz 4, Begründung auf S. 86...

  • (...)"Vor allem die Schaffung einer zentralen Unterbringungsdatei stieß auf Entsetzen bei den Experten: Wer künftig in einer Krisensituation in eine psychiatrische Klinik kommt, selbst wenn es nur für wenige Tage ist, werde erfasst. Die Behörden hätten dann fünf Jahre lang Zugang zu diesen Daten."(...)

     

    Wo lässt sich denn das hier finden?

    https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2018/01/2018_01_15_entwurf_baypsychkhg.pdf

    • @DJ Boemerang:

      Das lässt sich finden in "Art. 35 Unterbringungsdatei"

      • @Rudolf Winzen:

        Das Gesetz handelt von zwangseinweisungen und nicht von jedem der in eine psychiatrische Behandlung geht

  • Die Antwort der CSU auf den Fall Mollath – zynischer könnte sie nicht ausfallen.

    • @Volker Birk:

      Bitte genau informieren worum es hier geht. Ich schätze deinen Blog und die Informationen.

      Das hier ist eine seltsame Kampagne, da der Entwurf die bisherige Gesetzeslage verbessert und kein neues und vor allem kein typisch bayerisches ist. In anderen Länder gibt es keinen richtervorbehalt. Da kann der Arzt dich zwangsweisen.