Verfassungsgerichtsurteil zu Psychiatrie: Fixierung bleibt möglich

Karlsruhe stuft die Fixierung von psychisch Kranken nicht als Folter ein. Das Gericht fordert Richtervorbehalt und „Eins-zu-eins-Betreuung“.

Frauen und Männer in roten Roben stehen an einem Tisch

Das Bundesverfassungsgricht bindet den Ländern etwas die Hände Foto: dpa

Karlsruhe taz | Die Fixierung von psychisch Kranken bleibt grundsätzlich möglich, sie wird vom Bundesverfassungsgericht nicht als Folter eingestuft. Allerdings müssen wohl alle Bundesländer den Schutz der Patienten vor unnötigen und übermäßig belastenden Fixierungen verbessern, unter anderem durch Einführung eines Richtervorbehalts und einer „Eins-zu-eins-Betreuung“ während der Fixierung.

Von Fixierung spricht man, wenn ein Patient mit Gurten an Bauch, Armen und Beinen auf einer Bahre festgezurrt wird. Teilweise wird auch noch der Kopf erfasst. Solche Fixierungen kommen in psychiatrischen Einrichtungen tausendfach vor, wenn Patienten toben, das Personal bedrohen oder unter Drogeneinfluss eingeliefert werden. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht. Die Karlsruher Richter befassten sich nun mit zwei Verfassungsbeschwerden aus Baden-Württemberg und Bayern.

Die Richter stellen zwar fest, dass die Fixierung ein schwerer Eingriff in die Freiheit der Person darstelle. Sie könne jedoch zum Schutz des Patienten gerechtfertigt sein, wenn dieser nicht einsichtsfähig ist und ein „gewichtiger“ gesundheitlicher Schaden droht. Auch der Schutz von Pflegern und Ärzten könne eine Fixierung rechtfertigen.

2013 hatte der damalige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Juan E. Méndez, ein Verbot der Fixierung von psychisch Kranken gefordert. Ihm folgte 2015 der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Richterin Doris König billigte diesen Positionen zwar „erhebliches Gewicht“ zu. Sie seien aber „nicht verbindlich“. Die Kritiker gäben keine Antwort auf die Frage, „was mit Menschen geschehen soll, die für ein Gespräch nicht mehr erreichbar sind und für sich selbst oder andere eine akute Gefahr darstellen“, so König.

Überprüfung in kurzen Abständen

Eine Fixierung soll aber nur möglich sein, so die Karlsruher Vorgabe, wenn kein milderes Mittel möglich ist. Die Richter nennen hier „Gespräche“ und „Medikation“. Eine „Isolierung“ des tobenden Patienten sei dagegen nicht unbedingt vorzugswürdig. Es müsse „in jeweils kurzen Abständen“ neu abgeschätzt werden, ob es wirklich kein milderes Mittel als die Fixierung gibt.

Um die Verhältnismäßigkeit sicherzustellen, schreiben die Richter weitere Maßnahmen vor: So darf eine Fixierung nur durch Ärzte, nicht durch Pfleger angeordnet werden. Während der Fixierung muss die Klinik eine „Eins-zu-eins-Betreuung“ durch Pfleger oder therapeutisches Personal sicherstellen. Eine Beobachtung per Kamera genügt also nicht. Die Maßnahme und ihre Wirkung sind zu dokumentieren, auch im Sinne einer „Qualitätskontrolle“.

Fixierungen, die „absehbar“ die Dauer einer halben Stunde übersteigen, stufen die Richter als „Freiheitsentziehung“ ein. Laut Grundgesetz muss hier „unverzüglich“ eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Die Bundesländer müssen deshalb einen Bereitschaftsdienst der Gerichte einrichten, der zumindest tagsüber von 6 bis 21 Uhr erreichbar ist. Nach Abschluss der Fixierung muss der Betroffene stets auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung hingewiesen werden.

Die Gesetze in Baden-Württemberg und vor allem in Bayern genügen diesen Anforderungen nicht und müssen bis zum 30. Juni 2019 nachgebessert werden. Bis dahin sind Fixierungen aber weiter zulässig, wenn ein Richter vorher oder unverzüglich zugestimmt hat. Das Urteil gilt mittelbar auch für alle anderen Bundesländer. Zwar ist in den Gesetzen von Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ein Richtervorbehalt vorgesehen. Allerdings sind die Karlsruher Anforderungen insgesamt so hoch, dass ihnen wohl kein Landesgesetz vollständig genügt.

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