Kommentar Labour und Antisemitismus: Tief verwurzelt
Gut, dass Corbyn und sein Apparat beginnen, Antisemitismus den Kampf anzusagen. Schlecht, dass sie erst unter Druck tätig werden.
Weiten Teilen der europäischen Linken gilt Jeremy Corbyn als eine Mischung von Held und Zauberer. Der Anführer der britischen Labour-Partei hat die totgeglaubte und in einer tiefen Sinnkrise gefangene linke Oppositionspartei über die magische 40-Prozent-Marke gehievt. Er hat Hunderttausende Jungwähler begeistert und eine klare politische Alternative angeboten – und das alles, ohne seine Prinzipien zu verraten. Viele wünschen sich, dass auch anderswo in Europa ein solcher Typ mal die Politik aufmischen möge.
Aber die neuen Skandale um offensichtlich tief verwurzelten Antisemitismus in der Labour-Partei, gerade bei den Corbyn-Sympathisanten, sollten zu denken geben. Längst geht es nicht mehr um die ewig gleichen Fragen, ob man Israel kritisieren darf und mit welchen Palästinensern man Solidarität üben soll. Es geht um Antisemitismus in Reinform: um das Gefasel von mächtigen jüdischen Strippenziehern, um die Leugnung des Holocausts, all dies vorgeblich im Namen der Kapitalismusbekämpfung und der Abgrenzung zum Mainstream.
Es ist löblich, dass Corbyn und sein Apparat jetzt allmählich beginnen, diesen Tendenzen den Kampf anzusagen. Es ist zugleich schändlich, dass sie erst unter Druck tätig werden. Manche Corbyn-Enthusiasten tun die Antisemitismus-Vorwürfe bis heute als Teil einer Kampagne ab. Es sei doch offensichtlich, dass es vor allem darum gehe, Corbyn zu schaden, sagte die Leiterin der innerparteilichen Labour-Schiedsstelle, als sie Maßnahmen gegen einen Holocaust-Leugner in der Partei zunächst ablehnte, bevor sie zurücktrat.
Dazu kann man nur sagen: Gut, dass es solche Kampagnen gibt. Denn wenn es Corbyn schadet, Antisemiten aus seinem Umfeld zu entfernen, stimmt etwas ganz grundsätzlich nicht. Bei einer Linken, die diesen Namen verdient, darf rechtsextremes Gedankengut keinen Platz haben. In Querfront-Zeiten ist diese Erkenntnis aber offenbar nicht nur in Großbritannien nicht mehr selbstverständlich.
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