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Feministische Ausstellung in HannoverDie Kunst, sich schlecht zu benehmen

Die Guerrilla Girls kritisieren seit mehreren Jahrzehnten die Marginalisierung von Frauen und „artists of color“ im Kunstbetrieb.

Es ist die erste Einzelausstellung der Guerilla Girls in Deutschland Foto: dpa

Bei ihren Auftritten in Deutschland nennen sie sich Frida Kahlo und Käthe Kollwitz, benutzen also die Namen verstorbener, bekannter Künstlerinnen. Sie tragen bei ihren öffentlichen Aktionen furchterregende Gorillamasken und bleiben anonym. Sie führen Statistiken, zählen rauf und runter, wie groß die Benachteiligung von Frauen im Kunstbetrieb ist.

Wie viele Einzelausstellungen etwa hat diese Galerie oder jenes Museum Künstlerinnen ausgerichtet, wie steht es um den Proporz in der Sammlung? Sie interessieren sich aber auch für eine ethnische und nicht heteronormative Marginalisierung: Wie sind Künstler*innen oder „artists of color“ vertreten?

Die US-amerikanischen Guerrilla Girls, allesamt praktizierende Künstlerinnen, sind seit über 30 Jahren eine Instanz nicht nur feministischer Institutionenkritik. Nun lässt sich ihre Bekanntschaft in der Kestner Gesellschaft in Hannover machen, wo unter dem Titel „The Art of Behaving Badly“ ihre erste Einzelausstellung in Deutschland zu sehen ist.

„Wir kommen dabei ganz gut weg“ scherzt Mairi Kroll, Geschäftsführerin des Hauses, die gerade zufällig im Foyer ist. Sie deutet auf das Zahlenwerk, das dort nun angeschlagen ist: Von seiner Eröffnung 1916 bis ins Jahr 2012 galten in diesem großbürgerlichen Kunstverein ganze 9 Prozent der Ausstellungen Künstlerinnen, zwischen 2013 und heute schnellte diese Quote dann aber auf sagenhafte 68 Prozent in die Höhe. Als Wermutstropfen bleibt laut Analyse der Guerrilla Girls: null Prozent Ausstellungen für „artists of color“.

Die Kunst der Proporz-Analyse

Seit Mai 2015 hat das Haus, heutzutage glücklicherweise ja keine Ausnahme mehr, eine Direktorin, die schweizerische Kunsthistorikerin Christina Végh. Aber in den 99 Jahren vor ihr gab es eben zehn Männer als Direktoren, die insgesamt rund 700 Ausstellungen verantworteten. Getragen wird die Kestner Gesellschaft von weit mehr als 3.500 Mitgliedern und Förderern, der Geschlechterproporz wird aus Gründen des Datenschutzes wohl nicht ermittelt.

Derzeit stellt mit Christa Dichgans noch eine weitere Künstlerin aus – sie zeigt ihre apokalyptischen Wimmelbilder mit kulturkritischem Impetus –, auch das restliche Jahresprogramm ist in etwa geschlechterparitätisch.

Die Ausstellung

Bis 8. April, Guerilla Girls: The Art of Behaving Badly. Christa Dichgans: Kein Stillleben. Kestner Gesellschaft Hannover

Die Guerrilla Girls formierten sich 1985, nachdem das New Yorker Museum of Modern Art mit dem selbstherrlichen Anspruch aufgetreten war, in einer Überblicksausstellung die wichtigsten Positionen der aktuellen Malerei und Skulptur zu präsentieren. Unter den 165 Ausgestellten fanden sich genau 13 Künstlerinnen. Seitdem ziehen die schwarz gewandeten Aktivistinnen, die sich mittlerweile auf 60 ehemalige und aktuelle Mitglieder stützen können, mit flotten Kampagnen in den öffentlichen Raum.

Ihre Artikulationsformen sind Plakate und Sticker, die sie ankleben oder verteilen. Sie nutzen die Methodik der Werbung: große Lettern, eingängige Slogans, benennen Missstände und konkrete Adressaten. Ihre Druckwerke haben Kult- bis Kunststatus, werden entsprechend wahrgenommen, weitergereicht und auch gesammelt.

Witz und Humor als Waffe

Selbst ohne konkreten Anlass können sie irgendwo auftauchen, wie etwa 2015 in Bremen: Hier fand man sie am Bretterzaun einer umstrittenen Großbaustelle direkt am Bahnhof. Sie waren dort Teil des überinstitutionellen Projekts „Im Inneren der Stadt“, das sich auch mit der abstrakten Bedeutung des öffentlichen Raums als Sphäre der Information und Meinungsbildung beschäftigte.

Längst haben die Guerrilla Girls das Spektrum ihrer Kritik erweitert. Sie haben die privaten Sammlungen und Museen im Auge, all die Pinaults, Cartiers, Arnaults, amerikanische und chinesische Milliardäre weltweit. Was sind ihre vorgeblich mäzenatischen Häuser denn mehr als Modelle zur Steuerersparnis?, fragen sie. Und warum werden die unzähligen Beschäftigten im Kunstbetrieb meist nicht existenzsichernd bezahlt, während die Werke der einschlägigen Kunststars zu immer höheren Millionenwerten gehandelt werden?

Ihren großen Auftritt in Hannover hatten Frida Kahlo und Käthe Kollwitz mit einem performativen Vortrag zur Eröffnung, sie gaben bereitwillig Interviews, beantworteten Fragen des Publikums. Jetzt sind sie durch eine Auswahl ihrer Plakate sowie den Videos ihrer Aktionen repräsentiert. Ihre wirksamsten Waffen, so sagen sie, sind Witz und Humor, beides nicht gerade die Kernqualifikationen heimischer Aktivist*innen jeglicher Orientierung. Und das macht auch diese Dokumente der Guerrilla Girls sehenswert, ihr Engagement erfrischend, zeitlos, subversiv.

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5 Kommentare

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  • Wieso sollte irgend jemand auf dieser Welt die „Kunst“ erlernen, „sich schlecht zu benehmen“? Weil dumme Menschen denen glauben, die sich mit schlechten Manieren einen Platz an der Sonne erobert haben, ewig lange Schatten werfen und dann behaupten, das sei eine Kunst?

     

    Statt sich offen zu bekennen zu ihrer Eitelkeit und ihrer Denkfaulheit, missbrauchen Leute wie die „Guerilla Girls“ Menschen, die anders sind als sie. Wirklich solidarisch sich sie aber nur mit Gleichgesinnten. Wieso das nicht auch Männer sein sollten, erschließt sich mir nicht. Obwohl – Konkurrenz belebt ja doch nur das Geschäft der aller Stärksten. Für alle anderen ist sie doch eher ärgerlich...

     

    Wäre ich wirklich willens, ein „Star“ am Kunsthimmel zu werden, wüsste ich vermutlich, wo und wie ich mich einzuschleimen habe. Dass ich keine Lust darauf habe, mich wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manege führen zu lassen, bedeutet nicht, dass das Leben im Rampenlicht für jeden Künstler und jede Künstlerin alternativlos sein muss. Es bedeutet nicht einmal, dass man sich aktiv ins Licht drängeln sollte. Kunst, schließlich, muss im Auge des Betrachters liegen, nicht in der Hoheit selbsternannter Künstler.

     

    Westliche Gesellschaften im Allgemeinen und Menschen wie diese „Feministinnen“ wollen nichts anderes gelten lassen, als die traditionellen Erfolgsklischees: Masse statt Klasse. Echte „Institutuionenkritik“ sieht dann doch etwas anders aus für mich. Aber die Hauptsache ist wohl, dass die Beteiligten „ganz gut weg [kommen]“ bei dem, was sie da tun. Man muss ja schließlich erst einmal ein zu versteuerndes Einkommen haben, um Steuern sparen zu können.

     

    Frida Kahlo und Käthe Kollwitz würden sich vermutlich im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, wofür sie herhalten müssen. Und überhaupt: Welcher Gorilla wollte jemals öffentlich ausgestellt werden im Kunstzirkus des Westens? Nun ja. Girls sind eben keine Erwachsenen. Vielleicht, dass Trump sie einstellen würde...?

  • Sagt mal, ab welcher Eumelaninkonzentration in meiner Epidermis darf ich mich als "of color" bezeichnen? RAL-Index genügt.

    • @Adele Walter:

      Bei PoC spielt die Eumelaninkonzentration keine Rolle.

       

      Wichtig ist, dass Sie nach dem Konzept als rassistisch diskriminiert gelten.

       

      So gelten Juden oder Muslime beispielsweise als PoC, auch wenn sie weiß wie ein Fisch sind.

       

      Das Wichtigste ist, dass Sie sich nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland zugehörig fühlen.

       

      Dann können Sie auch aus einer Gesellschaft stammen, die bis vor wenigen Jahrzenhten eine Großmacht war und in der Sklavenhaltung traditionell über Jahrhunderte hinweg üblich war. Sie sind dann trotzdem PoC.

      • @rero:

        Gnadenlose Subjektivität kann ja wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, werter RERO.

         

        Zur weißen Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühle ich mich auch nicht. Trotzdem würde ich mich nicht als PoC bezeichnen. Meine Hautfarbe (die im Sommer die gleiche ist wie die meines Mannes) spielt dabei allerdings keine Rolle. Ich bin nur weiß, gebildet und situiert genug, um privilegiert zu sein.

         

        Ich kann es mir leisten, frei und aktiv entscheiden, ob ich zur Mehrheit gehören will oder nicht. Leute, die weniger Glück hatten mit ihrer Herkunft, können das häufig schon aus materiellen Gründen nicht. Sie würden vielleicht gern dazu gehören, werden aber zur Passivität verurteilt von der Mehrheit ihrer Mitmenschen. Die gleiche Individualität, die für mich eine Chance darstellt (#Alleinstellungsmerkmal), ist für "echte" PoC ein (Überlebens-)Risiko.

         

        Tut mir wirklich leid, lieber Michel Friedmann, aber für mich bist du genau so wenig eine PoC, wie Obama ein Schwarzer ist. Eher ist schon meine Freundin G. ("weiß wie ein Fisch") eine PoC.

        • @mowgli:

          Werte Mowgli,

          ich vertrete das PoC-Konzept nicht. Da ist bei Ihnen möglicherweise ein falscher Eindruck entstanden.

           

          Die gnadenlose Subjektivität ist in der Tat auch das, was mich sprachlos macht. Wer sich alles zum PoC erklärt, da schlackern mir die Ohren.

           

          In Bezug auf Michel Friedman und Obama teile ich voll Ihre Meinung.