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Syrien: Feuerpause gleich zu Beginn gebrochen

Hilfslieferungen in die belagerte Ost-Ghouta sind zunächst nicht möglich. Der lokale Rat der Region lehnt das Angebot eines Abzugs ab und spricht von „Zwangsvertreibungen“

Aus Genf Andreas Zumach

Ungeachtet der Anordnung einer Feuerpause durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin gab es am Dienstag keine Atempause für die Einwohner der seit Wochen bombardierten Region Ost-Ghouta nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die Feuerpause, die täglich fünf Stunden gelten soll, bewirkte zunächst offenbar ein Abflauen der Kämpfe, doch neue Luftangriffe machte die Absprache zunichte.

Daher war die humanitäre Versorgung der in der Enklave eingeschlossenen rund 400.000 Zivilisten mit überlebenswichtigen Gütern sowie die Evakuierung von Schwerverletzten und -kranken weiterhin nicht möglich. Die Hilfsorganisationen der UNO, deren vollbeladene Lastwagen bereits seit Wochen abfahrbereit außerhalb der Enklave warten, halten eine fünfstündige Feuerpause, selbst wenn sie vollständig eingehalten würde, zudem für völlig unzureichend.

„Die Menschen brauchen eine ununterbrochene Feuerpause von 30 Tagen, wie sie der UN-Sicherheitsrat am Samstag beschlossen hat“, erklärte der Sprecher der Genfer UN-Zentrale für humanitäre Aufgaben (Ocha), Jens Larke, am Dienstag vor Journalisten. Das sei „eine Frage von Leben und Tod“. Er rief Kämpfer aller Seiten auf, sich an die Forderung des Sicherheitsrats zu halten. Nach Angaben Larkes wurde die Ost-Ghouta am Dienstagmorgen nach Beginn der Feuerpause um neun Uhr Ortszeit noch beschossen. Die Lage sei „düster“.

Das letzte Mal hatte Mitte Januar ein Lastwagenkonvoi mit Lebensmitteln und Medikamenten für lediglich 7.200 der 400.000 eingeschlossen Zivilisten von den syrischen Regierungstruppen eine Durchfahrtgenehmigung in die belagerte Enklave erhalten.

Laut der Anordnung Putins soll die täglich fünfstündige Feuerpause nicht nur die Lieferung humanitärer Güter ermöglichen, sondern auch Zivilisten die Möglichkeit geben, die Region zu verlassen. Zu diesem Zweck habe die Regierung „sichere Korridore“ für Zivilisten aus der Ost-Ghouta errichtet, berichtete das syrische Staatsfernsehen. Die Korridore und Ausreisepunkte aus der Enklave würden von syrischen Regierungssoldaten und russischen Militärpolizisten kontrolliert.

Hunderte von Schwerverletzten müssen dringend evakuiert werden

Nach Angaben der UNO und des Roten Kreuzes, das außerhalb der Enklave ebenfalls Versorgungsgüter bereithält, fehlen bislang aber die erforderlichen Sicherheitsgarantien sowohl von der syrischen Regierung als auch von den in der Ost-Ghouta präsenten Rebellengruppen für ein ungehinderte und sichere Lieferung von Hilfsgütern, die Evakuierung von Schwerverletzten und die Ausreise von Zivilisten.

Der lokale Rat der Ost-Ghouta nannte das Angebot eines Abzugs von Zivilisten eine „Zwangsvertreibung“. Die Menschen hätten nur die Wahl, unter der Bombardierung zu sterben oder ihr Land zu verlassen. Auch der Chefunterhändler der syrischen Opposition mit Sitz in Istanbul, Nasr al-Hariri, erklärte, mit der Feuerpause solle die Demografie in der Ost-Ghouta verändert werden. Das sei inakzeptabel. Oppositionssprecher Ahmed Ramadan bezeichnete die von Putin angeordnete Feuerpause als einen „Putsch“ gegen die am Samstag verabschiedete Resolution des Sicherheitsrates.

Das Szenario in der Ost-Ghouta erinnert an die Lage in Ost-Aleppo im Dezember 2016. Dort waren nach monatelangen Bombardements durch die syrische und die russische Luftwaffe unter einer Vereinbarung zwischen Russland, der Türkei und dem UNO-Vermittler Staffan de Mistura die Kämpfer islamistischer Rebellen, aber auch Tausende Zivilisten in die Provinz Idlib evakuiert worden. Vertreter der Syrien-Sonderkommission des UN-Menschenrechtsrates kritisierten dieses Vorgehen als eine „völkerrechtswidrige Zwangsumsiedlung“.

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