Kirche und Schule: Der Taufschein weist den Schulweg

Bekenntnisschulen in NRW können Kinder „falscher“ Konfession ablehnen. Max Ehlers kämpft seit acht Jahren gegen diese Diskriminierung.

Ein Mann, Max Ehlers

Max Ehlers, Vertreter der Initiative „Kurze Beine, Kurze Wege“ Foto: Martin Magunia

BONN taz | Max Ehlers pocht mit den Fingern auf den Tisch. Er sitzt in seinem Wohnzimmer in Bonn. Auf dem Tisch liegen Schulsachen seiner Kinder und ein christliches Liederbuch. Eigentlich ist er ein sanfter, ruhiger Mann mit einem breiten Grinsen. Das verschwindet allerdings, sobald er über Bekenntnisschulen spricht. „Es ist Diskriminierung“, sagt er heftig.

Bekenntnisschulen sind ein Phänomen, das es in dieser Form nur in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt. Es sind konfessionsgebundene Schulen, die staatlich finanziert werden. Das Land NRW zahlt jedes Jahr etwa 650 bis 700 Millionen Euro für die Schulen.

Für die Eltern war das lange kein Problem. Um aufgenommen zu werden, reichte das Einverständnis, dass die Kinder nach Grundsätzen des christlichen Glaubens unterrichtet werden. Zwar ist Religionsunterricht verbindlich, aber bei mindestens 12 Kindern einer anderen Konfession können Eltern den betreffenden Unterricht beantragen.

Doch nach der Abschaffung der Schulbezirke 2008/2009 kommt es immer wieder dazu, dass Kinder aus der direkten Nachbarschaft anderen Kindern Platz machen müssen. Weil sie keiner oder der „falschen“ Glaubensrichtung angehören. Das sind Einzelfälle, doch allein in Bonn weiß Ehlers von sieben Kindern, die abgelehnt worden sind. „Viele Eltern melden ihre Kinder gar nicht erst an, weil sie wissen, dass ihre Chancen schlechter sind“.

Konfession ist Kriterium

Das hat sich vor allem durch ein Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster verschärft. Demnach ist die Zugehörigkeit zu der entsprechenden Konfession das wichtigste Kriterium für die Aufnahme auf eine Bekenntnisschule. Bei zu vielen Anmeldungen werden bekenntnisfremde Kinder benachteiligt.

Das will Max Ehlers nicht akzeptieren, obwohl er selbst gläubig und Presbyter in einer evangelischen Gemeinde ist. Als Vertreter der Initiative „Kurze Beine, Kurze Wege“ engagiert er sich seit 2009 dafür, dass alle Bekenntnisschulen NRWs in Gemeinschaftsgrundschulen umgewandelt werden. Mit einem Kernteam von zehn Mitgliedern sammelt er Informatio­nen und veröffentlicht sie auf der Homepage, berät Eltern und verfasst Anträge an die Politik.

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Wie nah Ehlers das Thema geht, ist ihm anzusehen. Immer wieder fasst er sich an den Kopf, wenn er über Bekenntnisschulen spricht, fast legt er sich auf den Tisch, so fassungslos ist er. „Das ist doch verrückt“, ist ein Satz, den er häufig sagt, seine Stimme wird dabei manchmal schrill.

Der aktuellste Umwandlungsversuch in Bonn betrifft die Katholische Grundschule Buschdorf. Ein 50er-Jahre Schulbau in einer gutbürgerlichen Wohngegend – ein paar Schritte weiter geht es raus in ein Feld. Ruhig liegt die Grundschule in dem Ort – so ruhig, dass der heftige Streit um die Schule überrascht.

In Buschdorf gab es bereits drei Anläufe, den Status der Grundschule zu ändern. 2010, 2011 und im April dieses Jahres. 27 Prozent der Elternschaft hatten sich gegen eine Umwandlung ausgesprochen, 27 Prozent dafür. Damit war die Umwandlung gescheitert. Nötig wären mehr als 50 Prozent der Stimmen aller Eltern gewesen.

Zwei Initiativen im Streit

Markus Goller hat für die Beibehaltung des Status quo gekämpft. Sein ältester Sohn geht auf die Buschdorfer Grundschule. Er spricht bedächtig und seine Sätze wirken geübt – er hat schon oft über Bekenntnisschulen diskutiert. Vor der Entscheidung über eine Umwandlung gab es mehrere Versammlungen und Gespräche mit Eltern und Lehrer*innen. Mittlerweile ist Goller so etwas wie der Sprecher der Elternini­tiative geworden: „Am Anfang haben wir viele Eltern getroffen, die erst einmal eine Umwandlung gut fanden. Nachdem wir unsere Argumentation erklärt haben, haben es sich viele anders überlegt“, sagt Goller stolz.

Max Ehlers

„Wie soll man einem Sechsjährigen ­erklären, dass er vielleicht nicht auf die gleiche Schule kann wie die ­Nachbarskinder?“

Warum er sich für die Beibehaltung von Bekenntnisschulen einsetzt? „Für uns ist der christliche Glaube wichtig. Vor allem, dass es Erfahrungsräume hierfür im Alltag gibt. Eine Bekenntnisschule macht das möglich.“ Es gehe ihm vor allem um die Vielfalt der Schulformen. Und um die Freiheit der Eltern, sich die Schule aussuchen zu können, die am besten zu ihrem Erziehungsziel passt.

Vielfalt – dieses Wort hat für Max Ehlers einen bitteren Nachgeschmack. „Nur katholische Kinder haben die Wahl“, sagt er spöttisch. Von 49 Grundschulen in Bonn sind 16 katholisch und 2 evangelisch. In NRW gibt es 1.908 Gemeinschaftsgrundschulen, 845 katholische und 90 evangelische Bekenntnisschulen.

„Wenn ich als evangelischer Mensch meine Kinder auf eine ­solche Schule schicken will, muss ich teilweise quer durch die Stadt. Und konfessionslose ­Kinder oder die mit einem anderen Glauben haben noch weniger Auswahl. Wie soll man einem Sechsjährigen erklären, dass er vielleicht nicht auf die gleiche Schule kann wie die Nachbarskinder?“

In Buschdorf gibt es mehrere Eltern, die wie Max Ehlers denken und sich auch für die Umwandlung engagiert haben. Doch nach dem dritten Versuch habe sich mittlerweile Frust breit gemacht, sagt Paul Pellny, dessen Eltern bereits in den 1970ern für die Umwandlungen von Bekenntnisschulen gekämpft haben. Er ist evangelisch, seine Frau und Kinder sind katholisch. Erst vor Kurzem hat eines seiner Kinder Kommunion gefeiert, auf dem Tisch liegt noch eine moderne Kinder­bibel.

Seine Kinder ­haben die Katholische Grundschule in Buschdorf besucht. Die Familie wohnt in unmittelbarer Nähe dazu. Der Schulweg vieler Kinder führt durch seine Straße. Vielleicht liegt es an der örtlichen Nähe, dass Pellny vor zwei Jahren richtig sauer wurde: „Wir hatten eine Lehrerin, die sehr beliebt war. Sie hatte eine Vertretungsstelle und wurde nicht übernommen, weil sie nicht katholisch war.“ Nicht nur Schüler*innen müssen der Konfession angehören, um die Schule zu besuchen – das gilt auch für das Personal. „Solche Fälle werden als notwendiges Opfer gesehen. Als ginge es hier um was Höheres. Da kommt schnell eine Wertediskussion auf.“

Es gehe um die Schulkultur

Auch Markus Goller beruft sich auf die christlichen Werte der Schulkultur, im „Umgang zwischen Schülern, Lehrern und Eltern“. Wie genau das aussieht, kann er nicht in Worte fassen. Es sei nicht greifbar, aber es sei da. Und dafür kämpft er – genauso wie für die christlichen Feste. „Was ist, wenn sich jemand über den Sankt-Martins-Zug beschwert. Dann könnte er doch nicht mehr stattfinden.“ Er wolle nicht, dass der Sankt-Martins-Zug „Lichterzug“ genannt werde. Er klingt ernsthaft besorgt und auch im Informa­tions­brief seiner Elterninitiative wird der Verlust von Bräuchen herbeibeschworen – als ob nur Bekenntnisschulen diese Feste garantieren könnten.

„Ich kenne keinen Fall, wo in einer Gemeinschaftsgrundschule Feste abgeschafft wurden“, sagt Max Ehlers. Seine Kinder hat er bewusst auf eine solche Schule geschickt. Weder ihm noch seinen Kindern fehle die religiöse Komponente dort.

Er beruft sich auf die Landesverfassung, in der steht, dass in Gemeinschaftsschulen Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte gemeinsam unterrichtet und erzogen werden. „Das ist doch christlich genug“, wie er findet.

Goller hingegen sieht einen Unterschied: „Es geht um das Bekenntnis. Darum, dass Kinder Personen erleben, die sich zum Christentum deutlich bekennen und es auch thematisieren.“ Grundsätzlich nachvollziehen kann er die Wut der Eltern, deren Kinder abgelehnt worden sind. Diskriminierung sei das allerdings nicht: „Es gibt kein Recht, auf die Schule zu gehen, die einem am nächsten ist.“

Die Debatte ist hochemotio­nal. Auch bei einer taz.meinland-Veranstaltung zu diesem Thema in Bonn wird laut und heftig diskutiert – Menschen fallen sich empört ins Wort. „Es ist nicht angenehm für den Schulfrieden“, wie Max Ehlers zugibt.

Auf der einen Seite: Wut über die Ablehnung der Kinder und Unverständnis für die Aufnahmekriterien. Auf der anderen: Angst vor dem Verlust der Religiosität im Alltag. Dazu, wie die Lösung aussehen soll, gibt es unterschiedliche Ansichten.

Lösung: mehr Religionen?

Goller fordert, die Schulauswahl auszubauen: „Ich hätte nichts gegen mehr evangelische, jüdische und auch muslimische Bekenntnisschulen.“ Auch Max Ehlers hofft auf die Politik. Doch eine Verfassungsänderung ist unwahrscheinlich – vor allem bei einer schwarz-gelben Mehrheit im Landtag. „Eine weitere Vereinfachung der Umwandlung wird es nicht geben. Aber wir haben einen Antrag gestellt, dass die Stadt Bonn bei allen Bekenntnisschulen eine Abstimmung über die Schulen initiiert.“ Das hat die Stadt erst einmal verschoben und will zunächst mehr Informationen vom Schulamt.

So bleibt auch die Grundschule in Buschdorf weiterhin das, was ihr Name verrät: katholisch. Ein weiterer Umwandlungsversuch vonseiten der Eltern ist erst einmal nicht geplant.

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