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Klimaschutz ist kein WachstumskillerWeltmeister der Dekarbonisierung

Klimaschutz und Wachstum sind entgegen landläufiger Meinung miteinander vereinbar. Großbritannien hat es vorgemacht.

Es geht doch: Abgase reduzieren und trotzdem steigt das durchschnittliche Einkommen Foto: dpa

Berlin taz | „Sir John hatte recht.“ Das ist das Fazit einer Studie des britischen Thinktanks Energy and Climate Intelligence Unit (ECIU) zur Frage, ob Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist. Das hatte der damalige britische Tory-Premier John Major, beim UN-Umweltgipfel 1992 behauptet. Er wehrte sich gegen den Vorwurf, Klimaschutz sei ein Killer für Wachstum und Jobs. Stimmt zumindest nicht für die sieben führenden Industrie­länder, hat ECIU jetzt berechnet: „Zum Glück sind Win-win-Optionen möglich.“

Vorreiter ist demnach Großbritannien. Die Studie Conscious Decoupling (bewusste Entkopplung) zeigt, dass „der CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen Briten heute um 33 Prozent geringer ist als 1992 – und dass dieser Durchschnittsbrite gleichzeitig mehr als 130 Prozent reicher ist“. Damit sind die Briten Weltmeister der Dekarbonisierung, dem Abschied von fossilen Brennstoffen.

Deutschland blickt nur auf ein Minus von 28 Prozent seit 1990 zurück. Energie wird auf der Insel heute 54 Prozent effizienter eingesetzt als vor 25 Jahren. Deutschland liegt mit 46 Prozent auf dem zweiten Platz. Während der weltweite CO2-Ausstoß aus Kohle, Öl und Gas in den letzten drei Jahren gleich blieb, wuchs die Weltwirtschaft um 8 Prozent. „Wir sollten die alte Zeitungsente schlachten, dass die Senkung von Emissionen der Wirtschaft schadet“, sagte ECIU-Chef Richard Black.

Das Königreich war erfolgreich, weil es von Kohle auf Gas umgestiegen ist, strikte Klimagesetze erlassen hat und beim Emissionshandel einen Mindestpreis eingeführt hat. Auch beruht die Wirtschaft heute mehr auf (tendenziell sauberen) Dienstleistungen wie Banken als auf dreckiger Industrie – aber nicht viel mehr als in Frankreich und den USA.

Deshalb sei der Erfolg der Briten auch nur zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass sie Produkte mit hohem CO2-Anteil an der Produktion ins Ausland verlagert hätten, schreibt die Studie.

Veröffentlicht wurde sie am selben Tag wie ein globaler Aufruf zum „Wendepunkt 2020“. Politiker und Ökonomen fordern entschlossenes Handeln, damit bereits 2020 erneuerbare Energie marktreif sind, saubere Autos und Fabriken zum Standard werden und jährlich mindestens eine Billion Dollar in Klimaprojekte fließen.

Nur die Trump-Administration sperrt sich: Am Montag endete das Treffen der G-7-Energieminister mit einem Eklat und ohne eine Erklärung, weil US-Energieminister Rick Perry eine Erklärung zum Klimaschutz nicht mittragen wollte.

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18 Kommentare

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  • Danke für die vielen guten Kommentare, die die Reflexionstiefe des Artikels bei Weitem übertreffen. Bernhard Pötter hofft auf den grünen Kapitalismus - aber sollen denn ausgerechnet jetzt, wo immer weniger Leute an den Kapitalismus glauben, die Grünen seine Retter werden? Wir sollten lieber überlegen, was wir an seine Stelle setzen wollen - die Rechtspopulisten tun es bereits.

  • So schön sich das mit der Dekarbonierung liest: Weltmeister bei den Erneuerbaren Energien ist UK damit nicht automatisch. Im Gegenteil: Mit Hinkley Point C und anderen geplanten AKW-Standorten wird in UK massiv auf den (mit über 100 Mrd. € hoch subventionierten) Ausbau der Atomkraft gesetzt. Und Sellafield besteht weiter und verstrahlt die irische See. Daher muss man schon auch schauen, wie diese Dekarbonisierung erreicht wird.

  • Die Studie Conscious Decoupling (bewusste Entkopplung) zeigt, dass „der CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen Briten heute um 33 Prozent geringer ist als 1992 – und dass dieser Durchschnittsbrite gleichzeitig mehr als 130 Prozent reicher ist“.

     

    Wegfall der alten Industrien, hin zu einem Wirtschaftssystem das auf den Bankensektor und Finanzmarkt setzt, erklärt die Reduzierung des CO2 Ausstoßes.

    Gemein wird es erst aber wenn statistisch die Wertschöpfung des Bankensektors auf jeden einzelnen Briten umgerechnet wird, klingt gut, ist aber Unsinn. Die vom Finanzmarkt erwirtschaftete Wertschöpfung verteilt sich in der Realität nicht auf die Bevölkerung.

    Hier wird statistisch etwas zusammengerechnet was nicht zusammen gerechnet werden kann.

  • Dazu das Bundesamt für Umwelt:

    "Über das tatsächliche Ausmaß der Leakage-Problematik gibt es unterschiedliche Auffassungen. So

    argumentiert etwa der Oxforder Ökonomie-Professor Dieter Helm, die erreichten Emissionsminderungen in Großbritannien um 15 Prozent seit 1990 seien samt und sonders durch

    das Auslagern energieintensiver Produktionsschritte in Schwellenländer zu erklären."

    https://www.dehst.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Papier_Carbon_Leakage.pdf?__blob=publicationFile

    Die Publikation ist zwar von 2008, aber tendenziell dürfte sich da nichts geändert haben, um auf heutige Zahlen für GB zu kommen.

    • @lions:

      Interessant, dass es dafür sogar einen Fachbegriff gibt. Wusste ich noch nicht.

  • "Klimaschutz und Wachstum sind entgegen landläufiger Meinung miteinander vereinbar."

     

    Die Aussage ist so natürlich nicht falsch, aber auch nicht wirklich relevant. Klar, lassen sich Klimaschutz und Wachstum ein Stück weit miteinander vereinbaren, aber eben nur ein Stück weit - und niemals grundlegend im globalen Maßstab. Aber wer an den Enkopplungsmythos glaubt, kommt bestimmt in den Himmel... Außerdem: Der Wachstumswahn ist ja nicht nur wegen seiner Klimaschädlichkeit abzulehnen, es gibt auch viele andere Umweltsauereien ohne die eine Wachstumswirtschaft auf Dauer nicht möglich sein wird.

    Ein Umstieg auf Gas, Verlagerung von Produktion ins Ausland oder der Ausbau des Bankensektors hören sich für mich nicht nach einer nachhaltigen Lösung an, sondern nach einem leicht "korrigierten" Weitermachen wie bisher. Das kann doch nicht ernsthaft abgefeiert werden?!

    Und wohin soll denn bitteschön noch gewachsen werden? Das ist so ermüdend fantasielos... Je früher sich von der Wachstumswirtschaft verabschiedet wird, desto besser.

  • Mir ist hier beim Lesen nicht klar, ob der Autor hier wertfrei darauf hinweisen möchte, dass solche Studien erscheinen (mögen sie sinnvoll oder quatsch sein), oder ob er selbst keine Lust hatte, den Gehalt der Behauptungen zu prüfen. Vlt. sollten wir auch einfach alle nur mal kurz mit dem Kopf schütteln. Tse, tse, tse....

  • Sehr gut, damit steht nun einer schwarz-grünen Regierungskoalition in Deutschlands nichts mehr im Wege.

  • Sie verdienen jetzt ihr Geld mit sauberen Finanzdienstleistungen. Super, super, super! Wir verkaufen uns alle gegenseitig Finanzprodukte und werden unvorstellbar reich.

    • 7G
      78110 (Profil gelöscht)
      @Energiefuchs:

      In der Tat. Zum vermeintlichen Beitrag der Finanzdienstleistungen zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum (also dem statistischen Artefakt des BIPs) ist es außerdem wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass sich die statistische Erfassung innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im 20. Jahrhundert häufig wandelte, meist zugunsten von besagten Dienstleistungen. Kurzum: Was in vielen (v.a. 'westlichen') Staaten zuvor als irrelevant in Bezug auf die 'Wertschöpfung' galt, wurde mittels Änderungen in der statistischen Ausweis für 'produktiv' _erklärt_ (vgl. hierzu der sehr gute Aufsatz 'Making Finance Productive' von Brett Christophers: https://www.academia.edu/24013433/Making_finance_productive)!

      • @78110 (Profil gelöscht):

        Das Problem des Artikels bzw. der dem Artikel zu Grunde liegenden Studie ist, dass mit "reicher als" ein vollkommen freier Begriff gewählt worden ist.

        • 7G
          78110 (Profil gelöscht)
          @DiMa:

          Gewiss auch, aber eben nicht nur - wie ich versuchte, anzudeuten.

      • @78110 (Profil gelöscht):

        Außerdem wurde noch das Konstrukt der Familienarbeit erfunden. Ich trage jetzt also auch zum Bruttosozialprodukt bei, wenn ich meinen Kindern den Hintern abwische.

  • Hier werden doch Äpfel mit Birnen verglichen: "...gleichzeitig mehr als 130 Prozent reicher ist". Es ist doch vollkommen unklar, welche Auswirkungen und Wechselwirkungen die Dekarbonisierung auf den bzw. mit dem Vermögenszuwachs hat. Erfolgte der Vermögenszuwachs trotz oder wegen der Dekarbonisierung? Aus dem Artikel ist ferner nicht zu entnehmen, wie sich der Atomstrom auf der Insel entwickelt hat. Ein neues Atomkraftwerk wird momentan errichtet und dürfte zur zukünftigen Dekarbonisierung beitragen. Wollen wir uns daran ein Vorbild nehmen?

  • Der globale Norden schafft es mal wieder, seine Umweltkosten zu externalisieren. Woher kommen Kupfer, Lithium, Neodym, Zement?

    Und was macht das Gas, was da im Königreich verstromt wird? Das löst sich beim Verbrennen auf? Wir haben nur eine Chance, effektiv Umwelt und Klima zu schützen: weniger verbrauchen, weniger herstellen, weniger Wachstum, jedem Mensch eine Chance.

    • 7G
      78110 (Profil gelöscht)
      @Energiefuchs:

      Das 'Auslagern' von Umweltverschmutzung ist in der Tat ein wichtiger, häufig aber unberücksichtigter Faktor (vgl. die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2010: https://www.sciencedaily.com/releases/2010/03/100308151041.htm). Herr Pötter, wird hierzu in dem Bericht irgendwie Stellung bezogen?

      • @78110 (Profil gelöscht):

        Danke für den Link, muss ich mal in Ruhe durchlesen.

        • 7G
          78110 (Profil gelöscht)
          @Energiefuchs:

          Gern geschehen. Eine weitere - deutlich umfangreichere - Studie aus dem Jahr 2008, die versucht, die Verbindung zwischen (Welt)Handelsverbindungen und Emissionen aufzuzeigen, ist diese (Volltext-Zugriff): http://www.pnas.org/content/108/21/8903.full

          Zentrale Erkenntnisse sind: "Most developed countries have increased their consumption-based emissions faster than their territorial emissions" bzw. "The net emission transfers via international trade from developing to developed countries increased from 0.4 Gt CO2 in 1990 to 1.6 Gt CO2 in 2008, which exceeds the Kyoto Protocol emission reductions. Our results indicate that international trade is a significant factor in explaining the change in emissions in many countries, from both a production and consumption perspective."