Martin Reeh über Europa im deutschen Wahlkampf: Bloß nicht Schulden-Schulz sein
Der britische Historiker Adam Tooze hat sich kürzlich einen giftigen Schlagabtausch mit dem Kölner Soziologen Wolfgang Streeck geliefert. Streeck, der großen Einfluss in der deutschen Linken habe, würde mit seiner Anti-Euro-Position eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl gefährden. Die aber sei die einzige Chance, zu einer neuen Politik in Europa zu kommen.
Hat Tooze recht – würde Rot-Rot-Grün tatsächlich die Austeritätspolitik in Europa beenden? Diese Woche lieferte zwei Hinweise, dass dem nicht so sein wird. Am Montag gab Martin Schulz seine erste Pressekonferenz für Auslandsmedien. Der SPD-Kandidat betonte, dass sich mit ihm als Kanzler das deutsche Beharren auf Strukturreformen im Süden nicht ändern wird. Eurobonds lehnte er ab.
Der zweite Hinweis findet sich im Bericht „Nationales Reformprogramm“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Über einige Seiten setzt sich das SPD-geführte Haus mit dem Vorwurf aus Brüssel auseinander, der deutsche Handelsbilanzüberschuss gefährde das wirtschaftliche Gleichgewicht in der EU. Da sei nicht viel dran, ist der Tenor. Manches daran ist richtig. Mit der Einführung des Mindestlohns etwa stieg die Kaufkraft der Deutschen und damit auch die Einfuhr ausländischer Produkte. Vieles andere aber ist schöne Prosa, um zu kaschieren, dass die Deutschen mit dem Euro ihre südeuropäischen Nachbarn niederkonkurriert haben.
Im deutschen Wahlkampf wird vieles eine Rolle spielen – eine gerechtere Politik in Europa nicht. Schulz wird alles daransetzen, sein Image als „Schulden-Schulz“ (CSU-General Andreas Scheuer) abzustreifen – als Mann, der die Deutschen für die südeuropäischen Schulden zahlen lassen will. Solange aber die Deutschen nicht mehr Europa wollen, tun etwa die Italiener gut daran, über weniger Europa nachzudenken: den Euro zu verlassen, um die EU zu retten. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss fiele dann auch niedriger aus.
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