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Kommentar EU und TürkeiMerci beaucoup für die Werbung!

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die Repression und der Abbau demokratischer Rechte in der Türkei müssen in der EU scharf verurteilt werden. Gemeinsam und unisono.

Im französischen Metz durfte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auftreten Foto: ap

M it seiner völlig maßlosen Reaktion auf das holländische Einreiseverbot für seinen Außenminister hat der türkische Staatschef Erdogan rückwirkend eine politische Rechtfertigung für den Entscheid der Niederlande geliefert. Wer so billig alle anderen öffentlich der Nähe zu Nazis verdächtigt, macht sich selber verdächtig.

Einmal davon abgesehen, dass es stupide ist, auf jede als verletzend empfundene Maßnahme gleich zur ideologischen Abschreckungswaffe zu greifen. Das ist eine Illustration für das leider nur allzu bekannte und strapazierte Godwin's Gesetz, wonach jede Polemik früher oder später mit der Reductio ad Hitlerum endet. Bei Erdogan fängt sie damit gleich an.

An diesem Wochenende haben mehrere EU-Staaten mit ihrem unterschiedlichen Verhalten jedoch vorgeführt, wie fern die Gemeinschaft von einer politischen Integration oder auch nur einer simplen Koordination noch ist.

Was den einen Recht ist, schafft bei anderen höchste Verärgerung: Die Niederlande erklären den Minister Mevlüt Cavusoglu als Wahlpropagandist zum Unruhestifter und zur Persona non grata, Frankreich lässt ihn unbehelligt in Metz vor ein paar tausend AKP-Anhängern auftreten, wo dieser eigentlich der niederländischen Staatsführung nur noch „Merci beaucoup“ für diese unfreiwillige Werbung sagen und in Sachen Nazi-Beschimpfung noch eine Kelle drauflegen konnte.

Auch Marine Le Pen müsste sich bedanken, denn sie weiß nur zu gut, wie die TV-Bilder aufgebrachter demonstrierender Türken in Rotterdam und Ankara oder auch der verschleierten Erdogan-Sympathisantinnen in Metz die Fremdenfeinde in ihren Ressentiments gegen Muslime bestärken dürften.

Uns mag und muss es befremden, dass eine Partei wie die AKP, die so ungeniert einem Diktator in den Sattel helfen will, selbst im Exil einen solchen Massenzulauf hat. Verbieten lässt sich das nicht. Ebenso wenig aber rechtfertigt dies aber einen Vogel-Strauss-Politik. Die Eskalation der Repression und der Abbau demokratischer Rechte für die Opposition in der Türkei muss scharf verurteilt werden. Gemeinsam und unisono. Einreiseverbote sind kaum das beste Argument.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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18 Kommentare

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  • Wie heisst es so schön: "Die Liebe wächst mit dem Kilometer der Entfernung."

     

    Man kommt nicht in die Verlegenheit, sich vor Ort in die Niederungen des Alltags begeben zu müssen. So lässt es sich ungeniert mit Glorifizierung und Heiligenschein an einer Legende basteln, besonders nach dem Besuch des Filmes "Reis".

     

    Aber mit Verlaub, es sind nicht "die Türken", erst recht nicht "die Muslime". Es sind so viele türkische Muslime, die schutzbedürftig sind, obwohl sie aus einem "sicheren Herkunftsland" zu uns fliehen.

  • Wenn es dieses Spiel "Mami, der hat angefangen, gibt, dann spielen es die Türken!". Sie kennen offensichtlich nicht die Grundlagen der Psychologie. Die berechtigte Wut der Deutschen gegenüber der Leisetreterei gegenüber der Türkei lässt sich nicht dauerhaft verdrängen - sie muss aufgearbeitet werden - sonst brodelt es im Unterbewussten - es braucht eine Haltung, die eine Selbstidentität der Deutschen umfasst. Sonst wird sich diese Wut entladen - dann haben wir wirklich Konflikte zwischen Deutschen und Türken in Deutschland - wollen Sie das? Oder die nationalistischen Strömungen bekommen Zulauf - wollen Sie das? Was wir zur Zeit tun, ist alles andere, als uns dem Problem ehrlich, werteorientiert und mutig zu stellen.

    • @Georg Marder:

      Sorry, der Beitrag sollte als Antwort an CHAOSARAH gehen - hab mich verclickt.

  • Ja, richtig, müssen scharf verurteilt werden.

    Wie sieht eine wirksame Maßnahme gegen Erdogan und die AKP aus?

    Sanktionen verhängen gegen Personen ist seit einiger Zeit möglich.

    • @nzuli sana:

      Eine Frage:

      Wollen sie diese wirkungsvolle Maßnahmen VOR oder NACHDEM der Personenschutz für Bundestagsabgeordnete drastisch erhöht wurde.

       

      Nur für den absolut unwahrscheinlichen Fall, wie bei der Armenienresolution, auf einmal unsere Gesellschaft durch Mordaufrufe an Politiker bereichert wird.

  • "Uns mag und muss es befremden, dass eine Partei wie die AKP, die so ungeniert einem Diktator in den Sattel helfen will, selbst im Exil einen solchen Massenzulauf hat. Verbieten lässt sich das nicht." Ist die taz nur schlecht informiert oder täuscht sie die Öffentlichkeit?

    Das Bundesverfassugsgericht hat doch klar dargestellt, dass es Ermessenssache der Bundesregierung ist, diese Wahlkämpfe zu verbieten: "Das Gericht stellt bei dieser Gelegenheit klar: Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen haben weder aus dem Grundgesetz noch aus dem Völkerrecht einen Anspruch auf Einreise nach und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Dazu sei vielmehr die Zustimmung der Bundesregierung nötig, denn solche Entscheidungen fallen in ihre Zuständigkeit für Auswärtige Angelegenheiten. So eine Zustimmung zur Einreise kann auch "konkludent" erfolgen - das heißt, die Einreise muss nicht in jedem Einzelfall ausdrücklich genehmigt werden." Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/verfassungsklage-redevorbot-101.html

    • @Georg Marder:

      Vollkommen korrekt. Und es bliebe nur noch eine Verordnung übrig. Türken müssen in der Türkei wählen und nicht in Deutschland.

  • Die Eskalation hilft auf beiden Seiten den Falschen.

    Schade dass die Auftrittsverbote und das rechthaberische und anmassende Verhalten selbst in Taz Kommentaren verteidigt wird.

    Aber Ozeanien war eben schon immer mit Eurasien im Krieg.

    Vielleicht sollten wir Denkern das Bücher schreiben verbieten wenn diese bösen Ohmen sich dann immer bewahrheiten.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Chaosarah:

      Ich glaube nicht, dass sie den Falschen hilft. Wer erlebt hat, wie harmlos und nachgiebig Altmaier gestern gegen den türkischen Sportminister war, der könnte sich als Deutscher durchaus für diese Waschlappenhaltung schämen. Wie ich viele Türken hierzulanden einschätze, würde ihnen eine klare Ansage imponieren, während die dieses peinliche Lavieren eher verachten.

      • @849 (Profil gelöscht):

        Ich denke Geert Wilders ist der Falsche!

    • @Chaosarah:

      Die Eskalation hat einen Anfang, bei Erdogan - und die Eskalation hat den ernsthaften Versuch mit Deeskalation zu antworten hervorgerufen. Aber wenn Erdogan mit aller Gewalt eine Eskalation sucht, wird er sie auch erreichen, gegen diesen Vorsatz kann man nichts machen - man kann sich nicht bis zur Unkenntlichkeit selbst verleugnen - letztendlich muss man sich der Auseinandersetzung stellen und Erdogan in seine Schranken verweisen - selbst wenn es ihm hilft sein Referendum zu gewinnen - denn die Türken in der Türkei sind letztlich für ihr Land selbst verantwortlich und wenn sie ihre Stimme für eine Diktatur geben, dann ist das ihre Entscheidung, deren Folge sie dann auch tragen müssen. Wir Deutsche dürfen deshalb nicht unsere Selbstidentität bis zur Unkenntlichkeit verleugnen.

      • @Georg Marder:

        Aber Mami der hat angefangen!

        Das ist immer die beste Legitimation für folgende Schlägerei oder?

         

        Nur erwachsen ist das nicht, diplomatisch schon gar nicht. Es gibt tatsächlich Gründe warum man nicht jedermann Außenpolitik machen lässt.

        • @Chaosarah:

          Wenn es dieses Spiel "Mami, der hat angefangen, gibt, dann spielen es die Türken!". Sie kennen offensichtlich nicht die Grundlagen der Psychologie. Die berechtigte Wut der Deutschen gegenüber der Leisetreterei gegenüber der Türkei lässt sich nicht dauerhaft verdrängen - sie muss aufgearbeitet werden - sonst brodelt es im Unterbewussten - es braucht eine Haltung, die eine Selbstidentität der Deutschen umfasst. Sonst wird sich diese Wut entladen - dann haben wir wirklich Konflikte zwischen Deutschen und Türken in Deutschland - wollen Sie das? Oder die nationalistischen Strömungen bekommen Zulauf - wollen Sie das? Was wir zur Zeit tun, ist alles andere, als uns dem Problem ehrlich, werteorientiert und mutig zu stellen.

          • @Georg Marder:

            "Wenn es dieses Spiel "Mami, der hat angefangen, gibt, dann spielen es die Türken!""

            - Hammer-Satz, schön entlarvend!

             

            "Die berechtigte Wut der Deutschen"

            - Wer ist hier berechtigt wütend? Die einen sind froh, dass sie endlich Grund haben, gegen die Türkei zu keilen, die anderen sind ernüchtert bis bestürzt, aber nicht wütend. Höchstens noch auf die Bundesregierung aus dem ein oder anderen Grund (der Flüchtlingsdeal und die steigenden Rüstungslieferungen ja auch noch im Topf, wie erinnern uns).

             

            "Selbstidentität" gibt es übrigens nicht.

          • @Georg Marder:

            Und kindische Auftrittsverbote sind Ihrer Meinung nach ein adäquates Mittel die "völkische Gesinnung" zu vertreten?

             

            Ein undemokratisches Instrument um gegen das undemokratische Verhalten von Erdogan zu protestieren.

             

            Psychologisch lässt sich sehr gut erklären warum Kind B zurück beleidigt wenn Kind A gemein war. Nur war ich immer guter Hoffnung dass sich der deutsche Staat nicht derart kindisch aufführt.

             

            Und Sie verhindern keine rechte Gesinnung indem Sie eben diese selbst umsetzen, Sie machen die rechte Gesinnung salonfähig.

            • @Chaosarah:

              Wir sind offensichtlich verschiedener Meinung. Aber mehr als eine Meinung ist in ihrer Vorstellungswelt wohl nicht möglich - auch ziemlich unreif, nicht wahr.

              • @Georg Marder:

                Oh doch, ich lasse andere Meinungen durchaus zu.

                Ich würde sogar soweit gehen Leute wie Erdogans Minister hier reden zu lassen nur weil ich so tolerant bin. Wahnsinn oder?

                 

                Ich kann auch sehr gut damit leben dass Sie lieber aggressiv gegen die Schreihälse aus der Türkei anschreien wollen - nur möchte ich immer wieder anmerken dass ich dies nicht für hilfreich oder gut durchdacht halte.

                 

                Ich gebe ihnen ja sogar recht dass Deutschland sich besser gegen die Diktatur positionieren sollte. Nur eben nicht so!

  • Erdogan hat viele Freunde in der EU und NATO gehabt. Dass er eine Diktatur und einen anderen nahen Osten haben will, wurde einfach ignoriert. Dabei kam er aus der Islamisten-Szene und hat auch nie abgeschworen oder sich zu einem liberalen Weltbild bekannt. Erdogan ersetzt die Atatürk-Beamten-Militär-Elite mit einer handverlesene Islamisten-Elite seiner Partei und schafft eine 'neue' Türkei. Einzig und alleine das Geld geht ihm aus - seine Visionen sind inzwischen Gift für die Wirtschaft. Aber mit echten Reaktionen aus der EU oder NATO ist offenbar nicht zu rechnen. Langfristig wird die Türkei nicht mehr im europäischen System bleiben, sondern Teil der regionalen Strukturen - das Land wird endgültig Ländern wie Ägypten, Irak, Iran, Azerbaidschan oder Türkmenistan ähneln. Vielleicht wird es auf dem Weg dahin zu mehreren Bürgerkriegen und Kriegen bzw. massiven Konflikten mit anderen Staaten kommen, aber der Weg ist klar. Damit werden die AKP-Anhänger innerhalb der EU auch zu einem Problem: Was sollen die Europäer mit radikalisierten AKP-Islamisten anstellen? Sie lehnen die Demokratie, Freiheit und Toleranz ab - sie treten für eine islamische Diktatur ein? Normalerweise rapportieren Geheimdienste, dass nur 1 oder 2 Prozent der Muslime anfällig für solche Ideen sind, jetzt könnten es plötzlich 30 oder 40 Prozent werden - was nun? Viele mit deutschem oder mit beiden Pässen - wohin mit so viel Intoleranz und Aggression?