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Susanne Messmer war bei der Enthüllung einer Gedenktafel dabeiEine Geschichte der Selbstverwirklichung

Dibobes Bild hängt am Halleschen Tor Foto: BVG

Die letzten Blätter fallen von den Bäumen, nebenan klingelt es an einer Grundschule zur Hofpause. Vor einem frisch renovierten Haus hat sich eine Gruppe von etwa 30 Menschen versammelt, die meisten von ihnen sind mit Notizblock oder Kamera bewaffnet. Sie sind hier, weil gleich eine weitere von etwa 450 Berliner Gedenktafeln enthüllt wird – die erste für einen Menschen aus der afrikanischen Community in dieser Stadt, wie die Historikerin Katharina Oguntoye, die in Nigeria und Deutschland aufwuchs, gleich erzählen wird.

In diesem Haus in der Kuglerstraße 44 in Prenzlauer Berg lebte Martin Dibobe, der 1876 als Quane a Dibobe in Bonapriso in Kamerun geboren wurde. Dibobe kam 1896 nach Berlin: Als Darsteller in einer Völkerschau im sogenannten Negerdorf der Berliner Gewerbeausstellung. Später arbeitete er sich bis zum Zugfahrer der 1. Klasse bei der U-Bahn hoch (siehe Foto), gründete eine Familie. „Für uns ist Dibobes Geschichte eine der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung“, sagt Historikerin Oguntoye.

Doch Dibobes noch immer nicht restlos erforschte Biografie ist auch aus einem anderen Grund interessant. 1919 reichte er mit 17 anderen Afrikanern in Deutschland, die ihn als ihren ständigen Vertreter im Reichstag vorschlugen, eine Petition bei der Nationalversammlung in Weimar ein. Diese forderte in 32 Punkten „Selbstständigkeit und Gleichberechtigung“ der Menschen in und aus den deutschen Kolonien ein.

Einige der Forderungen – wie etwa die nach Reisefreiheit – lesen sich auch heute wieder brisant. Insofern ist es fast ein wenig schade, dass sie keinen Platz fanden auf der kleinen Gedenktafel in der Kuglerstraße 44.

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