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US-Präsidentschaftswahl Die Frage, wie blöd Donald Trumps Anhänger sind, führt zu nichts. Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University stellt eine andere: Warum würden sie lieber an einem entzündeten Blinddarm sterben, als vom Staat versichert zu sein?„Er ist White Trash, sie ist glücklich“

Interview Peter Unfried

Im Herzen des Universitätscampus von Stanford liegt das Büro von Hans Ulrich Gumbrecht. Es ist 11 Uhr. Draußen hängt dieser „einzigartige Geruch Kalifor­niens“ (Bruce Springsteen) in der Luft, und der Himmel ist von einem Blau, dass man schreien möchte vor Glück, am Leben zu sein. Drinnen sitzt Gumbrecht – Jeans, T-Shirt, Schnauzer – heiter-melancholisch an seinem Schreibtisch.

taz.am wochenende: Ist der Videomitschnitt wahlentscheidend, auf dem man den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump sexistisch über Frauen reden hört, Herr Professor Gumbrecht?

Hans Ulrich Gumbrecht: Trump wurde aus strukturell ähnlichen Gründen schon oft wahltot gesagt, aber hat mit jedem weiteren vermeintlichen Skandal dieser Art nur an Profil und Unterstützung gewonnen. Man kann da also seinen eigenen Intuitionen kaum trauen. Im schlimmsten – und wahrscheinlichen – Fall zeigt sich hier, welch großer Anteil einer sonst stummen amerikanischen Wählerschaft Trumps Stil teilt.

Seit den 1960ern projizierte man gesellschaftlichen Wandel in linksliberale Aufbruchsfiguren. Jetzt steht Hillary Clinton für die Rettung des Status quo. Und der politische Ignorant, Rassist und Rechtsstaatver­ächter Donald Trump ist die Lichtgestalt einer besseren Zukunft – für die anderen. Warum?

Den Begriff Lichtgestalt für Trump finde ich problematisch. Wenn ich mir vier oder acht Jahre seiner Präsidentschaft vorstelle, da könnte ein apokalyptisches Kapitel beginnen. Die Aktivierung xenophobischer Impulse vor dem Brexit in Großbritannien und im laufenden amerikanischen Wahlkampf sind die deprimierendsten Beispiele des Populismus. Aber es könnte die unabsichtliche geschichtsphilosophische Mission Trumps sein, die ihm selbst überhaupt nicht bewusst ist, auf die Situation des White Trash aufmerksam gemacht zu haben. Entsprechend könnte auch die AfD eine unfreiwillige Mission haben.

White Trash, weißer Müll, ist ein Begriff für die von der Politik und der Gesellschaft ignorierte weiße Unterschicht, der die moralische Abwertung mit enthält.

Wir sprechen von einer über zwanzig Millionen großen Gruppe von amerikanischen Bürgern, die sich auch selbst White Trash nennen und mehrheitlich unterhalb der Armutsgrenze leben. Normalerweise wählen die nicht. Jetzt besteht die Möglichkeit und Gefahr, dass sie erstmals wählen gehen und Trump zum Präsidenten machen. Wodurch sie ihre Schuldigkeit dann wohl auch schon getan hätten.

Trump hat viele Anhänger über seinen Rassismus und das Bild einer Mauer gegen Immigranten aktiviert. Damit sind die Leute für manche delegitimiert und damit auch ihre Ansprüche an die Gesellschaft.

Das höre ich immer wieder: Diese Leute sind so rassistisch und so verkommen, dass man sie nicht wirklich politisch berücksichtigen kann. Und wenn Trump die Wahl gewinnen sollte, dann wird er von denen auch einigen Druck spüren, die versprochene Mauer wirklich zu bauen. Was mich aber interessiert und Sie offenbar auch: Können Elemente eines lebenswerteren Lebens in dieser Einstellung stecken? Marx sagte, das Lumpenproletariat sei zu verachten, Bakunin sagte, es ist interessant. Und wir dürfen uns die Frage nicht ersparen, ob sich in einer solchen Reaktion Bedürfnisse artikulieren, die eine demokratische Berechtigung haben – und deshalb ernst zu nehmen sind.

Sie nehmen die Argumente der Trump-Anhänger ernst?

Was Populisten und Populismuskritiker eint, ist ja, dass sie in Wahrheit kaum Interesse an den Werten und Bedürfnissen der Massen haben, weil sie sich selbst für intellektuell unendlich qualifizierter halten. Das sieht man auch an der verbleibenden Linken. Für eine Demokratie im eigentlichen Sinn des Wortes wäre es aber hilfreich, nicht die Argumente, aber die Träume und Frustrationen des White Trash als Symptome für existenzielle Situationen verstehen zu wollen.

Sind die Menschen so unverhohlen rassistisch, weil sie keine politische Lobby haben, oder haben sie keine, weil sie Rassisten sind?

Für mich ist die Frage eine andere: Muss nicht die nächste Regierung die Probleme dieser Leute endlich politisch angehen? Damit meine ich nicht die Mauer, ich meine die Armut, die ideologische Verblendung, die Staats- und Politikphobie.

Wie?

Mit teuren Bildungsprogrammen vielleicht. Es geht jedenfalls nicht mehr an, einfach zu sagen, diese Leute sind nicht satisfaktionsfähig – und wir müssen weiter die Klassiker der linken Politologie lesen. Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre zentralen institutionellen Werte ziemlich intolerant durchzusetzen vermag und jeden sofort ins Abseits stellt, der mit diesen Werten nicht übereinstimmt. Für mich gibt es Elemente im Leben des White Trash, die interessant sind und vielleicht sogar attraktiver als das Leben eines grünen Studienrats.

Das geht jetzt offenbar gegen unsere Leser. Was ist denn mit Ihrem eigenen Leben?

Ich finde mein eigenes Leben als intellektuelles Leben einigermaßen attraktiv. Auch weil ich mich ganz bewusst Risiken aussetze. Das sind nicht Risiken des totalen Zusammenbruchs, aber doch Risiken des Scheiterns von selbst gesetzten Aufgaben.

Wer sind die? „Es geht darum, die Träume dieser Leute zu verstehen, die sich in Texas an der ­Tankstelle eine Zigarette anstecken und sich dem Sicherheitsgurt verweigern“Hans Ulrich Gumbrecht

Und was könnte attraktiver als das Leben eines grünen Stu­dien­rats sein?

Mir fällt da eine Frau ein, die ich kenne, sie ist Tochter polnischer Einwanderer in Connecticut. Ihr Mann war der typische erfolgreiche Inder im Silicon Valley. Er hat eine Verbesserung bei der Produktion von Chips entwickelt und war plötzlich einstelliger Milliardär.

Einstelliger Milliardär ist eine schöne Differenzierung.

Ja, einstelliger Milliardär, das ist wenig . . .

Aber genug, um als Paar oder Familie ausgesorgt zu haben, wie man so sagt.

Das Problem war dann aber, dass sie beide nicht so recht wussten, was sie mit dem Geld anfangen sollten. Sie nahmen sich auf dem Kreuzfahrtschiff „The World“ eine Wohnung. Das kostet 3.000 Dollar am Tag. Sie haben sich dort wahnsinnig gelangweilt. Sie bekam dann bei der unvermeidlichen Scheidung eher wenig, 15 Millionen oder so. Und nun ist sie zusammen mit einem Harley-Typen, den sie von der Highschool in Connecticut kennt. Er ist White Trash. Er hat seinen Stolz. Er will nicht von ihrem Geld leben und überführt weiter Harleys, wie vorher auch. Sie sitzt hinten auf der Harley, der Wind bläst ihr ins Gesicht, und sie ist glücklich. Das gefällt mir.

Was genau?

Sie unternehmen keine Anstrengungen, mit denen sie das Leben der Gebildeten kopieren wollen, ihre eigenen Wünsche erfüllen sich, der Wind im Gesicht.

Was davon ist jetzt das Element, das dem grünen Studienrat­leben fehlt?

Auf der Harley spürst du die Maschine, stell ich mir vor. Da kann etwas passieren – auch ein Unfall. Man lebt mit einem Risiko. Ein anderes emblematisches Beispiel sind die beiden amerikanischen Soldaten, die letztes Jahr in einem Zug von Amsterdam nach Paris einen Terroristen mit Maschinengewehr überwältigten, obwohl sie selbst unbewaffnet waren. Mein Sohn ist Luftwaffenoffizier bei der Bundeswehr und ist sich der darin liegenden Verantwortung sehr bewusst. Trotzdem fragt er sich, ob er das auch gebracht hätte.

Hätte er?

Er weiß es nicht und befürchtet, dass es neun von zehn Luftwaffenoffizieren nicht gebracht hätten. Aus der sich ausbreitenden globalen Mittelklasse sind Lebenselemente eliminiert, die es bei den Marines noch gibt: die Fähigkeit, aggressiv zu reagieren.

Was ist mit unserer Idee von Zivilcourage?

Was wir so gern Zivilcourage nennen, ist oft nur ein intellektuelles Konzept. Nun beginnt man sich zu fragen, ob da etwas richtig war bei den Ma­rines, wenn dadurch so viele Leben gerettet wurden. Richtiger und wichtiger als die organisierte Anti-IS-Demonstration, bei der man von Polizisten geschützt und umrundet ist.

In einem Essay warnen Sie vor „intellektuellen und politischen Berufseliten“, die die Bedürfnisse von weniger Gebildeten als moralisch minderwertig ausschließen wollen.

Ich traf unlängst in Deutschland eine Geisteswissenschaftlerin, die mir sagte, sie könne derzeit gar nicht in ihrem Beruf arbeiten, weil sie so betroffen sei von dem ganzen Rechtspopulismus, dass sie nun erst einmal Trauerarbeit leisten müsse. Für so eine Haltung kriegst du viele Punkte.

Sie meinen: Da ist nicht mal ansatzweise die Idee, Bedürfnisse jenseits des eigenen Kanons könnten auch berechtigt sein.

Ich habe gerade ein Seminar gemacht zu dem Schriftsteller Samuel Richardson. In seinem Roman „Pamela“ arbeitet eine schöne Maiden bei einem jungen Adeligen. Er will sie verführen, sie gibt sich nicht hin, am Ende heiratet er sie dann, sie ist glücklich. Drei meiner Studentinnen sagten, das können sie nicht lesen, das sei zu weit hinter dem feministischen Standard. Wir sprechen hier von Literatur des frühen 18. Jahrhunderts. Sie sagten: It hurts me to read that. Das ist die Dialektik der neuen Political Correctness. Sie kann auch das intellektuelle Leben ersticken. Es gibt einen Kanon von Forderungen zur Kultivierung der jeweils eigenen Sensibilität, die ziemlich brutal durchgesetzt werden. Letztlich auch, da hat Peter Sloterdijk schon recht, Umverteilungsansprüche, die immer ethisch begründet sind.

Sie nehmen Linksfühlenden offenbar den progagierten Altruismus nicht ab.

Die Konzentration der deutschen Intellektuellen und Kommentierenden ist immer auf die eigene Situation gerichtet. Deshalb gerade auch die Fixierung auf die Höchstgehälter der anderen und generell auf Menschen, die mehr verdienen als man selbst. Wo man doch selbst so voller Verdienste steckt. Ideal wäre eine Welt, in der Höchstgehälter immer umgelegt würden auf die Erhöhung von Studienratsgehältern.

Warum ist das in den USA anders, warum lehnt nicht nur der White Trash, sondern die ganze prekäre Mittelschicht im Mittleren Westen Obamacare ab und findet stattdessen auch Donald Trump gut?

Sie glauben, dass Trump sie respektiert. In Wirklichkeit ist er wahrscheinlich ein Zyniker, der nichts vom eigenen Zynismus weiß. Er hat wohl kein echtes Interesse an den Leuten.

Eine häufige Erklärung in Deutschland ist, dass sich Menschen in Absturzangst von halblinks und halbrechts abwenden und sich politisch radikalisieren.

Das Bedürfnis und vor allem das Selbstbild, das Trump anspricht, sieht so aus: Ich kann das schaffen, ich bin unabhängig. Es ist ein Antistaatsdiskurs – immer gegen eine angebliche Verschwörung der Politiker gerichtet. Dann gibt es auch einen Vollgasneoliberalismus. Der Schauspieler Clint Eastwood und solche Leute, die sagen: Lasst doch einen Geschäftsmann das Land führen. All das ist getragen von einer Sehnsucht nach Befreiung von Politikern und Politik. Die wirtschaftlichen Probleme dieser Mittelschicht, dass die Leute kämpfen, um durchzukommen, ist also möglicherweise nicht ihre einzige Motivation.

Es geht den prekär Lebenden nicht um Ökonomie?

Mit Versprechen der Versorgung erreichst du den White Trash wohl nicht, obwohl er diese Hilfe am dringendsten bräuchte. Deshalb sage ich ja: Es geht darum, die Träume und Motive dieser Leute zu verstehen. Die Leute, die in Texas an der Tankstelle plötzlich die Zigarette anzünden. Die sich bis heute dem Sicherheitsgurt verweigern. Egal, wie hoch die Strafe ist. Die gegen Obamacare sind, weil sie lieber am Blinddarm sterben, als von einem Staat versichert zu sein, den sie hassen.

Erklären Sie mir, welches Denken dahintersteht. Ich verstehe es nicht.

Der Texaner an der Tankstelle will eigenverantwortlich handeln können, weil er sicher ist, die Zigarette im Griff zu haben. Er denkt: Ich weiß, wie das geht, ich kann aufpassen, ich will niemanden, der mir was vorschreibt.

Und die, die lieber sterben, als vom Staat versichert zu werden?

Hans Ulrich Gumbrecht

geboren 1948 in Würzburg, betrachtet die Welt, Europa und Deutschland vom Silicon Valley, Kalifornien, aus. Er ist Professor für Literatur an der Stanford University. US-Staatsbürger, Babyboomer, bekehrter 68er. Publiziert unter anderem in NZZ, FAZ und taz.

Nicht dass man Marx-Zitate brauchte, aber Marx sagt: In den Ländern, in denen die bürgerrechtliche Revolution die Ablösung des Feudalismus war, träumen die Leute davon, dass der Staat wächst. Etwa in Frankreich und in Deutschland. In den USA stand am Anfang der Traum von einer neuen Gesellschaft, die dich langfristig vom Staat erlöst. In der Constitution heißt es immer: Congress shall not. Es geht fast immer darum, was der Staat nicht darf.

Das institutionalisierte Solidaritätsprinzip ist ein Grundpfeiler einer Gemeinschaft.

Was die Ablehnung von Obamacare angeht, so tue ich mich auch schwer, ich habe zu lange in Europa gelebt. Es ist der Stolz, für die eigene Gesundheit verantwortlich zu sein, auch auf das Risiko hin, am Ende zahnlos herumzulaufen. Ich möchte das einfach nicht abtun, indem ich sage, diese Leute handeln gegen ihr eigenes Interesse.

Was leitet sie also?

Hier ist auf erstaunliche Art der American Dream am Leben. Sie glauben, dass sie es allein schaffen können. Echtes Leben heißt, Risiken eingehen, und es heißt: Entweder schaffe ich es richtig, oder ich scheitere heroisch.

Deutsche würden sagen: Ich will eine Garantie vom Staat, es mittelgroß zu schaffen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Der radikale Ausschluss von Menschen, sie auch politisch nicht mehr ernst zu nehmen, das wächst und das ist gefährlich. Aber auf der anderen Seite steckt das Risikodenken hier auch in jeder Durchschnittsexistenz. Mein jüngerer Sohn . . .

Stanford-Absolvent?

Eben nicht. Er hat keinen College-Abschluss. Er war General Manager in einer expandierenden Pizzakette hier im Silicon Valley. Verdiente bis zu 100.000 Dollar pro Jahr, hätte irgendwann nach 15 Jahren im Büro 200.000 Dollar verdient. Aber das war für ihn keine Perspektive. Er wollte etwas Besseres, vielleicht sogar „Höheres“ schaffen. In einem Restaurant arbeiten, wo die Silicon-Valley-Typen verkehren – und das die New York Times erwähnt.

Sie waren begeistert?

Ich sagte: Tu, was du nicht lassen kannst. Er fing dann als Unterkellner in diesem neuen Restaurant in Palo Alto an. 1.500 Dollar im Monat. Nach drei Monaten wurde er dort Manager. Neulich war Tesla-Chef Elon Musk da. Oder die Williams-Tennis-Schwestern. Mein Sohn ist glücklich und obenauf. Aber wenn er Musk Rotwein über die Hose schüttet, kann es auch schnell aus sein.

Das ist das Superklischee des amerikanischen Traums.

Das ist aber so. Er ist einfach gut. Sein Bruder war deutscher Pilot des Jahres, aber der wird regelbefördert. Du hast da keine Chance.

Herr Gumbrecht, wir hatten in Deutschland und wohl auch in den USA 50 wunderbare Jahre mit einer halblinken und einer halbrechten Volkspartei. Geht diese Zeit nun zu Ende, da die Republikaner gehijackt sind und die SPD offenbar überholt ist?

Ein Unterschied besteht darin, dass hier in den USA ja keine neuen Parteien entstehen, wie in Deutschland die AfD. Das hat auch damit zu tun, dass der Staat nichts Erstrebenswertes ist. Im Schwinden der SPD mag sich vollziehen, dass in Europa der Sozialdemokratismus auch von den anderen Parteien abgedeckt wird. Mit diesem Produkt bist du immer grundversorgt. Und sehr viele dieser so­zial­demokratischen Träume sind heute erfüllt. Außerdem fehlt so auch der Polemikspielraum: Wogegen sollen die Sozialdemokraten polemisieren?

Das machen Rechtspopulistinnen wie Frauke Petry oder Linkspopulistinnen wie Sahra Wagenknecht.

Ja, speziell Wagenknecht ist ein interessanter Fall. Es könnte sein, dass der Neonationalismus, wenn man das so nennen will, eine Reaktion auf eine Abstraktheitsüberforderung ist. Die EU ist eine Abstraktheitsüberforderung. Es gibt eine generelle Bewegung gegen die Abstraktheit. Wenn ich mich frage: Wo lebe ich? Dann ist die Antwort: auf dem Stanford Campus. In Santa Clara County. In California. Und dann erst in den US. Die EU war der Schritt in die umgekehrte Richtung. Wohin das also politisch hingehen könnte, radikal denkend, wäre eine stärkere Regionalisierung von Politik.

Der Versuch, mikropolitisch Zugriff auf die Welt zu bekommen, ist verständlich. Die zentralen Probleme sind aber global.

Es ist nicht garantiert, dass mikropolitische Strukturen schlechtere Ergebnisse bringen als übergreifende. Die kritische Frage wäre, ob die globalen Probleme ausschließlich über eine Expansion des Politischen laufen können: indem man es globaler macht und abstrakter. Das wäre die Formel, aber daraus entstehen individualexistenzielle Frustrationen.

Trump steht auch für Entabstrahierung.

Sicher. Trump hat ja nicht eine Idee. Wenn er redet, dann erfüllt sich die Rede darin, dass er einen affektiven Kontakt mit seinen Hörern als Gegenwart heraufbeschwört. Jeweils spezifisch und konkret.

Warum hat der Hass auf den Staat den Hass auf Intellektualität überholt?

Vielleicht weil die Intellektuellen keinen Einfluss haben. Sie möchten zwar auch die Ärmsten erlösen, aber anders als im Fall der Politiker überschreitet dieser Wunsch nie die eigene kleine Welt.

Das Zeitalter der Intellektuellen ist zu Ende?

Da geht möglicherweise noch mehr zu Ende, was im 18. Jahrhundert anfing und aussah wie definitive Lösungen. Die pessimistische Diagnose wäre: Wir bewegen uns historisch gesehen auf eine Phase zu, in der sich zunehmend die Frage stellt, ob Menschen im Stande sind, das Überleben der eigenen Spezies zu sichern. Wir beide werden die praktische Antwort oder ihr Scheitern nicht mehr erleben.

Was stimmt Sie so pessimistisch?

Wenn ich, zum Beispiel, an die Klimaerwärmung denke, dann habe ich das Gefühl, dass das System der repräsentativen Demokratie für Lebensumstände erfunden wurde, die vielleicht leider nicht mehr unsere sind. Und dass deshalb etwas zusammenbricht. Ich war unlängst fünf Wochen in Indien – und habe mich für einige Tage in einem Luxushotel untergebracht. Da hatte ich sehr intensiv dieses Gefühl, dass etwas zu Ende geht.

Was ist passiert?

Man musste durch drei Schleusen, um zur Rezeption zu kommen. Ich empfand das als Belagerungszustand. Und es könnte sein, dass das ein generalisierter Zustand wird und sich viele von uns potenziell schon in einem solchen Belagerungszustand befinden. Auch das Silicon Valley und dieser Campus hier. Langfristig ist unser schönes liberales Mittelstandsleben vielleicht doch weniger die Insel der Seligen als eine Insel der Belagerten.

Peter Unfried, 52, taz-Chefreporter, ist beeindruckt von Nancy Isenbergs neuem Buch „White Trash: The 400 Year Untold History of Class in America“

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