Protest gegen Freihandelsabkommen: Es gibt bessere Argumente gegen Ceta

Zwingt das Abkommen uns wirklich Gentechnikessen und Chlorhühnchen auf? Werden Kanadas Farmer unseren Bauern schaden?

Ein papphähnchen auf einem Tablett

Angst vor Chlorhühnchen? Nicht alle Sorgen der Ceta-Gegner sind berechtigt Foto: dpa

BERLIN taz | Für viele Umweltschützer ist das ein Horrorszenario: Falls das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) in Kraft tritt, stehe „unsere gentechnikfreie Landwirtschaft mit strengen Regeln für Pflanzengifte und hormonfreies Fleisch auf dem Spiel“, warnt etwa der BUND für Umwelt und Naturschutz. Mit Sonderklagerechten könnten Konzerne Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz aufweichen und „Verbesserungen deutlich erschweren“.

Doch auf keiner der rund 2.300 Ceta-Seiten steht, dass die Europäische Union mehr gentechnisch veränderte Pflanzen zulassen oder ihre Regeln dafür ändern muss. Es heißt auch nirgendwo, dass die Europäer ihre Gesetze aufgeben müssten, denen zufolge Lebensmittel mit Gentechpflanzen entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Das räumen sogar Ceta-Gegner wie Christoph Then ein, der in der Anti-Gentechnik-Szene einflussreiche Geschäftsführer des Vereins Testbiotech.

Es gibt auch keine Klausel in Ceta, wonach die Europäer ihr Verbot aufheben müssten, mit Chlor desinfiziertes Hühnerfleisch oder mit Hormonen erzeugtes Rindfleisch zu verkaufen. Dieses Verbot ist auch der Grund, weshalb die Kanadier ihre Kontingente von zollfreien Rind- und Schweinefleischexporten in die EU wie bisher wohl kaum ausschöpfen werden. Obwohl der Vertrag diese Kontingente drastisch vergrößert.

Ceta-Gegner warnen aber auch vor der „Regulierungszusammenarbeit“, die der Vertrag vorsieht. Dabei würden Beamte und Lobbyisten hinter verschlossenen Türen Gesetze aushandeln, bevor die Parlamente überhaupt davon erführen, so die Kritik.

Die EU behält genug Spielraum

Zwar verpflichten sich die EU und Kanada in Artikel 25.2 zu einem „Dialog“ über „künftige Anträge auf Produktzulassungen“ und „neue Rechtsvorschriften im Bereich Biotechnologie“. Ziel des Dialogs sei die „Förderung effizienter, wissenschaftsbasierter Zulassungsverfahren“.

In der EU dauern solche Verfahren teils viele Jahre und werden nicht nur nach technischen, sondern auch politischen Kriterien entschieden. Aber Ceta setzt nur ein unverbindliches Dialogforum ein, das keinesfalls Gesetze ändern oder über Zulassungsanträge entscheiden darf. Zudem definiert Ceta weder „effizient“ noch „wissenschaftsbasiert“. So bleibt genügend Spielraum für die EU.

Der Vertrag wird Lobbyisten auch keinen relevanten Informationsvorsprung verschaffen. Denn die EU-Kommission informiert in der Regel schon jetzt im Internet über neue Projekte oder Anträge, lange bevor sie Verordnungen entwirft.

„Die regulatorische Zusammenarbeit ist nur freiwillig“, sagt auch Johannes Klais, Sprecher des Europäischen Verbraucherverbands Beuc, der Ceta ablehnt. „Deshalb haben wir nicht die großen Bedenken wie bei TTIP, dass durch diese Kooperation Gesetzgebung blockiert wird, die die Kommission gegebenenfalls zu bestimmten Pflichtkennzeichnungsthemen auf den Weg bringen würde.“

Es gibt berechtigte Sorgen

Beuc macht jedoch eine andere Gefahr aus: das in Ceta vorgesehene Gericht, das über Klagen von Investoren gegen Kanada oder die EU entscheiden soll. Damit könnten Konzerne tatsächlich Verbraucherrechte aushebeln, warnt Klais.

Ceta verpflichtet in Artikel 8.10 etwa Deutschland zu Kompensationszahlungen, falls es kanadischen Investoren beispielsweise durch „gezielte Diskriminierung aus offenkundig ungerechtfertigten Gründen wie Geschlecht, Rasse oder religiöser Überzeugung“ oder durch „offensichtliche Willkür“ schadet. All das dürfte jedoch nicht zutreffen, wenn die EU etwa das Fleisch von Nachfahren geklonter Tiere verbieten würde – unabhängig von ihrem Herkunftsland. Oder vorschreibt, dass Lebensmittel von allen Tieren gekennzeichnet werden müssen, die gentechnisch verändertes Futter bekommen haben.

Selbst der gern von Ceta-Gegnern zitierte Wirtschaftsvölkerrechtler Markus Krajewski sagt dazu: „Mir würde es schwerfallen, einen Fall zu konstruieren, in dem ein Unternehmen infolge einer Gentechnik-Kennzeichnungspflicht für alle Hersteller wegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder Religion klagen könnte.“

Ausgeschlossen sind Klagen nicht

Aber „Willkür“ zum Beispiel sei im Vertrag nicht definiert. „Das ist ein gefundenes Fressen für Anwälte, die gut bezahlt werden.“ Außerdem könnten die EU und Kanada in einem gemeinsamen Ceta-Ausschuss einvernehmlich weitere Klagegründe festlegen – ohne die Parlamente. Ausgeschlossen seien solche Klagen deshalb nicht.

Aber so groß wie Ceta-Gegner sie darstellen, scheint die Gefahr nicht zu sein.

Trotzdem bleibt die Frage, warum hochentwickelte Staaten wie Deutschland und Kanada überhaupt ein Extragericht für Unternehmen brauchen. Stephan Schill, Wirtschaftsrechtsprofessor an der Universität Amsterdam und selbst in einem Verfahren Schiedsrichter, antwortet darauf: „Wir haben sogar innerhalb der EU sehr unterschiedliche Standards, was die Rechtssysteme angeht.“

In Rumänien oder Italien etwa sei die Justiz nicht so effizient wie in Deutschland. Aber warum sollte dann auch die Bundesrepublik eine Sonderjustiz für Konzerne akzeptieren? Weil deutsche Unternehmen in Kanada dann eine von der dortigen staatlichen Justiz unabhängige Gerichtsbarkeit nutzen könnten, argumentiert Schill. Damit zieht er Kanadas Rechtsstaatlichkeit in Zweifel, was kaum einen Schiedsgerichtskritiker überzeugen dürfte.

Eine echte Bedrohung für Milchbauern – in Kanada

Das Abkommen ist auch eine echte Gefahr für kanadische Milchbauern. Denn Ceta erlaubt der EU, pro Jahr zollfrei 18.500 Tonnen mehr Käse als bisher in das nordamerikanische Land zu exportieren. Das ist mehr als das Doppelte des jetzigen Kontingents. Da etwa die deutschen Bauern nur rund 23 Cent pro Liter Milch bekommen, die kanadischen aber dank einer staatlichen Begrenzung der Produktionsmenge 50 Cent, wird die EU ihr Kontingent mit Sicherheit ausschöpfen.

Sie wird dann rund 8 Prozent des kanadischen Käsemarktes stellen, wie der Verband Dairy Farmers of Canada vorrechnet. Das würde die dortigen Farmen jedes Jahr insgesamt fast 102 Millionen Euro Einnahmen kosten. Erfahrungsgemäß können große Unternehmen solche Einbußen besser kompensieren als kleine. Am Ende trägt Ceta also zur Konzentration des Milchsektors bei – in Kanada.

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