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UNTERGEBRACHT Wie sich Geflüchtete besser, weil würdevoller, beherbergen lassen könnten, dafür gibt es viele Ideen – ein paar davon haben sogar Aussicht darauf, realisiert zu werden▶ Schwerpunkt SEITE 43–45Utopien statt Container

von Bettina Maria Brosowsky

Bereits nun zum dritten Mal in den vergangenen 100 Jahren beklagt man in Deutschland, wie auch in anderen Staaten Europas, eine Wohnungsnot. Es mangelt an bezahlbarem Wohnraum, oder richtiger: am Zugriff darauf. Die Bundesarchitektenkammer zählt einen Fehlbedarf von etwa 770.000 Wohnungen und sieht den Grund im Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau nach der Föderalismusreform 2006. Seitdem wird das Grundbedürfnis Wohnen von den Ländern eher stiefmütterlich bedient – oder gleich dem Kalkül von Investoren überlassen. Anderseits weisen Statistiken einen Leerstand von bis zu 1,8 Millionen Wohnungen und Eigenheimen aus. Ließe sich davon nur gut 40 Prozent zur Nutzung aktivieren, wäre das augenblickliche Defizit behoben, zumindest rechnerisch. Derartige (Markt-)Mechanismen, eigentlich lange bekannt, rücken erst seit gut zwei Jahren ins öffentliche Bewusstsein: bedingt durch den verstärkten Zuzug von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder afrikanischen Staaten. Geschätzt mehr als eine Million Schutzsuchende kamen allein 2015 nach Deutschland – und fragt jetzt menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnraum nach.

Nun sind Migrations- und Flüchtlingsströme kein historisch neues Phänomen. Ende des 17. Jahrhunderts etwa flohen 170.000 Hugenotten aus Frankreich, sie wurden unter anderem in Preußen gern aufgenommen. Umgekehrt zogen zwischen 1820 und 1920 mehr als 5,5 Millionen Deutsche Richtung USA. Über Integration wurde damals nicht geredet. Sie gelang einfach, geduldig über einen langen Zeitraum, und immer unter kollektiver Pionierarbeit der Hinzukommenden. Auch eine Flüchtlingswelle mit Ende des Ersten Weltkriegs und die zweite, ungleich größere nach 1945 wurden in Deutschland, beide Male in wirtschaftlich desolaten Lagen, gemeistert. Beide polarisierten jedoch wohl nicht so, wie es heute die Flüchtlinge tun. Wie begründet sich das aktuelle Unvermögen, in einer doch stark internationalisierten Welt nun fremden Menschen zu begegnen, ihnen eine Lebensperspektive zu bieten, oder auch nur nachzudenken über ihre (Wohn-)Bedürfnisse? Sehr verkürzt geantwortet: Es fehlt an einer tragfähigen Gesellschaftsutopie.

Ein Rückblick: Als nach 1918 eine Million Menschen aus abgetretenen Gebieten in die Weimarer Republik strömten, fehlten bereits 800.000 Wohnungen – eine Hypothek der Kaiserzeit –, 1921 dann sogar mehr als eine Million. Privatwirtschaftliche Investitionen im Wohnungsbau unterblieben, denn es gab wohl den großen Bedarf, aber keine zahlungskräftigen Mieter. In Schwung kam der Wohnungsbau erst mit staatlichen Eingriffen wie der Besteuerung des Immobilienbestandes, einem guten Mietrecht und einer funktionierenden Preisbindung. Und es traten, um 1924, neue Bauträger auf den Plan: die Kommunen, Genossenschaften oder auch Siedlervereine. Noch wichtiger aber war wohl, dass der Bau von Wohnungen und neuen Stadtteilen zur kollektiven Feldforschung wurde, zum großen gesellschaftspolitischen Experiment, das Gesetzgeber, Behörden, Architekten, Hochschulen und Künstler bewegte.

Neue Bauformen und Siedlungsstrukturen, wohnhygienische und sozialpolitische Fragen wurden da angegangen, Technologien rationeller Vorfertigung, Typisierung und Normung, die Serienproduktion einfachen Mobiliars in Arbeitsloseninitiativen. Wohnen für das Existenzminimum wurde das elementare Anliegen, das individuelle Quartier in Dimension und Ausstattung penibel erforscht und konzipiert. Im Hamburg der 1920er- Jahre entstanden unter Fritz Schumacher formal etwas konservativere Backsteinsiedlungen, in Hochburgen des Neuen Bauens wie Berlin, Frankfurt, Dessau oder auch Celle lichte, manchmal kräftig bunte Putzbauten mit Balkonen, Gemeinschaftseinrichtungen und Gärten zur Selbstversorgung. Neue Siedlungen liefen zu ikonischen Symbolformen eines sozialen Empowerments auf, die Bautätigkeit zu ambitionierter Produktivität: Allein 1930 entstanden 311.000 neue Wohnungen. Viele der Siedlungen stehen noch heute, sind als Baudenkmäler oder Unesco-Erbe gelistet, wurden (mehrfach) saniert, kleine Wohnungen zu größeren Einheiten zusammengelegt.

Auch das zeigt der Rückblick: Langfristig erfolgreiche Bauformen benötigen Zeit zur Realisierung, heutzutage wohl deutlich mehr als zwei Jahre. Bis dahin gilt es zu improvisieren. War es in beiden Nachkriegszeiten die Zwangseinweisung – heute undenkbar! – sind es heute Provisorien: vom ausgebauten Übersee-Container aus Stahl über sogenannte modulare Bauweisen in Holzkonstruktionen bis zu Fertigteilbauten aus Stahlbeton. Damit lassen sich in acht, vielleicht auch nur sechs Monaten, kleine Anlagen für jeweils gut 100 Bewohner fertigstellen. Ein wenig Farbe und gut ausgestattete Freianlagen sollen die ästhetische wie Gebrauchsqualität sicherstellen. Wenn am 28. Mai die Architekturbiennale in Venedig eröffnet, zeigt das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt als bundesrepublikanischen Beitrag „Making Heimat“ eben diesen State of the Art des deutschen Bauens für Flüchtlinge oder auch soziale Randgruppen.

So weit, so gut. Aber wo bleibt das Nachdenken darüber, was zum Leben gehört – jenseits des sprichwörtlichen Daches über dem Kopf? Wo sind Ideen zum selbstbestimmten Organisieren des Wohnens, zur Aneignung der neuen eigenen Stadt, zur politischen und kulturellen Selbstartikulation Hinzukommender, so wie es für die französischen Hugenotten um 1700 oder die Heimatvertriebenen nach 1945 selbstverständlich war? Kollektiver Mut zum gesellschaftlichen Langzeit-Experiment scheint derzeit kaum auszumachen, die Stimmung zur Flüchtlingsfrage schwankt zwischen naiver Willkommenseuphorie und Angst vor dem Fremden – verstärkt seit der Silvesternacht und den Anschlägen von Paris und Brüssel.

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