Islamische Frauenbilder und Feminismus: „Wir müssen Rassismus mitdenken“

Die muslimische Feministin Kübra Gümüşay über die Schockstarre nach Silvester, Frauenbilder im Islam und darüber, was in der Sexismus-Debatte falschläuft.

„Sexismus ist keine Importware“, sagt die Feministin Kübra Gümüşay. Foto: Şeyma Yıldız

taz: Frau Gümüşay, was ist schlimmer, Rassismus oder Sexismus?

Kübra Gümüşay: Beides wirkt häufig zusammen. In einer Einwanderergesellschaft findet selten nur eins von beiden, also nur Rassismus oder nur Sexismus statt. In der aktuellen Debatte wird aber versucht, das eine gegen das andere auszuspielen.

Sie meinen die Debatte über die Ereignisse der Kölner und Hamburger Silvesternacht. Was läuft in der Diskussion falsch?

Es wird so getan, als sei Deutschland ursprünglich eine sexismusfreie Gesellschaft, als würde das Problem erst von denen importiert, die später dazugekommen sind. Also sogenannte „nordafrikanische Männer“ zum Beispiel.

Sexismusfreie Gesellschaft? Wie kommt man denn auf den Quatsch?

Als das in Köln geschehen ist, war Deutschland in einer Art Schockstarre. Rechtspopulisten hatten schon lange das Horrorszenario gezeichnet von wilden, triebgesteuerten schwarzen oder muslimischen Männern, die über deutsche Frauen herfallen und sie vergewaltigen.

Ein altes koloniales Bild.

Genau. Und dann geschah Köln und die Mutmaßungen ließen das Ganze so aussehen, als hätte sich diese Prophezeiung bewahrheitet. Das war die Schockstarre. Die lautesten Stimmen in der Debatte waren dann diejenigen, die das Horrorszenario geprägt hatten. Die haben die Debatte für sich vereinnahmt und den Sexismus für ein rassistisches Narrativ instrumentalisiert.

Wie hätte man die Debatte stattdessen führen müssen?

Zum Beispiel ist ja zu dieser Zeit #ausnahmslos entstanden.

27, ist Aktivistin, Journalistin und Medienberaterin. Sie ist in Hamburg geboren und aufgewachsen und hat Politikwissenschaften in London und Hamburg studiert. Ihre Eltern kommen aus der Türkei.

Ein Zusammenschluss von Feministinnen, die fordern, Sexismus überall anzuprangern, wo er stattfindet, und andere Unterdrückungsverhältnisse wie Rassismus dabei mit zu thematisieren.

Wir führen die Debatten um Sexismus und andere Diskriminierung ja seit vielen Jahren. Da darf man die Debatte jetzt nicht denjenigen überlassen, die das Wort „sexualisierte Gewalt“ erst seit der Silvesternacht in ihrem Wortschatz haben und ernst nehmen. Die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen wirken alle zusammen und man kann sie nicht gegeneinander ausspielen. Wir sind gegen sexualisierte Gewalt, gegen Sexismus und Rassismus, und zwar ausnahmslos, überall.

Wie man kann über das Thema diskutieren, ohne in rassistische Fallen zu tappen?

Indem man nicht versucht, einen gesellschaftlichen Missstand als Importware darzustellen, sondern sich bewusst ist, dass wir auch in Deutschland noch viel daran arbeiten müssen. Wir leben in einer Einwanderergesellschaft. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen des Sexismus, die sehen in verschiedenen kulturellen, religiösen, politischen, sozialen Kreisen verschieden aus. Darüber kann und muss man reden. Aber es ist nicht ein Kulturkreis oder eine Religion per se sexistisch oder gar der „Nährboden“ für Sexismus, wie manche behaupten.

Was macht man mit den rechtspopulistischen Möchtegern-FeministInnen, die man plötzlich in den eigenen Reihen hat, obwohl sie etwas ganz anderes wollen?

Es muss ganz klar sein, dass diese Menschen keine ernst zu nehmenden Gesprächspartner sind. Sonst ermöglichen wir dadurch erst die Instrumentalisierung der Geschehnisse. Stattdessen muss man diejenigen zu Wort kommen lassen, die sich seit Jahren mit diesen Themen beschäftigen – und nicht erst seit der Silvesternacht.

Seit Silvester werden dauernd Übergriffe von Migranten auf deutsche Frauen gemeldet. Was macht man nun damit? Berichten? Nicht berichten?

Simpel: Man darf nicht nur dann darüber berichten, wenn der mutmaßliche Täter schwarz ist. Wenn wir sexualisierte Gewalt ernst nehmen, muss man immer darüber berichten. Als ich sah, dass offenbar viele erzkonservative Politiker in der Lage sind, das Problem ernst zu nehmen, war ich froh. Na gut, wenn das so ist, können wir jetzt mal einen Schritt weitergehen und das Problem immer ernst nehmen. Nicht nur dann, wenn die Geschehnisse in ein bestimmtes Denkmuster passen.

Was hat sich in den letzten Monaten innerhalb des feministischen Diskurses verändert?

Bei #ausnahmslos haben sich viele Feministinnen verschiedener feministischer Strömungen zusammengeschlossen, um eine laute, gesellschaftliche Stimme zu bilden und politisch zu intervenieren. Das war in der Form neu. Ich denke, damit ist auch klar geworden, dass es eben verschiedene Strömungen gibt. Medial wird ja häufig der Eindruck vermittelt, als gäbe es nur den Feminismus des Schlages Alice Schwarzer. Dabei ist sie für viele Feministinnen, vor allem jüngere, schwarze oder solche mit Migrationshintergrund, kaum noch vertretbar.

Welcher feministischen Strömung rechnen Sie sich zu?

Einem intersektionalen Feminismus. Das heißt, dass der Feminismus andere Diskriminierungsformen zumindest mitdenkt, möglichst auch mitbekämpft. Also neben Sexismus auch Rassismus, Homofeindlichkeit, Diskriminierung aufgrund des Alters, der Behinderung oder der sexuellen Identifikation.

Wie schafft man es, all diese Themen in einem Kampf unterzubringen?

Eigentlich geht es ja um das Bekämpfen von Ungleichheit. Feminismus greift sich eine Ungleichheit raus und arbeitet pointiert. Aber man kann in der Arbeit zumindest drauf achten, die anderen Diskriminierungen nicht zu reproduzieren. Wenn eine feministische Bewegung es nicht schafft, schwarze Frauen oder Arbeiterfrauen mitzunehmen und für sie einzutreten, kann sie nicht authentisch und nachhaltig sein.

Heißt das, Feministinnen müssen immer auch Antirassistinnen sein?

Nein, ich verlange nicht, dass jede Feministin ihre gedankliche Energie auch in antirassistische Arbeit stecken muss, aber zumindest sollte sie oder er sich bemühen, diese Struktur nicht zu reproduzieren.

Sie sind ja muslimische Feministin. Viele fragen bestimmt, wie das zusammen geht. Was antworten Sie?

Viele fragen mich das, weil in ihrem Kopf nur ein spezifisches Frauenbild des Islam möglich ist. Das entspricht aber weder der pluralen Realität, noch den theologischen Auslegungen.

Wie sehen denn andere Frauenbilder im Islam aus?

Medial wird das Bild der unterdrückten Frau gezeichnet, die der verlängerte Arm ihres Mannes ist, die keine eigene Meinung hat, und wahrscheinlich zwangsverheiratet wurde. Doch allein die islamische Geschichte bietet einen Reichtum an emanzipierten Frauen – als eigenständige Intellektuelle, Wissenschaftlerinnen oder auch Geschäftsfrauen. Wie zum Beispiel die erste Frau des Propheten. Sie war 15 Jahre älter als er, wohlhabend, hatte Kinder aus vorherigen Ehen, und sie war es, die ihm den Heiratsantrag gemacht hat. Und die erste Universität der Welt wurde von Fatima al-Fihri, einer muslimischen Frau gegründet.

Das weiß nur keiner.

Genau. Solches Wissen wird bewusst zurückgehalten, denn es führt zu Empowerment.

Wie gehen muslimische Feministinnen dagegen vor?

Wir sagen: Lasst uns in die Quellen schauen, lasst uns in die islamische Geschichte schauen und das als Emanzipationsgrundlage nutzen, um uns innerhalb des Islam zu emanzipieren.

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