Soziale Herkunft, Hautfarbe, Gender: Auch Diskriminierung ist vielfältig

Das Ende rigider Geschlechternormen und nie wieder die Frage: „Woher kommst du wirklich?“ – Aus dem Leben von Menschen, die Ideen für eine Veränderung haben.

Illustration von fünf Frauen, die auf einem Fahrrad fahren

Feministische Kreise bieten Halt – aber auch hier ist der Weg zu echter Inklusion noch weit Foto: Xuehka

„Schweigen können andere“

Ich bin Hannoveranerin. Jedenfalls sage ich das immer. Im besten Fall werde ich nach diesen Worten fragend angeschaut oder gefragt: „Wo kommst du wirklich her?“ Aber das war schon immer so, damit kann ich inzwischen umgehen.

Manchmal macht es wirklich Spaß, Menschen mit meiner Herkunft zu verwirren. Inzwischen lebe ich seit sechs Jahren in Göttingen, studiere und bin dort politisch aktiv.

Ich neige dazu, zu sagen, was ich denke. Das ist vielleicht nicht immer klug, aber häufig notwendig. Ich unterstütze das Bündnis gegen rechts in Göttingen und gehe gegen Nazis auf die Straße. Für mich ist das eine Pflicht: Die Nazis, die da auf der anderen Seite stehen, hassen mich – meine Existenz, meine Worte, meine Hautfarbe, mich.

Im Sommer passierte es das erste Mal. Ich wurde auf einer Gegenkundgebung von einer Frau angesprochen. Sie sagte, sie hätte ein Bild von mir auf einer Facebook-Seite der Nazis gesehen. Dann passierte es wieder, diesmal wurde meine Adresse veröffentlicht. Das erzählte mir ein Bekannter. Danach wurde ich immer wieder in Posts genannt, diese auf immer mehr Seiten geteilt.

Ich werde nicht aufhören, gegen Nazis auf die Straße zu gehen. Ich werde jeden einzelnen Post melden und wenn nötig anzeigen. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Trotzdem mache ich mir natürlich Gedanken.

Rechtspopulisten wollen uns einheitlich und schwach: als deutsche, heterosexuelle Frau und Mutter. Wir halten dagegen: Wir sind People of Color, muslimisch, migrantisch. Wir sind hetero, queer, divers. Wir sind viele. Und wir sind stark.

Lesen Sie am 8. März 11 Sonderseiten der taz zum Internationalen Frauen*tag. Mit Texten u.a. von und mit: Christa Wichterich, Hengameh Yaghoobifarah, Amina Yousaf, Judy Gummich.

Es sind eben nicht nur ein paar wenige, es sind viele. Sie sitzen unter dem Deckmantel der AfD in Parlamenten und entscheiden mit darüber, wie wir hier gemeinsam Leben wollen. Sie gehen Woche für Woche auf die Straße. Es sind diese Menschen, die motiviert von ihrem Rassismus Menschen angreifen.

Schweigen können andere. Ich sage meine Meinung. Ich schreibe sie auch ins Internet. Und das wird auch so bleiben. Mein Schweigen bekommt ihr nicht.

Amina Yousaf, 26, ist Kolumnistin auf „kleinerdrei.org“

„Nicht alle Frauen mensturieren“

Dass Rechtspopulist_innen stärker werden, macht mir große Sorgen. Sie verbreiten Rassismus, Sexismus und Hass auf alles, was anders ist. Trans*feindliche und homofeindliche Positionen werden selbstbewusster vertreten. Den Hass, der so angestachelt wird, kriege ich auf der Straße mit. Oft erkennen Leute, dass ich keine cis*Frau bin und lesen mich als trans*Frau, schwulen Mann und_oder Tunte. So passiert es häufig, dass mir Menschen etwas Unfreundliches hinterherrufen, sich über mich lustig machen. Auch bin ich schon mehrfach bedroht oder begrapscht worden. So was macht mich jedes Mal völlig fertig. Ähnliche Erfahrungen machen viele diskriminierte Personen, und ich nehme in der trans*Community und der Antirassismusbewegung Angst vor der Zukunft war.

Als trans*Frau passe ich nicht in Geschlechterrollenerwartungen oder Körpernormen. Die feministische Szene bietet mir Halt. Hier kann ich mich weiterentwickeln und habe viel über Unterdrückungsmechanismen und andere Diskriminierungsformen, aber auch über Privilegien gelernt. Immer mehr Feminis­-t_in­nen haben auf dem Schirm, dass auch Trans*Frauen von Sexismus und Patriarchat betroffen sind. Leider ist es aber immer noch so, dass ich mich als trans*Frau nicht mitgedacht fühle. Gerade dann, wenn Körperlichkeit thematisiert wird.

Zum Weltfrauentag bekommen wir virtuelle Unterstützung – von einem Social Bot. Wir haben ein Programm geschrieben, das die Frauenbewegung auf Twitter unterstützen soll. Ein Social Bot, der feministische Fakten verbreitet und frauenfeindliche User zurechtweist. Meet @JudithBotler.

Oft wird davon ausgegangen, dass alle Frauen eine Vulva und Brüste hätten und menstruieren. So wird eine feministische Gemeinschaft konstruiert. Wer nicht dazugehört ist klar. Auf Events gibt es „Vulva-Kuscheltier basteln“, eine Ausstellung von Menstruationsblut-Kunst und Workshops über „Frauenkörper“, die nur cis*Körper zeigen. Empowerment zum Thema Körperlichkeit finde ich wichtig. Das Ziel von feministischem Empowerment ist aber meiner Meinung nach verfehlt, wenn dadurch Weiblichkeiten diskriminiert werden, die nicht der Norm entsprechen. Da finde ich es wichtig, zu sehen, dass es Frauen mit unterschiedlichen Körpern gibt. Und man muss nichtbinäre trans*Personen und inter*Menschen mitdenken. Ich wünsche mir, dass trans*Weiblichkeiten als selbstverständlicher Teil des Feminismus akzeptiert werden.

Damit eine freie Gesellschaft entsteht und vor rechten Einflüssen geschützt bleibt, müssen wir miteinander reden und uns gegenseitig zuhören. Wir müssen es wagen, Diskriminierungen anzusprechen, diese in Solidarität miteinander kritisieren, voneinander lernen und uns die eigenen Privilegien bewusst machen. Lasst uns Schönes kreieren, über Träume sprechen und einander gut tun!

FaulenzA ist Musikerin und Autorin aus Berlin. Sie ist Singer-Songwriterin, macht aber auch HipHop (Protokoll: Marlene Halser)

„Wir dürfen Hartz IV nicht Martin Schulz überlassen“

Für mich war es schon hart, auf dem Gymnasium zu bestehen. Nicht wegen der Noten, sondern wegen des Mobbings. Das begann, als meine Mitschüler*innen mitbekommen hatten, dass ich „Hartz-IV-Eltern“ habe. Deshalb habe ich dann auch die Schule gewechselt.

Bisher habe ich mir nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, wie meine Herkunft meinen Feminismus beeinflusst. Ich merke aber an vielen Stellen, dass sie eine Rolle spielt. An vielen Diskussionen habe ich anders teil. Wenn andere über gläserne Decken und Aufstiegschancen diskutieren, frage ich mich erst mal: Wie kommt man da überhaupt hin?

Dieses Gefühl des Andersseins gab es auch im Studium. Dieses fehlende Wissen meinerseits über bestimmte Normen und Codes an der Uni. Ich habe nicht dieses Elternhaus, wo immer ein Kinderzimmer auf mich wartet – weil meine Eltern ihren Wohnraum ihrer staatlichen Unterstützung anpassen müssen.

Mir fehlt ein gewisser Habitus. Das hat Einfluss auf mein Verhalten und mein Selbstbewusstsein und führt oft zu einer gewissen social awkwardness: Wie verhalte ich mich auf öffentlichen Veranstaltungen? Diese Perspektive wird auch im Feminismus vernachlässigt. Da wird eher diskutiert: Ist es feministisch, eine Haushaltshilfe zu haben? Meine Mutter ist Haushaltshilfe, kommt aber in solchen Diskursen gar nicht vor.

Die ganze Arbeiterkindbewegung läuft parallel zur feministischen. Da findet zu wenig Zusammenschluss statt. Wo sind die Hartz- IV-Empfänger*innen in unseren feministischen Bündnissen? Wir kreieren Ausschlüsse. Auch die linke Szene hat Codes, wie man angezogen sein sollte, was wir als Wissen von anderen erwarten. Ich nehme mich da nicht aus.

Ein erster Schritt wäre, sich anzuschauen, wie wir über den Rechtsruck und Antifeminismus diskutieren. Viele stellen Rechte als „dumme Assis“ dar. Das schließt viele Leute, die Jeans von Aldi tragen oder keine hohe Bildung haben, aus politischen Bewegungen aus. Wir müssen offener für bestimmte Themen werden und dürfen Hartz IV nicht Martin Schulz überlassen.

Jasna Strick, 27, ist Online-Redakteurin, Autorin und Aktivistin (Protokoll: Katrin Gottschalk)

In der DDR gab es die Gleichstellung – zumindest formal

Ich engagiere mich seit vielen Jahren im sozialen und gesellschaftlichen Bereich. Seit inzwischen zehn Jahren bin ich in der SPD aktiv, seit etwas mehr als zwei Jahren vertrete ich die SPD im Thüringer Landtag. Dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts ungleich behandelt oder diskriminiert werden, bewegt mich aber schon wesentlich länger.

Ich bin im Osten aufgewachsen, wo es die Gleichberechtigung der Geschlechter zu DDR-Zeiten formal schon gab. Meine Mutter war ihr Leben lang Vollzeit berufstätig. Und nicht nur sie – das trifft auch auf die Mütter meiner Freundinnen und Freunde zu. Das war normal und immer ein wichtiges Indiz für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Dennoch haben in der Regel die Frauen die Haus- und Betreuungsarbeit übernommen. Und zwar zusätzlich zu ihrem Fast-9-Stunden-Tag.

Ich bin in einer Gesellschaft groß geworden, die einerseits der Gleichberechtigung von Geschlechtern eine besondere Rolle zuschrieb. Auf der anderen Seite unterstellte sie Frauen und Männern aber unterschiedliche Talente. Das hat mich sehr geprägt – als Mensch und als Feministin.

Daran etwas zu ändern ist der Motor für meine politische Arbeit. Ich möchte in einer Welt leben, in der es keine Rolle mehr spielt, woher ich komme, welche Voraussetzungen ich mitbringe oder ob ich als Frau oder als Mann geboren bin. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die sich darum bemüht, ungleiche Voraussetzungen auszugleichen und gleiche Chancen für alle zu schaffen.

Wir erleben gerade eine Zeit, in der es darum geht, unsere Grundwerte zu verteidigen. Die AfD versucht Konkurrenz und Neid zwischen unterschiedlichen Gruppen zu schüren. Wir müssen zeigen, dass für uns Gleichberechtigung nicht nur eine Floskel ist. Die AfD sagt, dass sie die Werte der christlich-abendländischen Welt verteidigen will, und stellt sie dabei wie kaum ein anderer infrage. Weil sie Nächstenliebe und Solidarität infrage stellt – für alle, die nicht ihrem Weltbild entsprechend leben.

Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Menschen damit nicht die Mehrheit unserer Gesellschaft repräsentieren.

Diana Lehmann, 33, ist Politikerin in Thüringen (Protokoll: Katrin Gottschalk)

Danke, AfD!

Manchmal habe ich das Gefühl, viele Biodeutsche glauben, dass in Deutschland alles ziemlich tutti war, bevor sich die AfD, Pegida und andere Rechte aufs politische Parkett wagte. Als wäre Deutschland vorher eine hippe Berliner Party gewesen, wo Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie an der Eingangstür eines Technoklubs mit den Worten „Heute leider nicht!“ abgewiesen wurden.

Aber so war es nicht. All die rechten Spinner*innen hatten noch nie Bock darauf, dass ich mich, der ich hier geboren bin, als Deutscher definiere. Wenn ich erzählt habe, dass ich aus Recklinghausen komme, wurde ich augenzwinkernd gefragt, wo ich denn nun wirklich herkomme. ­People of Color und gleichzeitig deutsch zu sein, ist nicht nur für die AfD eine Irritation, sondern ist es ebenso für viele der Mehrheitsgesellschaft. Nur hat mit das keiner geglaubt, wenn ich das erzählt habe. Kann nicht sein, Deutschland ist doch ein aufgeklärtes Land, musste ich mir dann anhören.

Es ist krass und beängstigend, dass rechte Populist*innen immer lauter werden. Für mich aber hat die ganze AfD-Nummer auch etwas Gutes: Endlich kann niemand mehr negieren, dass ich in Deutschland Rassismus und Homophobie erlebe. Ich bin jetzt scheinbar nicht mehr paranoid und rede mir das alles nicht nur ein. AfD sei Dank!

Tarik Tesfu, 31, hat auf Youtube die Videokolumne „Genderkrise“

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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