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„Heillose Selbstwidersprüche“

STRAFRECHT Ein in der Fachwelt umstrittenes neues Gesetz verbietet die geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe. Der Hamburger Strafrechtsprofessor Reinhard Merkel hält es sogar für verfassungswidrig

Interview Johann Laux

taz: Herr Merkel, §217 Strafgesetzbuch (StGB) stellt neuerdings die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Strafrechtler wie Sie protestieren. Warum?

Reinhard Merkel: Der neue §217 StGB ist in jeder Hinsicht ein Unglück. Er verletzt den Schuldgrundsatz, weil er der Strafdrohung eine erfundene abstrakte Gefahr unterlegt, die es nicht gibt. Er ist aber auch medizin­ethisch falsch, weil er Ärzten verbietet, gerade in ihrer Funktion als Ärzte Hilfe zum Suizid zu leisten. Wenn sich aber Menschen, die sterben wollen, mit ihrem Todeswunsch nicht mehr an Ärzte wenden können, dann vergibt man eine große Chance zur Prävention. Gerade von Ärzten könnten unnötige Suizide am besten verhindert werden. Der Gesetzgeber schickt die Verzweifelten sozusagen weiter vor die U-Bahnen.

Hat der Gesetzgeber nicht versucht, Leben zu schützen und Suizide zu verhindern?

Das Strafrecht ist das falsche Mittel. Die Hilfe zum freien Suizid einer eigenverantwortlichen, selbstbestimmt handelnden Person, ist im Rechtssinne kein Unrecht. Der Suizid selbst ist nicht strafbar, weil es im liberalen Rechtsstaat keine Pflicht zum Leben geben kann. Dann kann die Hilfe zum Suizid auch nicht strafbar sein. Also bedarf der Unrechtsvorwurf gegen die Suizidhilfe eines anderen Legitimationsgrunds.

Die „geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen“ ist kein Grund?

Die Beteiligung an unfreien Suiziden ist seit eh und je strafbedroht. Das sind Fälle, in denen etwa schwere Zwangslagen ausgenutzt, Kinder oder Geisteskranke angeleitet werden. Der neue §217 StGB zielt dagegen auf die angebliche abstrakte Gefahr, dass ausgerechnet die „Geschäftsmäßigkeit“ der Hilfe unfreie Selbsttötungen fördern könnte. Staaten mit liberalen Suizidhilfegesetzen wie die Schweiz, Belgien oder die Niederlande beweisen das Gegenteil: Nichts deutet dort auf einen Anstieg unfreier Suizide hin. Das neue Gesetz erfasst dagegen Ärzte, die gerade besonders geeignet wären, die Autonomie ihrer Patienten zu beurteilen und diese, wenn irgend möglich, vor Gewaltakten gegen den eigenen Körper zu bewahren.

Das müssen Sie erklären.

„Geschäftsmäßig“ heißt, dass man die Hilfe zum Suizid in geordneter, organisierter Form leistet, etwa indem man einen Aktenordner anlegt. Ärzte haben natürlich eine solche Pflicht zur Dokumentation. Auf die Absicht, Geld zu verdienen, kommt es nicht an. Man muss sich nur vorstellen, die Hilfe unter den gleichen Umständen gegebenenfalls wieder zu leisten. Ein Arzt, der sich aus ethischen Gründen für die Unterstützung eines gut begreiflichen Suizids entscheidet, würde natürlich in ähnlichen Fällen wieder so entscheiden. Im Sinne des Gesetzes stellt er nun ein erhöhtes Risiko dar; ausgerechnet er soll jetzt die Unfreiheit seiner Patienten nicht mehr recht beurteilen können. Keinerlei solches Risiko sollen dagegen Angehörige und Nahestehende bieten: Ein 80-jähriger Ehemann, der als medizinischer Laie seiner schwerstkranken 75-jährigen Ehefrau Sterbehilfe leistet, ist nicht strafbedroht. Ihm traut der Gesetzgeber offenbar eher als dem Arzt zu, die Freiverantwortlichkeit zu beurteilen. Das Gesetz verheddert sich in heillose Selbstwidersprüche.

Hätte das der Bundestag nicht erkennen können?

Der Gesetzgeber hat die geballte Expertise der zuständigen Fachwissenschaft ignoriert. Von allen 160 Strafrechtsprofessorinnen und –professoren, die es in Deutschland gibt, haben 140 in einer Stellungnahme gegen die Ausweitung des Strafrechts auf die Suizidhilfe protestiert. Unter ihnen sind Katholiken genauso wie Atheisten, Sozialdemokraten wie Christdemokraten. Man hat es sich einfach gemacht und unter den Gesetzesvorschlägen den vermeintlichen Mittelweg gewählt: Weder totales Verbot, noch völlige Erlaubnis. Es ist aber nicht der Weg der Mitte, sondern ein Irrweg. Ich denke, hier hatten die Kirchen zu großen Einfluss.

Kann man das Gesetz als moralisches Urteil über Suizid lesen?

Reinhard Merkel

ist seit 2012 Mitglied im „Deutschen Ethikrat“ und seit 2000 Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Hamburg. 1988 bis 1990 war er Redakteur der Zeit, 1968 nahm er als Schwimmer an den Olympischen Spielen teil.

Ja, es ist zuletzt ein religiös-moralisches Verdikt und hat daher im Strafrecht nichts verloren. Reine Moralvorstellungen gehen das Strafrecht nichts an. Es ist auch Unsinn zu glauben, es gebe kein Leben, das für den, der es leben muss, unerträglich und nicht mehr wünschenswert ist. Lesen Sie das Online-Tagebuch des todkranken Wolfgang Herrndorf: Es wäre frecher Zynismus zu sagen, sein Wunsch, zu sterben, habe bloß am Mangel fürsorglicher Zuwendung gelegen. Herrndorf hatte für seinen Suizid eine Pistole. Was ist mit denen, die so ein Mittel nicht haben – oder nicht das Geld, in die Schweiz zu reisen?

Gehen den Betroffenen die Adressen aus?

Seriösen Vereinen wie der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben oder Dignitas ist mit dem neuen Gesetz die Suizidhilfe verboten. Sie dürfen auch nicht mehr auf Möglichkeiten im Ausland, etwa in der Schweiz, hinweisen oder gar dorthin vermitteln – obwohl die Hilfeleistung dort erlaubt ist. Man hat sich aus populistischen Gründen leider das falsche Ziel ausgesucht, nämlich den Verein von Roger Kusch, der gewiss kein Sympathieträger ist.

Wird das Gesetz bleiben?

Das Gesetz ist verfassungswidrig; es verstößt mit seinen erfundenen abstrakten Gefahren gegen den Schuldgrundsatz. Irgendwann wird es vor das Bundesverfassungsgericht kommen. Ich befürchte freilich, dass sich die Richterinnen und Richter dort aus der heiklen Materie heraus halten werden und das Gesetz passieren lassen.

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