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Der Preis der Unberechenbarkeit

Russische Außenpolitik Auf der Krim verschlechtert sich die Versorgungslage, in der Ukraine will „Neurussland“ nicht recht erblühen, der Einsatz in Syrien wird teuer, mit der Türkei gibt es viel Ärger

Lehren der Geschichte? Putin mit hohen orthodoxen Geistlichen in einer Ausstellung über die „großen Unruhen bis zu den großen Siegen“ Russlands Foto: A.Nikolsky/Ria Novosti/Kremlin/reuters

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Wladimir Putin legte den Schalter um – und es ward Licht. Es war ein Überraschungsbesuch, den Russlands Präsident vergangene Woche auf der Krim absolvierte. Er weihte eine Stromleitung ein, nachdem die Halbinsel fast zwei Wochen von der Energieversorgung abgeschnitten war. Ein Anschlag auf der ukrainischen Seite hatte die Verbindung gekappt. Staatliche TV-Sender würdigten das Ereignis ausführlich. Verschwiegen wurde allerdings, dass die neue Leitung nur einen Bruchteil des Bedarfs deckt.

Auf der Krim

Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 verunsichert Russland das Ausland weiter mit Tricks und Volten. Unberechenbarkeit birgt den Vorteil, dem Gegner stets um eine Länge voraus zu sein. Von der Krim über die Ostukraine bis nach Syrien zahlte sich das Überraschungsmoment aus, doch hapert es bei der Nachhaltigkeit.

21 Monate nach Einverleibung der Krim sind elementare Dinge noch immer nicht geklärt. Neben der Strom- hängt auch die Wasserversorgung an der Ukraine. Die Brückenverbindung zum russischen Festland soll erst 2018 stehen. Die Versorgungslage verschlechtert sich, und die Preise erreichen Moskauer Niveau. Von der Sonneninsel spricht im offiziellen Moskau kaum jemand mehr. Auch aus den Nachrichtensendungen ist sie fast verschwunden. Niemand wagt, es auszusprechen: Für den Aufbau fehlt das Geld. Dennoch halten die Bewohner der Krim zu Russland und Putin.

Trauriger Donbass

In der ostukrainischen Donbassregion sieht es noch trauriger aus. 9.000 Tote kostete die russische Intervention bisher. Was das Kernland „Neurusslands“ werden sollte, verwandelte sich in Ruinenlandschaften und rechtsfreie Räume. Der Kreml hält trotzdem an der Grenzregion fest, um die Ukraine jederzeit in Turbulenzen stürzen zu können. In der Südukraine erwartete der Kreml Zuspruch, der aber ausblieb: eine folgenreiche Fehleinschätzung, die die Nachbarn auf Jahrzehnte voneinander entfremden dürfte. Statt Einfluss zu erweitern, drängte Moskau das „Brudervolk“ gen Westen.

Als sich die Möglichkeit bot, im Syrienkonflikt eine tragende Rolle zu übernehmen, vollzog der Kreml einen radikalen Schwenk. Die Ukraine verschwand von der Tagesordnung. Mit der Verlegung von Luftwaffeneinheiten führte Putin im September den Westen ein weiteres Mal vor. Mehrere Fliegen wollte der Kreml mit einer Klappe schlagen: Der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sollte von der Ukraine ablenken und mithelfen, westliche Sanktionen abzubauen. Nicht zuletzt auch die Rückkehr des Präsidenten an den Tisch der Großen einleiten. Gleichzeitig galt es, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Sattel zu halten und Russland als Macht im Nahen Osten zu verankern.

Die geplante Blitzoffensive schlug fehl: Die Anti-Terror-Koalition mit dem Westen kam nicht zustande. Assads Bodentruppen konnten trotz Moskaus Luftunterstützung keine nennenswerten Landgewinne verzeichnen. Die Londoner Militärzeitschrift Jane’s Defence Weekly veranschlagt die Rückeroberungen der syrischen Regierungstruppen auf lediglich 0,4 Prozent des verlorenen Territoriums. Nun kündigte am Wochenende auch Kampfgenosse Iran den Abzug von Bodentruppen nach schweren Verlusten an. Überdies scheint auch das Verhältnis zu Teheran nicht spannungsfrei zu sein.

Länger in Syrien

Inzwischen richtet sich auch Moskau auf einen längeren Waffengang ein. Russische Experten gehen von mindestens einem Jahr aus. Ob Putin Wort hält und keine russischen Militärs in die Schlacht schickt? Statt der ursprünglich 2.000 Soldaten sind ohnehin bereits 5.000 vor Ort, wie das US-Portal Defense News vergangene Woche berichtete. Darunter Hunderte Militärberater in den Reihen der syrischen Armee. Putin habe erst jetzt begriffen, dass die Schlacht aus der Luft mit syrischen Bodentruppen nicht zu gewinnen sei, meinen russische Beobachter.

Einen Sieg kann Putin jedoch ­verzeichnen: ­Washington schneidet ihn nicht mehr

Die Luftangriffe seit September hätten das Kräfteverhältnis nicht entscheidend verändert. Russland erhöhte daher auch die täglichen Ausgaben für den Einsatz von 4 auf 8 Millionen Dollar. Einen Sieg kann Putin jedoch verzeichnen: Washington schneidet ihn nicht mehr. Das dürfte für den Kremlchef vieles aufwiegen. Unter dem Strich hat sich der Kreml jedoch verzettelt.

Völliges Unverständnis ruft unterdessen der Konflikt mit der Türkei hervor. Ankara schoss einen russischen Jet ab, der türkischen Luftraum verletzt hatte. Dutzende Warnungen waren dem vorausgegangen. Inzwischen machen die Behörden selbst vor Razzien gegen türkische Studenten nicht mehr halt.

Konflikt mit der Türkei

Eigentlich hatte Russland anvisiert, mit der Türkei eine gemeinsame Flanke im Osten der EU zu bilden. Stattdessen sagte Moskau das Pipelineprojekt „Turkish Stream“ ab und stoppte auch den Bau des Atomkraftwerkes in Akkuyu. Charterflüge in die Türkei sind nunmehr untersagt. Den Bürgern wird nahegelegt, türkische Strände zu ­meiden. Das sind nur einige eines riesigen Bündels von antitürkischen Maßnahmen, die Russland am Ende härter treffen dürften als den Adressaten. Die türkische Wirtschaft sei diversifizierter als die russische, meint der Wirtschaftsexperte und Exvizechef der russischen Zentralbank Sergei Alexaschenko.

Im Inneren Russlands regiert eine Elite, die durch den Schlitz einer Schießscharte auf die Welt schaut. Die selbstzerstörerischen Folgen erkennt sie nicht. Vielleicht sind sie ihr auch egal.

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