piwik no script img

„Jeder Fund ein Lottogewinn“

Vor dem Verfassungsgericht mußte der BND erklären, warum seine Abhörpraxis unverzichtbar sein soll, auch wenn sie nur unzulängliche Ergebnisse bringt  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Der Bundesnachrichtendienst (BND) muß sich vor Rot-Grün nicht fürchten. Die neue Bundesregierung verteidigte gestern vor dem Bundesverfassungsgericht nachdrücklich die erweiterten Befugnisse des deutschen Auslands- Geheimdienstes. Seit 1994 darf der BND den internationalen Fernmeldeverkehr auch im Hinblick auf Straftaten mit Auslandsbezug abhören. Hiergegen hatten unter anderem die taz und der Hamburger Strafrechtsprofessor Michael Köhler Verfassungsbeschwerde erhoben.

„Das Verbrechensbekämpfungsgesetz hat sich bewährt“, erklärte Innenstaatssekretär Claus- Henning Schapper (SPD) gestern in Karlsruhe. Er lobte vor allem die Möglichkeit, den Nachrichtendienst gezielt nach internationalen Waffenhändlern suchen zu lassen. Vorfälle wie um die libysche Giftgasfabrik in Rabta könnten so künftig vermieden werden. „Für diese Fabrik haben deutsche Firmen wesentliche Teile zugeliefert. Doch der BND mußte von Geheimdiensten des befreundeten Auslands informiert werden“, klagte Schapper. Es müsse der Eindruck vermieden werden, daß deutsche Behörden bewußt wegschauten, wenn es um lukrative, aber verbrecherische Geschäfte deutscher Firmen gehe.

Strafrechtler Köhler hielt dem entgegen, daß die Rasterfahndung im Äther vor allem „unbescholtene und unverdächtige Bürger treffe“. Er sah die Gefahr, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen werde. „Heute geht es nur gegen Waffen- und Drogenhändler, Terroristen und Geldfälscher. Doch solche Kataloge werden, wie wir wissen, schnell ausgeweitet“, mahnte Köhler.

Taz-Anwalt Johannes Eisenberg wies ergänzend auf mögliche Folgen für die Pressefreiheit hin: „In bestimmten Bereichen ist eine Recherche mit Auslandsbezug praktisch gar nicht mehr möglich.“ Informanten würden nicht mehr mit der Presse telefonieren, wenn sie wissen, daß schon das Benutzen bestimmter Wörter zum Abhören des Gesprächs führen kann.

Wenn aber die Angaben des BND stimmen (und wer wird schon einen Geheimdienst der Lüge verdächtigen), dann halten sich die Grundrechtseingriffe in engen Grenzen. Der neue BND- Präsident August Hanning machte folgende Rechnung auf: Täglich kommt es zu acht Millionen Telekommunikations-Kontakten von und nach Deutschland. Davon werden aber 90 Prozent via Kupfer- oder Glasfaserkabel abgewickelt und sind damit dem BND- „Staubsauger im Äther“ entzogen. Von den verbleibenden 800.000 Verbindungen erfaßt der BND nach dem Zufallsprinzip täglich 700. Und nur in 20 Fällen springen die Suchmaschinen des BND tatsächlich an. „Die Wahrscheinlichkeit, daß sich der BND mit einem bestimmten Telefonat oder Fax näher beschäftigt, liegt etwa bei eins zu dreihunderttausend“, folgerte Hanning.

Und noch ein weiteres „Mißverständnis“ versuchte der BND-Präsident gestern auszuräumen. „Eine Spracherkennung bei Telefonaten ist wohl erst in einigen Jahren möglich.“ Bei Telefongesprächen könne bisher allein nach den beteiligten Telefonnummern gefiltert werden. Nur bei Telex- und (mit Einschränkungen) bei Fax-Verbindungen sei überhaupt die Suche nach konkreten Worten möglich.

„So gesehen mag der Eingriff ja recht gering sein“, fragte nach dieser Schilderung Verfassungsrichter Dieter Grimm verwundert, „aber ist dann nicht auch der Ertrag recht niedrig?“ Doch so wollten die BNDler ihre Ausführungen nicht verstanden wissen „Wenn wir etwas finden, ist das zwar wie ein Lottogewinn, aber dann wissen wir“, so ein hoher BND-Beamter, „daß es schon tausend ähnliche Faxe gegeben hat.“

Künftig dürfte sich einerseits die Spracherkennung verbessern. „Da wird viel mehr genuschelt, als wenn man ein Diktiergerät bespricht“, so Alex Waibel, Experte für Spracherkennung. Andererseits können Nachrichten immer wirksamer verschlüsselt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen