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Das wäre doch gelacht

Die Grünen nehmen das Wort Krise nicht einmal in den Mund. Sie reden – ganz wie Schröder – lieber von Chancen

von JENS KÖNIG und SEVERIN WEILAND

Dieses Lachen hat etwas Irritierendes. Die Regierung hat gerade Minister Nummer sechs und sieben verloren, und das in nur zwei Jahren, eine stolze Bilanz also, auf die nicht einmal Helmut Kohl in seinen besten Zeiten verweisen konnte. Aber diejenigen, von denen man meint, sie hätten damit irgendetwas zu tun, lachen. Pausenlos. Betont. Fast schon entspannt. Schröder lacht. Künast lacht. Kuhn lacht. Es ist, als würden die Mieter ihr Haus, das gerade lichterloh in Flammen steht, fluchtartig verlassen und beim Begutachten des Feuers in helle Freude ausbrechen, nur weil die Feuerwehr mit ihren Löscharbeiten ganz ordentlich vorankommt.

Krise? Welche Krise? In Berlin ist davon nichts zu sehen. Ach so, die BSE-Krise, ja, die gibt es. Sie ist die einzige Krise, die der Bundeskanzler auf seiner Pressekonferenz einräumt. Aber sie dient ihm nicht etwa als Grund für einen Aufschrei, weil jeden Tag neue Horrormeldungen verkündet werden müssen. Nein, die BSE-Krise sieht Schröder vor allem als Chance: für den besseren Schutz der Verbraucher, für eine Umsteuerung in der Landwirtschaft, und nicht zuletzt für sich selbst. Schröder pflegt an diesem Tag wieder einmal sein Image des instinktsicheren Kanzlers. Er scheint nicht zu merken, dass diese Masche heute weniger verfängt denn je. Einen Journalisten, der Schröder vorhält, er fühle sich an das Lied von den zehn kleinen Negerlein erinnert, kann der Kanzler noch freundlich auflaufen lassen. Er habe nicht die Absicht, bescheinigt Schröder den Fragesteller, sich in dessen Kindheitserinnerungen einzumischen.

Aber alle anderen Antworten auf die Fragen nach seinem Krisenmanagement sind weder zum Lachen noch überzeugend. Schröders Fehler liegt auf der Hand: Er hat die Gefahr beim Thema BSE zwar frühzeitig erkannt, früher als andere sogar, aber er hat aus seiner Einsicht, Deutschland müsse weg von den Agrarfabriken, weder politische noch personelle Konsequenzen gezogen. „Weil er vom Thema zu wenig versteht“, sagen die einen. „Weil er auch dann noch an seinen Ministern festhält, wenn sie schon nicht mehr zu retten sind“, sagen andere.

Der Bundeskanzler lässt weder das eine noch das andere gelten. Zum richtigen Zeitpunkt seien aus der BSE-Krise die richtigen konzeptionellen Konsequenzen gezogen worden, sagt er auf der Pressekonferenz. Die personellen Konsequenzen hätte es eben erst jetzt gegeben. Schröder versucht sogar den Eindruck zu vermitteln, die Gesundheitsministerin und der Landwirtschaftsminister seien gar nicht aus freien Stücken zurückgetreten. „Sie können davon ausgehen, dass ich am Zustandekommen des Ergebnisses nicht ganz unbeteiligt war“, so Schröder.

Mal ganz davon abgesehen, dass viele glaubhaft versichern, Andrea Fischers Rücktritt sei ihre ganz private Entscheidung gewesen, und erst sie hätte auch das Schicksal des Landwirtschaftsministers besiegelt. Mit seinen dunklen Andeutungen überzeugt Schröder nicht einmal mehr seine eigenen Leute davon, dass er einen besonderen Riecher für politische Gefahren hat. „Der Mythos Schröder verblasst“, sagt ein Mitglied der SPD-Fraktionsspitze, und verweist ausgerechnet auf den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber als Beispiel für ein gelungenes BSE-Krisenmanagement: „Der geht zu den Bauern, sammelt um sich herum politischen Sachverstand und stellt sich der Presse. Herr Schröder aber fährt in Moskau Schlitten mit Putin.“ Ein anderer führender Sozialdemokrat fühlt sich an den Beginn der rot-grünen Regierung erinnert: „Nach dem ersten schlechten und dem zweiten guten sind wir jetzt im dritten schlechten Jahr angekommen.“

Immerhin, die über Nacht getroffenen Personalentscheidungen werden dem Kanzler zugute gehalten. Denn einen tagelangen öffentlichen Streit um Namen und Zuschnitte von Ministerien wollte auch in der SPD-Fraktion niemand. „Ein paar Reflexe stimmen noch“, sagt einer. Aber insbesondere die Entscheidung, Renate Künast zur neuen Agrarministerin zu machen, stößt in der SPD auf Kopfschütteln. „Sie hat viele Fähigkeiten“, sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion, „aber bestimmt nicht auf dem Gebiet der Landwirtschaft.“

Das sehen die Grünen im Prinzip nicht anders, aber ihre Situation verlangt es, ihre Parteichefin Renate Künast als die beste aller personellen Möglichkeiten zu preisen. Und dabei lachen sie mit Schröder um die Wette. Künast als ausgewiesene Innen- und Rechtspolitikerin plötzlich Agrarministerin – das ist in etwa so, als würde man Herta Däubler-Gmelin zur Außenministerin machen. Die Grünen sehen darin kein Problem. „Renate Künast ist sehr qualifiziert, immer präsent und fähig, sich in jedes Thema einzuarbeiten“, fasst der Parteivorsitzende Fritz Kuhn die agarpolitischen Fähigkeiten der neuen Ministerin zusammen. Mit elf Stimmen bei drei Enthaltungen habe der grüne Parteirat diese Entscheidung gebilligt. Und um Spekulationen zuvorzukommen, verrät Renate Künast, dass keine der Enthaltungen von der nordrhein-westfälischen Umweltministerin Bärbel Höhn gekommen sei, die am gestrigen Tag noch überall als Nachfolgerin von Andrea Fischer gehandelt worden war.

Trotzdem halten einige bei den Grünen die krisenerfahrene Höhn immer noch für die bessere Wahl. Die Parteilinken um Jürgen Trittin sollen Höhn auch für das Amt vorgeschlagen haben. Und Höhn hätte wohl auch gewollt. Aber insbeondere von Außenminister Joschka Fischer soll es Widerstand gegen die Umweltministerin gegeben haben. Er habe ihr bis heute nicht verziehen, heißt es, dass sie 1999 auf dem Parteitag in Bielefeld die innerparteilichen Gegner des Kosovo-Krieges angeführt habe.

Darüber will die grüne Parteispitze an diesem Mittwoch nicht reden. Sie ist mit dem Kanzler ganz auf einer Linie. Ihr kommt das Wort Krise nicht über die Lippen. Sie redet, wie Schröder, lieber von Chancen. Verbraucherschutz sei ein urgrünes Thema, mit dem die Partei in den nächsten zwei Jahren bis zur Bundestagswahl punkten könne, sagt Kuhn. Das ist den Grünen so wichtig, dass sie dafür sogar auf einen Teil ihres so hoch gelobten Führungsduos verzichtet. Im März auf der nächsten Bundesdelegiertenversammlung soll eine neue Parteivorsitzende gewählt werden. Und ansonsten? Ansonsten könne man Renate Künast für ihren neuen, schwierigen Job nur viel Glück wünschen, sagt einer aus der Parteiführung. Sie wird es brauchen.

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