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Vierzig Millionen Verdächtige

Unionspolitiker fordern eine Gendatei aller Männer. Was nach Prävention gegen Sexualverbrechen aussieht, wäre der Abschied vom Rechtsstaat

von PASCAL BEUCKER

Wird George Orwells dunkle Vision vom „Großen Bruder“, der alles sieht und weiß, 17 Jahre nach 1984 Wirklichkeit? Wenn es nach den Vorstellungen von Unionspolitikern geht, könnte genau das die Konsequenz aus dem Mord an der 12-jährigen Ulrike B. aus Eberswalde sein. Sie fordern eine weitgehende Ausdehnung der Gendatei des Bundeskriminalamts (BKA) als präventive Maßnahme gegen Sexualverbrechen. Auch wenn es dabei zu „Unannehmlichkeiten für die große Masse der Unverdächtigen“ komme, so der CDU-Abgeordnete Siegfried Helias.

Nach geltendem Recht dürfen bisher nur Straftaten von „erheblichem Gewicht“ wie beispielsweise Mord, Raub und Vergewaltigung in der Gendatei des BKA gespeichert werden. Speichelspuren oder Hautschuppen, Spermaspuren oder ein Haar reichen aus, um einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Nach Angaben eines BKA-Experten vom Februar sind mittlerweile rund 90.000 DNA-Muster in die Datenbank gestellt worden. In rund 900 Fällen soll die Datei auf die Spur des Täters geführt haben. Ob im Fall Ulrike B. ein Massen-Gentest durchgeführt wird, steht nicht fest. Das Problem: In der Gegend zwischen Eberswalde, Bernau und Werneuchen wohnen rund 100.000 Menschen – und Berlin ist nur rund 15 Kilometer von der Bernauer Ortsgrenze entfernt. Der Täter könnte also durchaus auch aus der Großstadt stammen oder sich dort aufhalten.

CDU/CSU-Rechtspolitiker fordern nun, die BKA-Gendatei drastisch auszuweiten. Nach Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der CSU im Bundestag, Norbert Geis, sollten Gentests „durchgehend für alle Männer“ verbindlich gemacht werden.

Im rot-grünen Regierungslager treffen solche Vorstellungen auf Unverständnis. Die Koalition sei sich einig, dass sie „die populistischen Fantasien der Union nicht in die Tat umsetzen“ werde, so Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher der Grünen. Als „völlig abwegig und ärgerlich“ bezeichnete Dieter Wiefelspütz die konservativen Überlegungen. Hier werde mit absurden Forderungen das Leid der Angehörigen der ermordeten Ulrike B. ausgeschlachtet. „Das ist alles nicht solide und nicht seriös“, sagte Wiefelspütz zur taz.

Widerspruch ebenfalls von PDS und FDP: „Mit solchen Forderungen verabschieden sich CDU/CSU-Politiker radikal von grundlegenden Rechtsstaatsprinzipien“, kommentierte die stellvertretende PDS-Fraktionschefin Petra Pau. Für die FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger handelt es sich hierbei um „unreflektierte Vorschläge, die rechtsstaatlich nicht verantwortbar sind“. Die frühere Bundesjustizministerin sagt gegenüber der taz, sie halte zwar die Frage, ob die bisher geltenden Regelungen ausreichend sind, für durchaus legitim, plädiere aber für eine „sehr sorgfältige und vorsichtige Diskussion, die in aller Ruhe geführt werden muss“.

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