: „Wir leiden an den Altlasten“
Interview BERNHARD PÖTTERund MATTHIAS URBACH
taz: Frau Künast, wissen Sie, was das beliebteste deutsche Kantinenessen ist?
Renate Künast: Nein. Weiß ich nicht.
Currywurst mit Pommes frites.
Oje.
Was sagt uns das über den Verbraucher?
Dass er sich falsch ernährt. Currywurst mit Pommes muss mal sein. Aber nicht überwiegend . . . na ja – eine Hoffnung der Ernährungsministerin.
Wird dieser Verbraucher Ihre Agrarwende unterstützen?
Der Verbraucher ist ein äußerst widersprüchliches Wesen: Einerseits sind achtzig Prozent gegen Käfighaltung der Hühner. Andererseits greifen nur zwanzig Prozent zu den „glücklichen“, aber teureren Eiern. Der Verbraucher möchte sparen, er will sich andererseits auch gesund ernähren, will genießen. Und er sucht Lebensmittel mit einem Image. Vor allem bei Jugendlichen sind Essen und Trinken eine Imagefrage. Hier muss man ansetzen.
Das ist leicht gesagt. Wissen Sie denn, welche Marke auf Frauen die größte Faszination ausübt?
Vielleicht Aldi?
Genau.
Das wäre ja mein Traum: Die großen Einzelhandesketten dazu zu bringen, Lebensmittel mit Bio-Gütesiegel zu verkaufen.
Aber wie kriegt man die knausrige Verbraucherin dazu, nur noch Qualität zu kaufen?
Indem man am Image arbeitet. Natürlich gibt es die Leute, die Ökolandbau-Ware kaufen wollen – und dafür auch das Geld auszugeben bereit sind. Aber auch bei konventionellen Produkten muss man besondere Qualität erkennbar machen. Da gibt es ja so viele Siegel und Marken, denen am Ende ohnehin niemand traut. Für beide Kategorien entwickeln wir deshalb je ein Gütesiegel. Dass muss staatlich organisiert werden, damit das glaubwürdig ist.
Wann ist das Siegel fertig?
Wir sind in der Diskussion mit den Verbänden und hoffen, das bis Ende Sommer fertig zu bekommen.
Gibt es schon Kriterien?
Wir überlegen, ob wir uns beim Ökosiegel an das EU-Siegel anlehnen, weil es keinen Sinn macht, sich davon abzugrenzen – schließlich macht die EU massiv Werbung.
Das EU-Siegel ist hierzulande aber umstritten.
Firmen mit Tradition wie Demeter könnten ja noch ihr eigenes Image dazusetzen.
Und im konventionellen Bereich?
Dort wollen wir eine Art Premium-Lebensmittel schaffen – wie beim Bier. Natürlich müssen alle Produkte sicher sein. Aber einige sind eben etwas besser produziert, mit besserer Fütterung, Haltung oder Behandlung; die sollen das Siegel bekommen. Denkbar wäre auch, ein Gütesiegel nur dann zu vergeben, wenn der Produzent bereit ist, im Laufe der Jahre weitere Kriterien zu erfüllen. Ich würde das gerne mit den Fördertöpfen verknüpfen. Man kann schließlich die Landwirtschaft nicht von heute auf morgen umstellen. Die Kriterien sollen erreichbar sein – damit die Gruppe, die beim Siegel mitgeht, möglichst groß ist und noch größer wird.
Aber Siegel allein reichen nicht für mehr Ernährungsbewusstsein
Nein. Wir brauchen auch mehr Aufklärung. Drei Viertel unserer Lebensmittel sind bereits keine Urprodukte mehr, sondern bearbeitet. „Der 7. Sinn“ hat viele Jahre im Fernsehen über Gefahren im Straßenverkehr aufgeklärt. Es ist an der Zeit, mit guten Konzepten nun den Geschmackssinn zum Thema zu machen. Auch in der Schule sollte gesunde Ernährung gefördert werden. Je mehr die Kids wissen, desto eher können sie dem Akustikdesign einer sich öffnenden Chipstüte widerstehen.
Jedes Jahr sterben mehr als 7.000 Menschen im Straßenverkehr. Kein Verkehrsminister wird persönlich dafür haftbar gemacht. Aber Sie müssen für jedes Rind, das gekeult wird, den Kopf hinhalten.
Empfinden Sie das so?
Man denke nur an die Empörung über das so genannte Marktbereinigungsprogramm, also Aufkauf und Vernichtung ganzer Herden.
Die Zustimmung Deutschlands dazu ist ja vor meiner Zeit gefallen. Ich kam also frisch gekürt in den EU-Agrarrat – und wollte nicht mitmachen. Da gab es natürlich einen hohen Druck auf mich. Schließlich trug Deutschland auch Verantwortung für den Preiseinbruch, weil das deutsche Fleisch hier nicht verkauft werden konnte und billig in den Binnenmarkt ging. Andere Länder, andere Interessen.
Tierschützer hatten wenig Verständnis für die „Marktbereinigung“. Ist es Ihnen egal, ob ein Tier zum Verzehr oder zur Vernichtung getötet wird?
Nein, gewiss nicht. Ich habe das Problem doch überhaupt erst in die Öffentlichkeit gebracht, indem ich Tierschützer gebeten habe, mit mir darüber zu reden.
Sie machen aber trotzdem mit.
Ich habe versucht, einen Ausweg aus der rechtlichen Pflicht zu organisieren: Das zweite Schlachtprogramm ist nun – nach langen Abstimmungen mit der EU – so gestaltet, dass wir einen Teil des Fleisches an Nordkorea liefern dürfen. Das ist nicht leicht. Niemand weiß besser als taz-Leser, wie schädlich falsche Entwicklungspolitik sein kann, wenn sie regionale Märkte kaputtmacht.
Entwicklungsverbände haben deshalb das Programm prompt kritisiert.
Also haben wir auch das geprüft. Und da saß ich zwischen allen Stühlen: Wir mussten das World Food Programme bitten, mit einer Delegation aus Deutschland die Situation in Nordkorea zu klären. Fazit ist, dass Alte, Kranke und Kinder hungern. Nun werden wir wohl monatlich 6.000 Tonnen Fleisch nach Nordkorea liefern.
Sie argumentieren sehr rational. Aber wie gehen Sie damit um, dass man Ihnen diese agrarpolitischen Entscheidungen wie die Keulung persönlich übel nimmt?
Es belastet mich. Aber ich bin nicht der Typ, der sich dann in Emotionalität flüchtet. Ich denke, das kann doch so nicht sein, und suche rational nach einem Ausweg. Doch natürlich spüre ich die Belastung: Nachts falle ich in tiefen Schlaf, sobald ich nur mein Bett sehe – und morgens starte ich mit Wiederbelebungsversuchen.
Aber es ist doch eine schwierige Gratwanderung: Einerseits kochen die Gefühle gegen diese Politik hoch, andererseits brauchen Sie auch eine emotionale Ansprache, um Stimmung für die Agrarwende zu machen.
Ja. Aber die Emotionalität muss sich auch an die richtige Stelle richten. Gefährlich wird es, wenn sich die Emotionalität, weil es einfacher geht, einfach im Kampf gegen das Alte erschöpft. Wir brauchen Kämpfer für das Neue. Leute, die in die Läden gehen und fragen: „Ist dieses Ei von einer ‚glücklichen‘ Henne, ist dieses Rindfleisch BSE-getestet – und wurde das Tier artgerecht gehalten?“
Wollen Sie aus dem Einkauf eine Gerichtsverhandlung machen?
Da muss gefragt werden! Genauso, wie wir das damals mit Südafrika gemacht haben, als wir an die Marktstände gingen und sagten: „Was? Sie haben Weintrauben aus Südafrika? Ja wissen Sie denn nicht, wie die mit den Schwarzen umgehen?“ Warum fängt das hier nicht genauso an? Warum wird nicht nach regionalen Produkten gefragt? Darauf müssen wir uns konzentrieren. Natürlich kann ich es niemandem zum Vorwurf machen, wenn er lieber gegen die Aufkaufprogramme protestiert. Vielleicht hätte ich das auch so gemacht. Die Kritik ist ja berechtigt, und ich nehme sie ernst. Aber ich muss meine Kraft auch darauf richten, die Schlupflöcher in der Agrarmaschinerie zu finden – und das Ganze weiterzubewegen. Und das sind harte Auseinandersetzungen.
Die Minister sehen bei den Treffen eigentlich immer ganz friedlich aus.
Im Agrarrat geht es ja nun wirklich nicht immer um den schnellsten Weg zur Agrarwende. Manche wollen das Gegenteil: So hieß es etwa bei der Debatte um das zweite Rinderaufkaufprogramm: „Das reicht nicht, das muss noch auf andere Rassen ausgedehnt werden.“ Was meinen Sie, was wir da alles wegkämpfen mussten!
Maul- und Klauenseuche und BSE krempeln gerade unser idyllisches Bild von der Landwirtschaft um. Bietet das nicht auch eine historische Chance?
Auf alle Fälle. Es hat sich eine Tür aufgetan. Wenn man auf Rudolf Steiner zurückgeht, dann haben sich die Menschen seit den Zwanzigerjahren für einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur eingesetzt. Es war immer eine kleine radikale Minderheit. Doch die alte Agrarpolitik hat sich im Laufe der Jahre so verkrustet, dass Sie nicht in der Lage sind, da schnell etwas zu ändern. Wir leiden an den Altlasten der bisherigen Agrarpolitik, BSE und MKS: dem Verfüttern von Tiermehl an Pflanzenfresser und den enormen Tiertransporten – ohne Rücksicht auf die Tiere.
Ohne Krise kein Wandel.
Richtig. Aber um es mit Max Frisch zu sagen: In jeder Krise liegt eine Chance, wenn es nur gelingt, ihr den Beigeschmack der Katastrophe zu nehmen.
Droht denn eine Katastrophe?
Das ganze Ausmaß von BSE ist immer noch unklar. Noch wissen wir nicht, ob Menschen an der von BSE ausgelösten Creutzfeldt-Jakob-Variante auch in Deutschland erkranken. Und wenn ich abends im Fernsehen die vielen britischen MKS-Scheiterhaufen sehe, dann kann ich nur noch abschalten. Nun zeigt sich, dass die Massengräber gekeulter Tiere dort das Grundwasser gefährden: Das ist der pure Wahnsinn. Diese alte Agrarpolitik abarbeiten und gleichzeitig umsteuern zu einer neuen Politik – das ist eine Riesenaufgabe.
Und dann sitzen Sie auch noch zwischen allen Stühlen. Selbst Ihre Parteikollegin Bärbel Höhn macht aus Nordrhein-Westfalen Druck auf Sie.
Dieses Bundesministerium ist ja eine Schnittstelle. Alle nationalen Instrumente muss man mit 16 Bundesländern abstimmen. Der Großteil der Summen in der Agrarpolitik fließt aber auf europäischer Ebene. Da müssen Sie bei allen wichtigen Fragen einstimmig mit 15 Ländern handeln. Diese Politik funktioniert nicht so, dass man hingeht und sagt: „Guten Tag, ich habe die richtige Idee – nun folgen Sie mir bitte.“ Wenn ich eine neue Art der Haltung von Rindern vorschlage, dann zücken die EU-Minister erst mal ihre Taschenrechner. Man muss an allen Fronten Kompromisse machen – aber das schreckt mich nicht.
Eine besondere Situation ist es aber doch: Sie sind die erste Verbraucherschutzministerin, die erste Frau als Agrarministerin, und noch nie wurde jemand in diesem Amt so schnell populär wie Sie.
Oh ja – ein Grauen.
Wieso?
Wenn Sie auf dem Zehnmeterbrett stehen, ist das höher als auf dem Fünfmeterbrett.
Man erwartet einen Kopfsprung von Ihnen.
Und dabei darf ich die Badehose nicht verlieren.
Wie wollen Sie dieses Kunststück schaffen?
Man muss viele kleinere Sprünge machen.
Das wird sehr schwer zu vermitteln sein. Gerade die Erwartungen Ihrer Unterstützer, der Umweltbewegten und Tierschützer, sind sehr hoch.
Wenn ich mich mit Verbänden unterhalte, sagen die: „Klar, das wird ein langer Weg, aber wir glauben, dass Sie sich nicht kleinkriegen lassen.“ Das ist natürlich schon wieder diese gefährliche Mischung aus Verständnis und hoher Erwartung.
Sind Sie deshalb so sauer auf Frau Höhn, weil Sie noch Ihre Badehose festhalten und Frau Höhn derweil lustige Sprünge macht?
Ich muss zwischen 16 Bundesländern und 15 EU-Staaten vermitteln – Bärbel Höhn nicht.
Was haben Sie denn Frau Höhn bei Ihrem Friedenstermin gesagt?
Da gilt die Künast’sche Regel: Was ich mit Frau Höhn bespreche, besprechen nur Bärbel und ich miteinander.
Der Außenminister driftet in die Diplomatie ab, der Umweltminister ist angezählt. Nun müssen Sie ganz allein für das Profil der Grünen sorgen.
Ich weiß, dass manche das so diskutieren, und vieles fokussiert sich zur Zeit auf mich. Aber da muss auch das Image der Partei stimmen. Sonst steigen die Personen in den Beliebtheitsumfragen auf, ohne dass sie mit der Partei identifiziert werden.
Ist denn Verbraucherschutz das richtige Thema für eine grüne Offensive?
Ich glaube, es geht darum, zu zeigen, dass wir auf die Fragen, die auf uns zukommen, die richtigen Antworten haben. Das ist alles.
Während der Auseinandersetzung über die Vergangenheit Joschka Fischers hieß es schon, Sie hätten das Zeug, ihn als Vizekanzlerin zu beerben.
Die Kritik an Joschka hat ihn noch enger an die Partei gebunden und die Partei an ihn.
Schmeicheln Ihnen solche Äußerungen?
Also, einmal habe ich keine Zeit, über all diese Beschreibungen nachzudenken. Aber eines kann ich sagen: Mir ist das suspekt. Ich mag es nicht, wenn so viele Erwartungen in einzelne Personen gesteckt werden. Da muss die ganze Partei mitarbeiten.
Sie haben BSE mit Tschernobyl verglichen. Warum fahren die Grünen angesichts dieser historischen Situation so schlechte Wahlergebnisse ein?
Alle Meinungsforscher sagen, dass es einige Monate dauert, bis sich neue Themen in Wahlergebnissen niederschlagen. Vier Wochen nach Tschernobyl haben die Niedersachsen damals auch noch CDU gewählt.
Ist das nun auch eine historische Chance für die Grünen?
Nein, aber ein Schwungfaktor. Das sind unsere alten Themen. Regieren heißt, dass man zwar die Visionen behält, aber nur in kleinen Schritten vorankommt. Und unser Regierungshandeln war anfangs nicht immer das brillanteste. Das hat viele Grüne und viele Wähler frustriert. Es machte nicht gerade Spaß, sich für die Grünen mit einem Stand auf die Straße zu stellen. Doch das hat sich nun geändert – und das ist gut für uns.
Nicht so gut für Sie ist, dass nun 125 Millionen Mark in die Rindervernichtungsprogramme fließen, die für Ihre Agrarwende fehlen.
Klar wäre mehr Geld besser. Und natürlich ist es wichtig, dass wir den Fleischüberschuss möglichst schnell drosseln.
Aber das System ist komplett durcheinander geraten: Obwohl zum Beispiel die Nachfrage nach Milch gestiegen ist, müssen viele Bauern nun Strafe zahlen, weil sie ihre Milchquoten überschreiten. Dabei bedienen sie ja nur die Nachfrage.
Ist das nicht ein Irrsinn? Wenn Sie das einem Kind erzählen, klopft es nachts an die Tür und fragt: Kannst du es mir noch mal erklären?
Wie löst man einen solchen Konflikt?
Das ist wie im richtigen Leben. Wenn Sie umziehen wollen, müssen Sie möglicherweise eine Weile für zwei Wohnungen Miete zahlen. Also das Neue anfangen, das Alte abbauen.
Sie müssen doch froh sein, dass die Maul- und Klauenseuche gerade die Aufmerksamkeit für die Agrarwende aufrechterhält.
Ja und nein. Denn andererseits kostet die Minimierung des Ausbruchsrisikos viel, viel Zeit und Kraft.
Aber ohne diese Aufregung könnten Sie gar nichts bewegen.
Das ist doch zynisch. Die Bauern kämen ohne MKS viel besser aus. Und ich auch. BSE allein hat als Schock schon gereicht.
Wie viel Zeit brauchen Sie für den Kurswechsel?
Wenn ich in Europa vorankommen will, muss ich mindestens bis Mai nächsten Jahres Atem haben. Dann sind in Frankreich Wahlen – und Frankreich produziert zwei Drittel seines Handelsüberschusses im Agrarbereich. Außerdem ist es einer der großen Entnehmer aus dem EU-Agrarhaushalt. Natürlich werden auch die Franzosen sich im Wahlkampf auf Themen wie Lebensmittelqualität und -sicherheit einlassen. Alles Weitere wird also wohl erst möglich sein, wenn die Frage „Jospin oder Chirac?“ entschieden ist.
Bis dahin muss die Empörung über Tierseuchen und den Zustand der Landwirtschaft einigermaßen erhalten bleiben.
Nein. Der Mensch kann nicht ständig in einer Turboaufregung leben. Die Leute wollen sehen, dass die Probleme gelöst werden. Ansonsten brauchen die Verbraucher Handreichungen für den Einkauf. Deshalb wollen wir ja die beiden Siegel schnell anbieten können.
Müssen Sie nicht schon früher eine Erfolgsbilanz vorlegen? Etwa zur Grünen Woche 2002, wenn Sie ein Jahr im Amt sind.
Ach, wir legen doch ständig vor. Ich bin noch nicht mal hundert Tage im Amt, da habe ich schon eine Menge gemacht. Wir haben die Schwerpunktsetzung für die deutschen Agrarmittel auf mehr Förderung für Ökolandbau verschoben. Wir haben sogar schon die Eckpunkte für den nationalen Agrarhaushalt 2002 beschlossen. Und bis Ende Juni wollen wir einen Plan für die Gemeinschaftsaufgabe für 2002 vorlegen, der schon alle Aspekte des Neuen beinhaltet – damit die Bauern rechtzeitig wissen, was auf sie zukommt.
Trotzdem setzt Deutschland bisher immer noch kaum EU-Mittel für einen umweltgerechten Landbau ein.
Wir werden das Mittel der „Modulation“ nutzen. Damit kann man EU-Gelder für ökologische Zwecke und für Landschaftspflege einsetzen, wenn man etwa im selben Umfang eigenes Geld zuschießt. Deutschland wird diese Mittel erstmals ab 2002 wahrnehmen – vorher geht es leider noch nicht.
Kommt das bei den Landwirten an?
Ich bin beeindruckt vom guten Informationssystem der Landwirte untereinander – die wissen genau, was wir machen. Und wir senden ein klares Signal an die Bauern: Wenn du deinen Stall umrüstest auf artgerechtere Haltung, dann musst du nur den Antrag stellen. Wir haben festgelegt, dass die Länder solche Anträge künftig vorziehen müssen, wollen sie noch Geld vom Bund bekommen. Auch Landwirte, die sich zu regionalen Vermarktungsgenossenschaften zusammentun wollen, werden bevorzugt behandelt. Sie können noch dieses Jahr Geld bekommen.
Kann ein Bauer es derzeit überhaupt wagen, Tausende von Mark in die Umstellung seines Hofs zu investieren, angesichts der Damoklesschwerter MKS und BSE?
Ich weiß, dass auf den Landwirten eine unheimliche Last liegt. Dass sie erst mal MKS abwarten, ist doch nur logisch.
Nach dem Einbruch des Fleischmarkts in Deutschland bringt Ihnen nun MKS auch noch Exportverbote ein.
Je weniger Absatzmöglichkeiten wir haben, desto mehr sind die Instrumente der alten Argarpolitik gefragt, weil wir dann wieder Aufkaufaktionen finanzieren müssen. Am Ende ist dann keine müde Mark mehr da, um die Agrarwende zu finanzieren.
Viele Menschen gerade aus den Umweltverbänden haben Zweifel, dass Sie Ihre Ziele mit Ihrem Haus erreichen. Haben Sie das richtige Personal für die Agrarwende?
Ich habe hier ein Ministerium übernommen, das ganz anders gestrickt ist als ich. Da mussten beide Seiten lernen, miteinander umzugehen. Aber das Haus ist loyal. Natürlich gibt es auch ein paar personelle Veränderungen, aber die meisten Mitarbeiter sind bereit, etwas zu ändern. Sie müssen verstehen, dass dieses Haus seit Monaten unter Beschuss steht. Vor allem unsere Veterinäre stehen seit Februar 24 Stunden täglich unter Strom, stets per Handy abrufbereit.
Kann man denn eine neue Legehennenverordnung mit Mitarbeitern schreiben, die jahrzehntelang die Hühner in kleine Käfige gezwängt haben?
Wenn ich genaue Vorgaben mache, was ich wie geprüft haben möchte, dann wird das auch so geprüft – das ist kein Problem. Auch früher haben meine Mitarbeiter ja Vorgaben umgesetzt. Da steckte doch keine politische Boshaftigkeit hinter den Entwürfen – dieses Haus hatte immer Chefs.
Die früheren Chefs haben sich jahrelang um Tierschutz kaum geschert.
Wir sagen hier immer: Wir haben noch für Jahre zu tun. Wir werden das alles angehen. Ich kann das nur jetzt nicht alles auf einmal, während wir hier zwei Seuchen bekämpfen. Aber wir arbeiten auch am Tierschutz bereits an verschiedenen Punkten. Ich lasse zum Beispiel gerade die neue Legehennenverordnung juristisch prüfen. Außerdem setze ich zurzeit die Nutztierhaltungsrichtlinie der Europäischen Union um. Dann hoffe ich, dass wir die Tiertransportrichtlinie verändern können. Der Traum der schwedischen Ratspräsidenten sind acht Stunden Dauer – verglichen mit den erlaubten 29 Stunden ein echter Gewinn.
Sie wollten vier Stunden.
Das ist die grüne Position. Das vertrete ich auch im Agrarrat, auf dieser Basis müssen aber erst mal Mehrheiten organisiert werden. Denn als Zweites will ich Tiertransporte insgesamt weniger lukrativ machen und die Schlachtung regionalisieren. Die Transportdauer ist da nur ein Puzzlestück. Erst wenn man diese drei Teile zusammenfügt, kriegt man eine richtige Wende in diesem Bereich hin. So funktioniert eigentlich die gesamte Agrarpolitik.
Man hat in Deutschland derzeit den Eindruck: Wenn es um den Verbraucherschutz geht, sind sich alle Politiker einig.
Ich glaube ja, dass der Streit wieder aufkommt – spätestens wenn es ums Geld geht. Wir wollen jetzt die Legehennenverordnung über den europäische Standard heben. Anfangs waren alle dafür: Geflügelhändler wie Tierschützer. Doch sobald Sie ins Detail gehen, klagen die Händler über zu viel Regulierung und die Tierschützer über zu wenig. Das wird bei den Parteien genauso sein.
Was machen Sie eigentlich mit den vielen Ferkeln, die man Ihnen schenkt?
Ich habe nur eins: Berta. Die ist so süß.
Wo lebt Berta denn jetzt?
In Rheinland-Pfalz, wo ich sie geschenkt bekommen habe. Ich kriege regelmäßig E-Mails, in denen gefragt wird, wie es dem Tier geht: welches Futter es bekommt und wann seine Mutter wieder ins „Eros-Center“ gebracht wird. So erfahre ich etwa, dass die Muttersau zwei, drei Tage dort stehen muss in der Nähe eines Ebers, bis sich das Rauschen einstellt – also das, was man bei Hündinnen „läufig“ nennt. Das ist wirklich eine Lehrstunde für mich.
Lebt Berta auf einem Biohof?
Nein, es ist ein konventioneller – aber auf gutem Niveau, wie man schon an der Existenz des „Eros-Centers“ merkt.
Wann wird Berta geschlachtet?
Bitte verlangen Sie nicht auch noch diese Entscheidung innerhalb der ersten 100 Tage von mir.
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