: No-Tech statt Low-Tech
Bin Laden hat als Erster verstanden, wie der Krieg des 21. Jahrhunderts aussehen wird. Es ist ein Krieg fast ohne Technik: ohne Handys und ohne Internet – aber trotzdem global
US-Präsident George W. Bush hat den ersten Krieg dieses Jahrtausends erklärt. Die Sache scheint klar: auf der US-Seite die Technologie des 21. Jahrhunderts, auf der anderen Seite ein paar rückständige Barbaren.
In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Die Hirne von Mördern seien leicht zu verstehen, sagte Rainer Maria Rilke einmal. Das trifft bei dem Anschlag auf Washington und New York eben nicht zu, und deshalb nützt den USA ihre technologische Überlegenheit nichts: Diejenigen, die das schwere Gerät bedienen, sind dem Gegner in Phantasie und Denkweise unterlegen.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass Ussama Bin Laden und seine al-Qaida, „das Fundament“, für die Anschläge in Übersee verantwortlich sind, auch wenn die Beweise, die bisher vorgelegt wurden, nicht völlig schlüssig sind. Bin Laden und seine Anhänger sind die ersten, die verstanden haben, wie ein Krieg im 21. Jahrhundert aussehen wird. Sie kennen die globalisierte Welt nicht nur, sie waren die ersten, die sich auf der Basis der Globalisierung organisiert haben. Sie verstehen westliche Ideologie, Technologie und Kultur, sie machen sie sich zunutze. Den Krieg, den Bush ihnen jetzt erklärt hat, haben sie erfunden.
Bushs Rhetorik erinnert dagegen an den Wilden Westen des 19. Jahrhunderts: „Gesucht. Tot oder lebendig.“ Mit dieser Formel ist ein solcher Krieg nicht zu gewinnen. Die US-Militärstrategen haben keine Ahnung von ihrem Gegner. Bin Laden herrscht über einen virtuellen Staat. Er reicht von Amerika bis Afghanistan, von Hamburg bis Bagdad. Richard Rosecrance, Terrorismusexperte an der Universität von Berkeley, sagt, dieses virtuelle Land habe „staatsähnliche Aspekte ohne Staatsgrenzen“. Ist das nicht ein Ziel der Globalisierung, nur dass sie eben ausschließlich für Kapitalisten gelten soll? Und hat man für dieses Ziel nicht in den arabischen Ländern diktatorischen Statthaltern an die Macht verholfen?
Die Geheimdienste haben Bin Ladens Spur schon lange verloren. Mobiltelefone benutzt er nicht mehr, seit ein Gespräch auf einem Satellitentelefon von US-Agenten abgefangen wurde. Seine Nachrichten übermittelt er durch Boten: No-Tech statt Low-Tech. Das gleiche gilt für das Internet. Al-Qaida benutzt offenbar einen Verschlüsselungscode, der von den Geheimdiensten nicht geknackt werden kann. Steganographie nennt man das, wenn geheime Informationen in Bilddateien eingefügt werden, so dass ahnungslose Agenten sie nicht lesen können, wenn sie nicht das Originalfoto kennen. Es ist das gleiche, als ob Bin Laden trommeln würde. Damit stellte schon der somalische Milizenführer Mohammed Farah Aideed die Amis vor unüberwindliche Probleme.
Bin Ladens Technikverzicht hat freilich nichts mit Unterentwicklung zu tun, im Gegenteil: Er hat die neue Technologie, die ja der Überwachung und der Schnüffelei Tür und Tor öffnet, hinter sich gelassen. Heutzutage kann man einen Handy-Benutzer auf zehn Meter genau per Internet orten. Das wurde verschiedenen ausländischen Drogenbossen, hinter denen der US-Geheimdienst her war, zum Verhängnis. Bin Laden trickst mit seinen scheinbar fossilen Kommunikationsmethoden dagegen die moderne Technologie aus. Hinzu kommt eine Phantasie, die sich in westlichen Hirnen höchstens noch im Kino abspielt: Flugzeuge können zu Cruisemissiles werden, wenn man davon keine hat oder sie nicht einsetzen kann, weil der Feind auf solche Art von Angriffen vorbereitet ist.
Dass dabei die Türme des World Trade Center einstürzten und tausende von Menschen unter sich begruben, ist für die Hintermänner des Attentats ein erfreulicher Nebeneffekt. Für den Erfolg ihrer Mission war das nicht ausschlaggebend. Bin Laden wusste, dass die Symbolkraft der Anschläge ausreicht, um die westlichen Strukturen zu erschüttern.
Die US-Elite und die Globalisierungsstrategen könnten schon bald zur Tagesordnung übergehen, hätte sich der Schaden auf Menschenleben beschränkt, selbst wenn es tausende sind. Sie sind in der Welt der Globalisierung entbehrlich. Viel schlimmer ist für die Strategen die Erschütterung des gesamten Wirtschaftsgefüges in der westlichen Welt. Die Versicherungen müssen Rekordsummen zahlen, der Tourismus bricht zusammen, die Aktienkurse fallen ins Bodenlose.
Gleichzeitig steigt die Angst vor der eigenen Technologie im Westen. Was hat Bin Laden als Nächstes vor? Biologische Kriegführung vielleicht? Ein modernes Labor für die Herstellung von biologischen Waffen, den „Atombomben der Armen“, kostet nicht mehr als 10.000 Dollar. Das Know-how ist weit verbreitet. Eine effektive Konvention zur Kontrolle von biotechnischen Unternehmen hat die Bush-Regierung noch im Sommer abgelehnt, weil die Gefahr der Industriespionage bestehe. Nun hat das FBI vorsichtshalber ein Flugverbot für die 3.500 privaten Sprühflugzeuge in den USA verhängt, und auch bei Football-Spielen an den Universitäten dürfen keine Flugzeuge über die Stadien fliegen. Die Verunsicherung ist groß, verbesserte Sicherheitsvorkehrungen – vor allem im Flugverkehr – kosten immense Summen.
Das war das Kalkül der Attentäter. Darauf deuten die Hinweise, dass vor den Anschlägen im Vergleich zu normalen Börsenzeiten 35-mal so viel Geld auf sinkende Aktienkurse gesetzt wurde. Rückständige Barbaren? Wer das denkt, hat schon verloren.
Bin Laden sagte 1999: „Unsere Brüder, die an dem Dschihad gegen Russland teilgenommen haben, zerstörten die größte Militärmaschinerie, die es jemals gab. Die so genannte Supermacht löste sich in Luft auf. Wir glauben, die USA sind weit schwächer als Russland.“ Damit meinte er bestimmt nicht die militärische Stärke. Der irische Journalist Fintan O’Toole bescheinigt Bin Laden und seiner Organisation Vorsprung ohne Technik. „Sie wissen drei Dinge über die Welt des 21. Jahrhunderts, die der Rest von uns gerade erst begreifen lernt“, sagt er. „Sie wissen, dass die alte Ordnung von Nationalstaaten langsam durch ein flexibles globales Netzwerk ersetzt wird; sie wissen, dass Technologie eine zweischneidige Angelegenheit ist, die gegen ihre Erfinder gewendet werden kann; und sie wissen, dass Krieg und Gewalt heutzutage den Raum einnehmen, den früher Künstler und Schriftsteller besetzt hielten – den Raum in den Köpfen der Menschen. Um sie erfolgreich bekämpfen zu können, muss der Westen sich dieses Wissen erst aneignen.“
Doch George W. Bush und seine Militärstrategen werden es nie begreifen. Ihre Antwort ist „Son of Star Wars“, ein Konzept, das aus dem vorigen Jahrhundert stammt, als der Kalte Krieg noch in Ordnung war und man mit dem Finger auf den Feind zeigen konnte. Für den Kampf gegen einen virtuellen Staat taugt es nichts. Aber es hält eine wichtige Spielregel ein, nach denen die USA funktionieren: Rüstung macht das Kapital froh. 1945 hat die US-amerikanische Kriegstechnologiehörigkeit zu Hiroschima und Nagasaki geführt. RALF SOTSCHECK
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