: Die CDU ist noch einmal davongekommen
Die Regierung steht am Abgrund, sagen Merkel & Co. Tatsächlich sind sie aber froh, dass es jetzt keine Neuwahlen gibt
BERLIN taz ■ Die Spitzenpolitiker der Unionsparteien sagten alles, was von ihnen erwartet werden durfte: Sie nannten das Ergebnis der Vertrauensabstimmung im Bundestag einen „Phyrrussieg“ der rot-grünen Regierung, sprachen von einem „zynischen Schauspiel“ und davon, dass die „Regierung am Abgrund“ stehe. Trotz aller markigen Worte aber gelang es ihnen nur mühsam, ihre Erleichterung über den Ausgang der Machtprobe zu verbergen. Bei einigen konnte man gar den Eindruck gewinnen, sie hätten in einer geheimen Abstimmung Gerhard Schröder am liebsten persönlich das Vertrauen ausgesprochen – um vor Überraschungen ganz sicher zu sein.
Organisatorisch war natürlich für den Fall der Fälle vorgesorgt: Wenn der Kanzler wider Erwarten doch eine Niederlage erlitten hätte, wäre bereits gestern Nachmittag das CDU-Präsidium zusammengetreten. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein Generalsekretär Thomas Goppel hielten sich in Berlin auf, und auf den CSU-Vorsitzenden wäre es dann halt auch als Kanzlerkandidaten hinausgelaufen. Ein zwangsläufiger Ablauf der Ereignisse, aber aus Sicht der Union ein keinesfalls wünschenswerter.
Neuwahlen im Februar hätten einen Wahlkampf ganz im Zeichen der Außenpolitik bedeutet, in dem die Opposition nur wenig Kapital aus den sich beständig verschlechternden Wirtschaftsdaten ziehen könnte. Auf dem internationalen Parkett braucht Schröder den bayerischen Herausforderer nicht zu fürchten – aber im ökonomischen Bereich sieht das anders aus. Vielleicht, so sinnieren Unionspolitiker, spüren die Leute bis zum nächsten Herbst die Wirtschaftskrise ja im eigenen Geldbeutel. Dann ist wieder alles offen.
Fraktionschef Friedrich Merz hat gestern im Bundestag die Richtung schon gewiesen: Mit einer nicht uneleganten Volte schaffte er es, in der Debatte über den Krieg in Afghanistan auch den deutschen Mittelstand nicht unerwähnt zu lassen und mit Blick auf die Beschäftigungslage darüber hinaus noch den Satz unterzubringen: „Das sind Ihre Arbeitslosen, Herr Bundeskanzler!“ Er habe eine gute Rede gehalten, meinten hinterher auch manche Kritiker des CDU-Politikers. Vieles spricht dafür, dass Friedrich Merz eine gute Rede halten musste. Im eigenen Interesse. Zwar bleibt im Bundestag nun zunächst einmal alles beim Alten – aber dennoch haben die letzten Tage erhebliche Auswirkungen auf das interne Tauziehen um die Macht in der Union gehabt.
Die Chancen der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel im Rennen um die Kanzlerkandidatur, die bekanntlich schon vorher nicht gut waren, haben sich nicht dadurch verbessert, dass auch ihre Partei in der Stunde der Not nach Edmund Stoiber gerufen hätte. Aus Gründen der Gesichtswahrung will die Führungsspitze der Union am Zeitplan für die Kür festhalten. Am Ausgang der Entscheidung aber besteht kaum noch ein Zweifel. Vorausgesetzt, Stoiber will. Und er wird schon wollen. Wer widersteht auf Dauer dem Argument, er könne Deutschland retten?
Pech für Angela Merkel. Und für Friedrich Merz. Denn wenn die Parteivorsitzende die Kandidatur nicht hat erringen können, dann braucht sie nach Einschätzung von Beobachtern zur Festigung ihrer Position wenigstens den Fraktionsvorsitz. Den will Merz allerdings nicht hergeben. Und so dürften denn die Personalquerelen bei der Union auch nach der Kandidatenkür nicht beendet sein.
Noch ist das zwar Zukunftsmusik, denn noch regiert Rot-Grün, aber Merz hatte eben viele gute Gründe, seinen ökonomischen Sachverstand im Parlament unter Beweis stellen zu wollen. Von Wirtschaftspolitik sprach gestern übrigens auch Guido Westerwelle – aber bei dem FDP-Vorsitzenden hörte sich das sehr viel weniger kämpferisch an. Eher ein bisschen beleidigt. Selbstverständlich sagte auch Westerwelle den Untergang von Rot-Grün voraus und nannte die Bundestagsdebatte den „Abgesang einer sterbenden Koalition“. Aber irgendwie gelang es ihm nicht, den Eindruck zu erwecken, er hielte die eigene Partei für den Phönix, der sich aus der Asche erhebt.
Für die Liberalen schien die Rückkehr an die Macht über einen ganz kurzen Zeitraum hinweg in greifbare Nähe gerückt zu sein – seit dem gestrigen Tag ist sie nun jedoch sogar ein bisschen weiter entfernt als vor der Vertrauensabstimmung. Wenn das Kalkül der Union aufgeht und sie Rückenwind bekommt, dann geht das ebenso zu Lasten der FDP wie eine mögliche Stabilisierung der Grünen. Für Guido Westerwelle hätten Neuwahlen eine große Chance bedeutet, und deshalb forderte er sie gestern auch. Aber erkennbar ohne große Hoffnung, damit Gehör zu finden. BETTINA GAUS
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