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Meinhofs später Weg nach Osten

Das Gehirn der einstigen RAF-Terroristin Ulrike Meinhof befindet sich in der Uniklinik Magdeburg, sagt ihre Tochter Bettina Röhl. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt, ob und, wenn ja, wie das Gewebe der 1976 Gestorbenen verschwinden konnte

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Das Gehirn der weiblichen Leiche, so steht es in Obduktionsberichten, habe bei Entnahme aus dem Kopf 1.425 Gramm gewogen. Die Professoren des Instituts für Hirnforschung der Uni Tübingen beugten sich damals, vor 26 Jahren über das Gewebe, weil sie herausfinden wollten, woran die Tote genau gestorben war. Die Tote, das war Ulrike Marie Meinhof, Mitglied der Rote Armee Fraktion, die 1976 erhängt in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim aufgefunden worden war.

Nun hat sich erneut ein Mediziner das Gehirn von Ulrike Meinhof genauer angesehen, schreibt die Magdeburger Volksstimme. Der Hirnforscher Bernhard Bogerts von der Universität Magdeburg hat allerdings nicht nach der Todesursache gesucht: Er wollte herausfinden, ob eine Kopfoperation, der sich Meinhof als 27-Jährige unterzog, womöglich ihre politische Biografie beeinflusst haben könnte.

„Eines steht fest“, bestätigte Meinhofs Tochter Bettina Röhl gestern gegenüber der taz, „das Gehirn befindet sich in Magdeburg, ist dort 1997 eingetroffen und seither einer weiteren Sektion und Untersuchung unterzogen worden.“ Sie habe mit Bogerts gesprochen und habe „nichts gegen seriöse Forschungen einzuwenden, soweit sie der Wahrheit dienen“.

Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart hat gestern begonnen, die Geschichte des Meinhof-Gehirns zu klären. Es werde überprüft, teilte eine Sprecher mit, ob das Gehirn entgegen dem üblichen Verfahren nach Abschluss der Untersuchungen 1976 aufbewahrt und nicht vernichtet wurde. Eine strafrechtliche Relevanz ergebe sich aber in keinem Fall, sagte der Sprecher.

Die Uni Magdeburg hat der Fall Meinhof stärker beunruhigt. Es wäre „rechtlich und ethisch sehr problematisch“, wenn Meinhofs Hirn in der Universität läge, sagte der Rektor der Uni, Klaus-Erich Pollmann, der taz. Seinen Hirnspezialisten Bogerts hat Pollmann bislang nicht erreichen können, weil der sich in den USA aufhält. Bogerts ist ein anerkannter Spezialist auf diesem Gebiet. Der Direktor der Klinik für Psychiatrie hat erst jüngst fünf Millionen Euro von der Bundesregierung bekommen, um Diagnose und Interpretation von Schäden des Zentralen Nervensystems voranzutreiben.

Bogerts will seine Erkenntnisse im Fall Meinhof erst kommendes Jahr veröffentlichen. Angeblich soll Ulrike Meinhofs Gehirn dabei mit dem eines wahnhaften Vielfachmörders aus dem Jahr 1913 verglichen werden, der ebenfalls an „hirnmorphologischen Veränderungen“ litt.

Bettina Röhl meint auf ihrer Website, dass nun „mit großer Sicherheit die Ursache für den Gang [Ulrike Meinhofs, d. Red.] in den Terror“ gefunden sei: Eine Schädigung des emotionalen Zentrums von Meinhofs Gehirn. Dazu sei es 1962 gekommen, als das spätere RAF-Mitglied am Kopf operiert worden sei.

Röhl hat wohl nicht allein das Ziel, die Vergangenheit ihrer Mutter medizinisch aufzuarbeiten. Sie will der ganzen Roten Armee Fraktion einen klinischen Befund ausstellen. „Seit 1976“, schreibt die freie Journalistin, sei das Wirken ihrer Mutter „in den Händen einzelner RAF-Anwälte“ gewesen. Röhl will die Geschichte nun neu interpretieren, und sie hat dazu gleich einen Text parat: „Die durchgeknalle Republik“.

Die Frage, ob die RAF eine politische oder eine pathologische Bewegung war, haben vor der Meinhof-Tochter schon andere gestellt – die Staatsanwälte des Bundes, die der Baader-Meinhof-Gruppe nur zu gerne eine krankhafte Note zugeschrieben hätten. „Es wäre doch sehr peinlich“, äußerte sich etwa Anfang der 70er-Jahre ein Bundesanwalt, „wenn sich herausstellte, dass alle diese Leute einer Verrückten nachgelaufen sind.“ Ulrike Meinhof sollte 1973 in der Haft auf ihren Geisteszustand untersucht werden.

Die Ursachen für die RAF im Nachhinein in einem kranken Hirn zu lokalisieren, dürfte allerdings nicht leicht fallen. Die Konkret-Autorin Meinhof hat viele ihrer Texte nach der Kopfoperation im Jahr 1962 veröffentlicht. Damals galt sie als eine der begabtesten politischen Journalistinnen der Republik.

Vergleichsweise unbeachtet wird wohl das Referat Bernhard Bogerts bleiben. Der Psychologe und Hirnforscher spricht am 29. Januar in Berlin über die „Hirnbiologie schizophrener und affektiver Erkrankungen“.

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