taz-Serie Was macht eigentlich …? (Teil 6): „Das wird kommen“
In den rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen war sie ein großes Thema: Eine Fußgängerzone Unter den Linden. Wird daraus noch was?
Unser Kommentator war schier aus dem Häuschen, von den Socken, komplett begeistert. „Schaut auf diese Stadt“ hieß die Überschrift, nachdem sich die im Entstehen begriffene rot-rot-grüne Koalition unter anderem darauf geeinigt hatte, Unter den Linden zur autofreien Flanierstraße umzubauen. Das war Mitte November 2016, drei Wochen später leistete die neue Regierung aus SPD, Linkspartei und Grünen ihren Amtseid. Doch zwei Jahre später ist immer noch nichts passiert. Neben Linienbussen und Taxis fahren weiter jede Menge Privatautos und Touristenbusse auf dem breiten Boulevard zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor.
Der taz-Kommentar endete 2016 mit diesen Worten: „Bisher steht das meiste nur auf dem Papier. Was Rot-Rot-Grün wirklich hinbekommt, ist offen. Aber es lohnt sich, genau hinzuschauen. Auf diese Stadt.“ Schauen wir also genau hin – und fragen bei der zuständigen Verkehrssenatorin nach, ob in den verbleibenden knapp Zweidreivierteljahren bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl noch etwas aus dem Unter-den-Linden-Projekt wird.
Wortwörtlich schaffte es die „UdL“-Fußgängerzone übrigens nicht in den Koalitionsvertrag. Dort heißt es unter dem Titel „Besondere Orte Berlins attraktiv weiter entwickeln“ etwas versteckt: „Das Umfeld des Humboldt Forums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet. Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes.“
Die zu fragende Senatorin ist Regine Günther, die von den Grünen ins Amts geholte Parteilose, jüngst anderweitig im Fokus, weil sie sich auf suboptimale Weise von ihrem Staatssekretär Jens-Holger Kirchner trennte. Aus ihrer Senatsverwaltung heißt es, das Vorhaben sei durchaus nicht vom Tisch: „Wir verfolgen das Projekt Unter den Linden nach wie vor“, sagt Günthers Sprecher Jan Thomsen. Es sei eine Machbarkeitsstudie geplant, welche Optionen es für den Boulevard Unter den Linden gebe. „Wir müssen dies auch im Kontext der Pläne zum Straßenbahnausbau auf der Leipziger Straße und zum Umbau des Molkenmarkts sehen“, sagt Thomsen und versichert: „Wir werden sicherstellen, dass der Verkehr von Ost nach West bewältigt werden kann.“
Gerade Thomsens letzter Punkt war der, an dem die CDU 2016 sofort ihre Kritik aufgehangen hatte – dadurch kollabiere schier der Verkehr, weil alles in die umliegenden Straßen verdrängt werde. „Mit dem Bereich Unter den Linden hat die verkehrsideologische Umerziehung das Herz Berlins erreicht“, moserten der damalige CDU-Fraktionschef Florian Graf und Verkehrsexperte Oliver Friederici unisono.
Die angekündigte „Machbarkeitsstudie“ ist allerdings ein Begriff, der nicht vermuten lässt, dass, selbst wenn der grundsätzliche Wille da ist, schon in absehbarer Zukunft höchstens noch Taxis und BVG-Busse an Dom, Staatsoper und Humboldt-Universität vorbeifahren dürfen. Umso mehr, als diese Studie ja noch nicht im Gange ist, sondern erst mal nur geplant.
Und das mit dem grundsätzlichen Willen ist auch so eine Sache bei der Partei, die trotz schlechter Umfragewerte weiter die größte Partei in der rot-rot-grünen Koalition ist: der SPD. Dazu laufe derzeit nichts in der Fraktion, sagt der taz Tino Schopf, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der erst mit der Wahl 2016 ins Abgeordnetenhaus kam: „Wir haben derzeit andere Baustellen.“ Er wirkt nicht wirklich überzeugt von dem, was die Koalition im Spätherbst 2016 vereinbarte: Ja, flanieren sei eine schöne Sache – aber sei Unter den Linden dafür der richtige Ort? Warum nicht eher ein Teil der Friedrichstraße mit ihren vielen Geschäften?
Dafür hatte sich vor zwei Jahren schon eine andere Organisation stark gemacht, von der man einen Autofrei-Vorschlag nicht unbedingt erwartet hätte: der ADAC. Der gab damals zu verstehen, er sähe lieber die Friedrichstraße als Fußgängerzone. Denkbar sei, sie zwischen Dorotheen- und Taubenstraße zu sperren, wurde ein Verkehrsexperte der Autolobby damals zitiert. Der verwies auf weit mehr Geschäfte und Restaurants. Die Straße sei auch abends belebter als Unter den Linden.
Autofreie Friedrichstraße
Diese Idee griff die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobilität der Grünen auf, die mit einem „Bündnis für Menschen“ in einer angekündigten Demonstration Mitte Dezember kurzzeitig für „autofrei“ am U-Bahn-Ausstieg Stadtmitte sorgte. Polizeiautos sperrten dort die Friedrichstraße, Fußgänger flanierten, wo sonst Autos fahren, bald zierten Kreidemalereien den Asphalt.
Führende Bezirkspolitiker stellten sich hinter die Idee. Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) wurde mit dem Satz zitiert, eine Fußgängerzone sei „die einzige Möglichkeit, die Friedrichstraße wieder als Einkaufsstraße zu etablieren“. Befürworter der Idee argumentieren unter anderem damit, dass es in Nord-Süd-Richtung mit dem Tiergartentunnel eine Alternative gebe, anders als in Ost-West-Richtung.
Für den Sprecher der LAG Mobilität, Matthias Dittmer, schließt das eine das andere nicht aus – und er versteht auch nicht das langatmige Pozedere: „Für mich ist unverständlich, dass mit den Planungen für die Umgestaltung der Boulevards Unter den Linden nicht gleich mit Beginn der Regierungstätigkeit begonnen wurde.“ Er fordert mehr „Mut“ von den PolitikerInnen seiner Partei, „den Autoverkehr aus den historischen Zentren zu drängen. Es steht zu befürchten, dass die Planungen erst beginnen können, wenn die U5 und das Humboldtforum schon eingeweiht werden.“
Laut dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Harald Moritz, will seine Partei beziehungsweise die gesamte Koalition das Projekt autofreie Unter den Linden nicht zugunsten der Friedrichstraße aufgeben. „Das ist nicht unter den Tisch gefallen, das wird kommen“, sagt Moritz der taz. Auch er verweist auf eine Machbarkeitsstudie, für die gerade der Auftrag vorbereitet werde. Allerdings klingt das auch nicht nach baldiger Verwirklichung. Und so wird der Verkehr erst mal weiter über Unter den Linden rollen. So wie auf der Friedrichstraße. Auch dort war es an jenem Freitag Mitte Dezember nach zwei Stunden vorbei mit dem Flaniererlebnis.
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