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Gedenkfeiern für alleBraucht es christliche Federführung?

Kommentar von Ralf Nestmeyer

Nach Anschlägen und Katastrophen wird der Opfer im kirchlichen Rahmen gedacht. Mit Kirche haben die aber oft nichts zu tun. Zeit für säkulare Gedenkfeiern!

Warum überlässt Deutschland das kollektive Gedenken immer noch den Religionsvertretern? Foto: Jan Woitas/dpa

N och immer haben wir die Bilder des schrecklichen Attentats auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg vor Augen. Wie bei allen tragischen Ereignissen – sei es der Anschlag auf die Synagoge von Halle oder die Flutkatastrophe im Ahrtal – ist die Betroffenheit groß.

Politiker melden sich zu Wort, bekunden ihr Beileid, bieten Unterstützung an und fordern medienwirksam Konsequenzen für die Zukunft. Gleichzeitig erleben die Kirchen und ihre Bischöfe ihre große Stunde: Sie prägen die öffentlichen Gedenkfeiern, brav gefolgt von der politischen Spitze des Landes.

Ob Terroranschläge, Naturkatastrophen oder andere Tragödien – warum überlässt Deutschland das kollektive Gedenken immer noch den Religionsvertretern? In einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft drängt sich die Frage auf, ob es nicht Aufgabe des Staates sein muss, säkulare Räume für Trauer und Gedenken zu nutzen.

Als am 19. Dezember 2016 der islamische Terror Deutschland erreichte und auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen starben, wurde bereits am Tag nach dem Anschlag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Trauergottesdienst abgehalten. Zahlreiche hochrangige Politiker, darunter Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel, nahmen an der Veranstaltung teil.

Braucht es christliche Federführung?

Doch bei solchen Gedenkveranstaltungen wird oft deutlich, dass es weniger um die Opfer geht, sondern vielmehr darum, die Kirchen als zentrale Orte der kollektiven Trauer zu manifestieren und politische Botschaften zu senden. In Berlin wurde Angehörigen, die Verwandte am Breitscheidplatz verloren hatten, der Zutritt zur Gedächtniskirche durch den Sicherheitsdienst verwehrt – mit Verweis auf die Anwesenheit der Politiker.

Sechs Wochen nach der Flutkatastrophe, die im Sommer 2021 das Ahrtal in Rheinland-Pfalz und die Nachbarregionen verwüstet und 188 Menschenleben gefordert hatte, wurde in der Stadt Aachen offiziell der Toten gedacht – selbstverständlich im Aachener Dom. Das gleiche Szenario spielte sich im Dezember 2024 im Magdeburger Dom und am 26. Januar 2025 in der Aschaffenburger Stiftskirche ab.

Es ist zweifellos wichtig, Gedenkfeiern in einem angemessenen Rahmen auszurichten, um Trauer und Erschütterung einen Raum zu geben. Die seelischen Traumata sind immens, Zuspruch und gesellschaftlicher Rückhalt notwendig. Doch muss das immer unter christlicher Federführung in einer Kirche geschehen? Statt des Aachener Doms hätte man auch den Kaiserplatz oder den Krönungssaal im Aachener Rathaus wählen können.

In Frankreich funktioniert es

Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass es anders geht: Nach den Anschlägen von Paris (2015) oder nach dem Attentat am Nationalfeiertag in Nizza (2016) wählte man bewusst säkulare Gedenkformen. In Nizza fand die Trauerfeier unter freiem Himmel vor mehreren Tausenden Menschen direkt an der Promenade des Anglais statt. In Paris leitete der damalige Staatspräsident François Hollande die Cérémonie d’Hommage im Hof des Invalidendoms, wo Frankreich sonst seine gefallenen Soldaten ehrt.

Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Kirchen sind in einer säkularen Gesellschaft als Gedenkorte ungeeignet, da sie Menschen ohne Glaubenszugehörigkeiten ausgrenzen. Dazu erscheint es fragwürdig, wenn die Staatsspitze an Trauergottesdiensten teilnimmt, obwohl viele Opfer wahrscheinlich nicht christlichen Glaubens waren.

Aus Rücksicht auf Atheisten, Agnostiker und Nichtchristen sollte die Politik darauf verzichten, allen Opfern mit Bibelversen und bischöflichem Segen unter einem christlichen Deckmantel zu gedenken.

Kollektive christliche Trauergottesdienste sind nicht nur übergriffig, sondern auch respektlos gegenüber den Opfern. Der Staat sollte zentrale Trauerfeiern an religions­neutralen Orten organisieren, die allen Hinterbliebenen ermöglichen, würdevoll und ohne ideologische Vorgaben zu trauen. Geistlichen Beistand kann jeder in der Kirche suchen – in einem separaten Rahmen.

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17 Kommentare

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  • Nach dem Artikel habe ich mich gefragt, wie es mir gehen würde, wenn meine Familie in z. B. einem Türkeiurlaub bei einem Anschlag sterben würde und eine Trauerveranstaltung mit Imam in einer großen Moschee stattfinden würde.

    Ich muss sagen, ich würde es nicht als übergriffig empfinden.

    Nicht mal, wenn es ein islamistischer Anschlag wäre.

    Ich würde es als Respekts-und Beileidsbekundung in einem kulturellen Kontext empfinden.

    Menschen drücken aus: " Wir fühlen mit dir, auch wenn wir eine andere Religion haben."

    Transzendenzbezug haben Säkulare nun mal nicht zu bieten, außer in einem Kontext, den ich dann auch nicht wollen würde.

    Ein Ort, an dem die Türkei sonst gefallene Soldaten ehrt, wäre mir wegen des nationalistischen Pathos viel unheimlicher und vereinnahmender.

    Die Türkei soll hier wirklich nur als Beispiel dienen und kann durch das Land der Wahl ersetzt werden.

  • Endlich sagt es einer! Die Kirchen sind übergriffig und angesichts ihrer absurden dogmatischen Theorien auch anmaßend. Wer will, kann sich ja dorthin begeben, wo unermüdlich die fake news vom "gütigen, barmherzigen Gott" gepredigt wird. - Aber die staatlichen Repräsentanten sollten sich als solche davon fernhalten.

  • Gegen Kirchen spricht, daß sie die Verbrechen die sie betrauern wollen früher selbst zuhauf begangen haben. Das ist ungefähr so als wäre Rehse der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichtes geworden.

    • @Manfred Peter:

      Wann waren denn die letzten Anschläge von terroristischen Katholiken in Deutschland?

    • @Manfred Peter:

      Welche Institution, welches Amt, welcher Ort ist frei von historischer Schuld? Was bleibt noch? Würde man Ihrer Argumentation folgen, würden die möglichen Räume der gemeinsamen Trauer und des gemeinsamen Gedenkens sehr eng, falls überhaupt welche übrig blieben.

  • Es sind die Kirchen, die bis heute die Bestrafung von missbrauchenden Amtsträgern verhindern und diese trotz Kenntnis nicht an die zuständigen Behörden übergeben. Es ist schon verrückt, womit man alles durchkommen kann und sich dennoch als Wohltäter verkauft. Und der Staat spielt durch solche Veranstaltungen dabei mit.

    • @Otto Buchmeier:

      Auch politische Amtsträger versuchen, Skandale zu vertuschen und Bestrafungen zu verhindern.

      Trotzdem würden sie die säkularen Trauerfeiern leiten.

      Der Staat ist da doch nicht anders.

  • Ich fände es schön, wenn es beides nebeneinander geben könnte.



    Ganz pragmatisch für Kirchen spricht übrigens, dass es Orte sind die groß sind und oft auch öffentlich zugänglich.

    • @wirklich?:

      Die Kirchen (nicht die Gebäude; die können gerne benutzt werden) vereinnahmen derartiges halt ebenso gerne wie die Parteien/Politiker. Beides finde ich verachtenswert.

      • @Waltraudd:

        Würden Sie sich nicht an der gesellschaftlichen Trauerarbeit beteiligen, würde man ihnen Desinteresse und fehlende Menschlichkeit vorwerfen.

        Den Politikern wie den Kirchen.

  • Zum Einen sind Einlassbeschränkungen, aufgrund von anwesenden Schutzpersonen, keine Frage der Säkularität. Insofern geht dieses Argument voll ins Leere. Zum Anderen (eigentlichesThema) muss man schon ziemlich hinterm Mond leben, wenn man meint, dass christliche Kirchen in Deutschland nur Orte der Religionsausübung sind. Christliche Kirchen gelten inzwischen viel mehr als Orte/Symbole von Geschichte, Kultur, Nächstenliebe und Solidarität und vieles mehr, was jeden Menschen der in diesem Land lebt mit seinen Mitmenschen verbinden sollte. Darüber hinaus sind die Kirchen ein Ort der Stille, der Andacht, der inneren Einkehr, Transzendenz und Spiritualität. Sie geben damit auch einen besonders wertvollen Raum für Trauer. Wer hier die Kirchen als mögliche Orte des gemeinsamen Gedenkens und Miteinanders wegsäkularisieren möchte, muss sich fragen, ob ein solcher Verlust im Verhältnis zum angestrebten Gewinn steht.

    • @Daniel Wood:

      Besser hätte ich es nicht formulieren können!



      All jene, die Kirche, gemeinschaftliches Erleben und Zusammenhalt nicht erleben wollen, kann ich nur bedauern.

  • Sollte nicht jeder so trauern, wie Er/Sie es für richtig hält? Ich als Atheist denke, wenn irgendwann jemand christlichen oder anderen Glaubens mit religiöen Ritualen um mich trauen möchte, ist das sicher nicht respeklos mir gegenüber. Mir tut das dann doch nicht weh. In Deutschland gibt es einfach deswegen keine staatlichen Trauerfeiern, da dieses Land glücklicherweiße nicht so ein übertriebenes Nationalgefühl hat, außer beim Fußball. Die Kirche organisiert solche Dinge einfach, wegen des Stellenwertes des Todes und der Trauer um Verstorbene im christlichen Glauben und dem Bedürfnis ihrer AnhängerInnen religiösen Rituale nachzugehen. Trauerfeiern sind eh was für die Lebenden, die Toten waren immer schon zweitrangig, die juckt es ja auch nicht mehr. Wie auch? Sie sind ja tot.

  • In der Bibel steht mehr über Versöhnung, Nächstenliebe, ja sogar Feindesliebe als in jedem anderen religiösen oder säkularen Buch. Ich finde es natürlich, dass man als Gemeinschaft darin Trost und Orientierung sucht und findet, sogar als Atheist oder Agnostiker.

    Es sind manchmal diese Augenblicke größter Dunkelheit und Not, wenn Atheisten realisieren, dass Gott real ist. Solange die Sonne scheint, denken ja viele Menschen, sie bräuchten Gott nicht.

  • Hat sich schon einmal ein Betroffener beschwert?



    Wünscht sich jemand Olaf Scholz oder Richard David Precht als Ritualmeister der Republik?

  • ... ich bin mir nicht sicher, nicht mehr sicher. Ausgetreten von 3 Jahrzehnten; ... allerdings dringen in diesen Tagen gegen "das Merzen" von Mitmenschlichkeit - gerade an diesem 29.1.25 - insbesondere die Appelle der Kirchen hindurch. In dieser Rolle stellen sie ein Korrektiv gegen Schnödheit auch im säkularen Raum dar.

  • "Kirchen sind in einer säkularen Gesellschaft als Gedenkorte ungeeignet, da sie Menschen ohne Glaubenszugehörigkeiten ausgrenzen. Dazu erscheint es fragwürdig, wenn die Staatsspitze an Trauergottesdiensten teilnimmt, obwohl viele Opfer wahrscheinlich nicht christlichen Glaubens waren.



    ...



    Kollektive christliche Trauergottesdienste sind nicht nur übergriffig, sondern auch respektlos gegenüber den Opfern."

    Genau so sehe ich das auch. Aber sobald in D irgendetwas passiert, lenken sich die Schritte unserer Politiker automatisch in Richtung Kirche. Es geht ja auch nicht um die Opfer. Es geht darum, sich selbst von Verantwortung freizusprechen.