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ortsgesprächWo ist der bräsig-beständige Konservatismus der CDU geblieben? Ein sehnender Brief

Liebe CDU, du wunderst dich bestimmt darüber, dass ich dir schreibe. Ich mich auch … Ich fand deine Marotten immer etwas seltsam, dieses Klammern an den Paragrafen 218, an Gymnasien und niedrigen Spitzensteuersatz, aber konservativ heißt nun einmal, auf Biegen und Brechen an etwas festzuhalten. Ansonsten warst du mir egal. Es gab dich halt, so wie Jägerzäune und Eierlikör, wie sie gehörtest du zum BRD-Inventar. Aber die BRD gibt es schon lange nicht mehr und bei dir bin ich mir nicht sicher. Ist das noch der bräsig-beständige Konservatismus, der die Nazis in den eigenen Reihen platt gesessen hat oder schon irrlichternder Trumpismus?

Ich habe mal gelesen, wie man etwas in der nostalgischen Rückschau erst erschafft. Der deutsche Wald, den die Romantiker so beschwärmten, soll in den Kriegen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts abgeholzt worden sein und gar nicht mehr existiert haben, als er exzessiv besungen und gemalt wurde. Ob das auch für dich gilt? Nie zuvor habe ich mich so für dich interessiert, so viele Artikel über dich gelesen und über dein Wesen gegrübelt.

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, jemals mit so viel Wärme an Grüne oder SPDler der Vergangenheit gedacht zu haben wie heute an Rita Süssmuth, Heiner Geißler, Ruprecht Polenz und Wolfgang Schäuble. Irgendwie gehört auch die Oma gegen rechts, Angela Merkel, in die Reihe, auf ihre sehr eigene Weise. Immerhin leben drei von ihnen noch und Roderich Kiesewetter bleibt im Bundestag. Kluge Politiker:innen, die das Christlich-Demokratische ihrer Partei nicht nur behaupten. Aber ist das, wonach ich mich sehne, eine Projektion, die CDU ein deutscher Wald? Soll es endlich wieder so werden, wie es nie war?

Ich höre dich Sachen sagen und tun, die ich kaum glauben kann. Du weißt schon, linke und grüne Spinner, die nicht alle Tassen im Schrank hätten, wenn sie für das Menschenrecht auf Asyl und gegen Abstimmungen mit der AfD demonstrieren, und für die man als Bundeskanzler keine Politik machen brauche. Kleine Anfragen zur Finanzierung von „Schattenstrukturen“, die darauf abzielen, zivilgesellschaftliche Organisationen zu diskreditieren. Und Bremens Bundestagsabgeordneter Thomas Röwekamp, der nicht mal mehr mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Radio Bremen sprechen will, weil ihm der zu „links-grün“ ist.

Klar, Helmut Kohl hatte für unsereins auch nichts übrig, aber da bekamen die rechts-braunen Spinner ja noch kein Fünftel aller Stimmen bei einer Bundestagswahl und in einigen Wahlkreisen knapp 50 Prozent. Es gab auch keine gezielten Kampagnen gegen „System-Medien“, keine offenbar aus Russland gesteuerten Angriffe auf westliche Jour­na­lis­t:in­nen und wenn jemand log, behauptete er oder sie nicht, alternative Fakten zu verbreiten.

Aber ich schreibe dir nicht, um dir Vorwürfe zu machen. Sondern um mich dafür zu entschuldigen, dass ich dir nie gezeigt habe, wie viel du mir bedeutest. Ich weiß nicht, wie viele Hunderte deiner Pressemitteilungen ich ignoriert habe. Ich könnte mich rausreden und sagen, das lag daran, dass ich deine Angst vor Messerangriffen nicht teile und du für das Thema bei der anderen Lokalzeitung ja stets ein offenes Ohr findest. Oder dass mir dein aufgeregtes Geschrei, Bremen gehe den Bach runter, Politikversagen auf ganzer Linie, auf die Nerven geht und ich eine solche Rhetorik für geeignet halte, das Vertrauen in demokratische Institutionen nachhaltig zu erschüttern.

Aber damit würde ich es mir zu leicht machen. So wie du jetzt denkst, es brauche keine Linken und Grünen in diesem Land, habe ich zu lange gedacht, es gehe auch ohne dich. Ich habe mich geirrt. Deine Eiken Bruhn

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