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der leitartikelDie schäbige Idee der „Remigration“ setzt sich in den Köpfen fest – sogar bei den Grünen

Von Frederik Eikmanns

Ein Jahr ist vergangen, seit die Geheimpläne der AfD bekannt wurden, Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund aus dem Land zu schaffen. Millionen Menschen demonstrierten anschließend gegen die extrem rechte Partei und die menschenverachtende Idee der „Remigration“. Po­li­ti­ke­r*in­nen aller demokratischen Parteien äußerten sich empört und unterstützten die Proteste.

Inzwischen ist davon nichts mehr übrig. Im Gegenteil. Das Spitzenpersonal von Union, SPD, FDP und auch der Grünen tut gerade viel dafür, dass sich die zentrale Idee des Potsdamer Geheimtreffens in der politischen Debatte festsetzt.

Frederik Eikmanns

ist taz-­Redakteur in der Inlands­redaktion und schreibt vor allem über Migrations­themen.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, nicht arbeitende Sy­re­r*in­nen ohne Deutsch­kennt­nis­se in ihr Herkunftsland zurückzuzwingen. Grünen-Vizekanzler Robert Habeck sagte: „Diejenigen, die hier nicht arbeiten, werden – wenn das Land sicher ist – wieder in diese Sicherheit zurückkehren können oder auch müssen.“ Die Behörden wollen Familien, die freiwillig zurückkehren, mit 4.000 Euro belohnen. Und CDU-Chef Friedrich Merz, der all das schon seit Wochen fordert, stellte nun in den Raum, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft auszubürgern, wenn sie Straftaten begehen.

Es ist ganz egal, dass diese Forderungen und Ankündigungen im Moment nicht viel mehr sind als populistische Wahlkampfrhetorik. Egal, dass für Merz’ Pläne eine Verfassungsänderung nötig wäre, für die sich ohne AfD kaum eine Mehrheit finden wird. Egal, dass viele Sy­re­r*in­nen in Deutschland schon die Staatsbürgerschaft haben oder zumindest eine Niederlassungserlaubnis, was Faesers Pläne und Habecks Ideen wohl auf einen kleinen Personenkreis beschränken würde. Und egal ist auch, dass der bürokratische Aufwand so hoch sein dürfte, dass eine Umsetzung schwer vorstellbar ist. Die Details verschwimmen im Strudel immer schärferer Forderungen und Ankündigungen. Was bleibt, ist die so rassistische wie unüberhörbare Botschaft: „Wir“ müssen „die“ loswerden.

Und diese dumpfe Botschaft frisst sich in den Diskurs und in die Köpfe. Sie macht vorstellbar und irgendwann vielleicht doch umsetzbar, was gerade noch ausgeschlossen schien.

Was am Ende von der Debatte bleibt, ist die so rassistische wie unüberhörbare Botschaft: „Wir“ müssen „die“ loswerden

Insbesondere bei der Union kommt dazu eine beängstigende Bereitschaft, an bewährten Institu­tionen und gut begründeten Tabus zu rütteln. Schon seit Monaten fordern CDU und CSU Zurückweisun­gen von Geflüchteten an den Grenzen. Dabei würde das Europarecht gebrochen und das ­Schengensystem der offenen Grenzen gesprengt – ein zentraler Pfeiler der EU.

Merz’ jüngste Forderung nach Ausbürgerungen ist nicht nur zutiefst verletzend und von seltener Schäbigkeit. Sie würde auch eine Art Zweiklassenstaatsbürgerschaft schaffen. Und sie berührt eine zen­trale Lehre aus der NS-Zeit. Nicht zufällig entzogen die Nazis Ju­den*­Jü­din­nen die Staatsbürgerschaft, sobald sie die damaligen Landesgrenzen überschritten. Die Juden*Jüdinnen, die die Deutschen später in ­Osteuropa ermordeten, wurden zuvor gezielt in den schutzlosen Zustand der Staatenlosigkeit versetzt. Nach dem Sieg über Nazideutschland wurde der Anspruch auf Staatsbürgerschaft in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben. Natürlich hat Merz’ Vorschlag nichts mit den NS-Verbrechen zu tun und würde ohnehin nur diejenigen treffen, die noch den Pass eines anderen Landes haben. Staatenlosigkeit droht deshalb niemandem. Aber bislang galt eben als Folge der deutschen Vergangenheit, dass sich De­mo­kra­t*in­nen vom Thema Ausbürgerung fernhalten. Damit hat Merz gebrochen.

Illustration: Robert Samuel Hanson

Es hätte auch alles ganz anders sein können am ersten Jahrestag der Enthüllungen der „Remi­gra­tions“-Pläne der AfD. Aus dem Sturz des syrischen Tyrannen Assad folgt nicht automatisch, dass Deutschland darüber diskutieren muss, wie man möglichst viele Sy­re­r*in­nen rauswirft oder deutschen Staatsbürgern den Pass wegnimmt. Es hätte ein Moment sein können, in dem die demokratischen Parteien der AfD klar entgegentreten, statt deren Ideen aufzunehmen. Immerhin zeigt die syrische Revolution, dass die Menschenfeinde und Putin-Freunde – darunter die AfD – keinesfalls unbesiegbar sind.

Vielleicht ist es wert, an dieser Erkenntnis festzuhalten: Es muss nicht so sein, wie es ist. Auch wenn die Demonstrationen vor einem Jahr verhallt zu sein scheinen. Die schleichende Ausbreitung rechter Ideen bis weit in die demokratische Mitte ließe sich aufhalten. Die AfD ist weit entfernt von einer Mehrheit im Bundestag, man muss nicht vorauseilend vor ihr kuschen. Und: All die Menschen, die vor einem Jahr demonstriert haben, sind noch da. Die demokratischen Parteien müssen endlich auf sie hören.

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