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debatteBis zur Selbstaufgabe

Die Grünen werden für ihre Mittigkeit abgestraft, die Linke profitiert davon. Den Schuss scheinen die Grünen bis heute nicht gehört zu haben

Der Verlust war ein Schock. Ausgerechnet in ihrer Hochburg, dem symbolträchtigen Wahlbezirk „Kreuzberg-Friedrichshain – Prenzlauer Berg Ost“, holten die Grünen bei der Bundestagswahl 2025 zum ersten Mal seit über 20 Jahren kein Direktmandat. Berlins Grünen-Chef Philmon Ghirmai sprach von einem „herben Schlag“, und Jürgen Trittin sah sogar das „Ende von Kreuzberg“ heraufdämmern, weil der Linke-Kandidat Pascal Meiser dort am Ende bei den Erststimmen vorne lag. Zugleich gewannen die Grünen in der Hauptstadt aber erstmals drei Direktmandate in anderen, bürgerlichen Stadtteilen. Man kann das als Zeichen sehen: Die Grünen sind in die besserverdienende Mitte gerückt. Dafür haben sie Teile ihrer ehemaligen Stammmilieus verloren.

Kreuzberg war lange Zeit fest mit dem Namen Hans-Christian Ströbele verbunden. Ströbele war gegen Aufrüstung, Waffenexporte und Bundeswehreinsätze im Ausland, für eine Vermögensteuer, für die Trennung von Amt und Mandat und dafür, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Von solchen Zielen haben sich die Grünen längst entfernt. Sie regieren dagegen in mehreren Bundesländern inzwischen relativ geräuschlos mit der CDU zusammen. Auch ihre Verbindung zur Jugend haben die Grünen verloren. Nicht nur trat der komplette Vorstand ihrer Jugendorganisation im Herbst 2024 geschlossen zurück und aus der Partei aus – zwei ehemalige Vorsitzende riefen später sogar zur Wahl der Linken auf. Und waren Grüne und FDP 2021 unter Erstwählerinnen und Erstwählern noch am beliebtesten, so war die Linke knapp vier Jahre später unter jungen Leuten mit Abstand am erfolgreichsten. Vor allem junge Frauen gaben ihr ihre Stimme.

Die Linke hat von der Enttäuschung über die Ampelparteien profitiert. Dass die Grünen unter Robert Habeck so stark in die Mitte gerückt sind, in der Ampelkoalition so viele Abstriche machten und sich trotz alldem noch zu einer Koalition mit Friedrich Merz bereit zeigten, hatte Folgen. Schon 2022 stimmten die Grünen im Bundestag einem umstrittenen 100-Milliarden-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr zu. Dann wurde in Nordrhein-Westfalen der Weiler Lützerath von der Polizei geräumt, um den umstrittenen Braunkohleabbau in der Region auszuweiten. Er wurde zu einem Symbol für den Kampf gegen den Klimawandel und für den vermeintlichen Verrat der Grünen, die den Kompromiss mit dem Energiekonzern RWE als Teil der Landesregierung mit ausgehandelt hatten. Im Sommer 2023 stimmten die Grünen dann den Asylrechtsverschärfungen der Europäischen Union zu – natürlich, wie immer, mit „Bauchschmerzen“. Die Haltung der Grünen und ihrer Außenministerin Annalena Baerbock zu Israels Krieg in Gaza trug zur weiteren Enttäuschung bei: Sie dürfte der Grund dafür sein, dass die Linke auch bei muslimischen Wählerinnen und Wählern mit 29 Prozent einen Spitzenwert erzielte. Hätten sich die Grünen weniger staatstragend gegeben und nicht bis zuletzt auf eine mögliche Koalition mit Merz spekuliert, wären sie womöglich weiter als Gegenpol zu Union und AfD empfunden worden.

Foto: Masa Yuasa

Daniel Bax ist Themenchef im Regieressort der taz. Am 19. November 2025 erscheint sein Buch „Die neue Lust auf links“ über das Comeback der Linkspartei im Goldmann Verlag.

Dass Robert Habeck kurz vor der Wahl auch noch einen Zehn-Punkte-Plan für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik präsentierte, war ein strategischer Fehler. Die Grünen gaben sich selbst bei ihren Kernthemen Klima und Migration fast bis zur Selbstaufgabe kompromissbereit. Damit fielen sie als Hoffnungsträger aus und wurden selbst als Teil des allgemeinen Rechtsrucks empfunden. In der Schlussphase des Wahlkampfs appellierten Habeck und Baerbock sogar an junge Wählerinnen und Wähler, doch lieber für eine Partei zu stimmen, die bereit sei, Verantwortung zu übernehmen, als für eine andere – gemeint war offensichtlich die Linke. Das ging nach hinten los. Heidi Reichinnek dagegen empfahl sich mit ihrer Brandrede im Bundestag und auf Tiktok als Identifikationsfigur für wütende junge Frauen, während Jan van Aken mit freundlicher Ruppigkeit daran erinnerte, wie rebellisch die Grünen in ihrer Anfangszeit auch einmal waren. Er wirkte ein wenig wie Joschka Fischer in jung – oder Robert Habeck in unangepasst und frech.

Die Linke ist seit 2025 eine neue Partei geworden, die Zahl ihrer Mitglieder hat sich mehr als verdoppelt. Sie ist jünger, weiblicher und endlich gesamtdeutsch, während die Grünen eine überwiegend westdeutsche Partei geblieben sind. Der Erfolg stellt die Linke aber auch vor ein Dilemma. Denn einerseits verdankt sie ihn vor allem jungen, progressiven Milieus in den Großstädten. Andererseits möchte sie Leute zurückholen, die sie an das BSW und an die AfD verloren hat. Will sie die Wählerinnen und Wähler halten, die von den Grünen und der SPD zu ihr gewechselt sind, darf sie bei Klimaschutz, Einwanderung und gesellschaftlicher Vielfalt keine Kompromisse machen. Will sie Leute vom BSW zurückgewinnen, muss sie sich aber auch beim Thema Aufrüstung und Waffenlieferungen treu bleiben. Das wird nicht leicht. Vor allem aber muss die Linke aufpassen, bei Reizthemen wie ihrer Haltung zu Israel nicht wieder in alte Grabenkämpfe zurückzufallen. Denn der Zank in außenpolitischen Fragen hat viele potenzielle Wählerinnen und Wähler schon immer am meisten abgeschreckt.

Linken-Chef Jan van Aken wirkt ein wenig wie Joschka Fischer in jung oder Robert Habeck in frech

Was die Linke beruhigen kann: Die Grünen machen auch ohne Annalena Baerbock und Robert Habeck keine großen Anstalten, wieder stärker nach links zu rücken. Zwar will Felix Banaszak sie zur „führenden Partei der linken Mitte“ machen und etwas sozialer aufstellen, wie er sagt. Aber Partei-Rechte wie Cem Özdemir warnen zugleich vor einem „Linksruck“, und zum mutmaßlichen Genozid in Gaza haben die Grünen bis heute keine angemessenen Worte gefunden. Da kann sich die Linke zurücklehnen: Von diesen Grünen droht ihnen keine Gefahr. Kreuzberg und ähnliche ehemalige Grünen-Hochburgen dürften ihnen auch in Zukunft weiter sicher sein.

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